Historikerin Anne Applebaum über Populismus und Lobbyismus »Gerhard Schröder ist der Agent einer feindlich gesonnenen Macht«

Autorin Applebaum: »Hört auf mit dem Kulturkampf!«
Foto:Piotr Malecki / Guardian / ddp images
SPIEGEL: Frau Applebaum, in Ihrem neuen Buch erzählen Sie von einer Silvesterparty, die Sie vor 20 Jahren auf Ihrem Anwesen in Polen veranstaltet haben. Die Gäste kamen aus Polen, aus Großbritannien und den USA. Inzwischen sind Sie mit vielen von ihnen nicht mehr befreundet, im Gegenteil. Warum nicht?
Applebaum: Diese Szene soll illustrieren, wie die politische Mitte zerbrach und sich ein Teil als äußerste Rechte abspaltete. Damals waren in unserem Haus viele wichtige Politiker jenes Lagers versammelt, das in Polen den Umbruch gelenkt hatte. Zum Grundkonsens gehörten ein Bekenntnis zur Demokratie, zum Rechtsstaat und zur Anbindung an die Europäische Union. Dieser Konsens ist zerbrochen – und zwar nicht nur in Polen, sondern in vielen Ländern, auch den USA und Großbritannien.
Die Pulitzerpreisträgerin Anne Applebaum, 56, hat Geschichte live miterlebt: Im Sommer 1985 absolvierte sie in der Sowjetunion einen Sprachkurs, später berichtete sie für den »Economist« über die Wendejahre in Polen. Ihr neues Buch »Die Verlockung des Autoritären – Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist« verbindet Analyse mit persönlicher Geschichtsschreibung. Viele der darin beschriebenen Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen zählten einst zum Freundeskreis Applebaums und ihres Ehemanns, des ehemaligen polnischen Außenministers Radosław Sikorski.
SPIEGEL: Was genau ist geschehen?
Applebaum: Ich bin Teil dieser Geschichte, mein Mann war Außenminister einer proeuropäischen Regierung in Warschau. Wir gehörten zu einer Koalition, die sich in den Wendejahren gebildet hatte. Uns einte die Gegnerschaft zum Kommunismus. Es gab Leute, die gegen den Kommunismus gekämpft hatten, weil sie religiös waren; es gab welche, die ihn wegen der Menschenrechtsverletzungen kritisierten; es gab andere, die gefürchtet hatten, die Kommunisten könnten Atomwaffen einsetzen. Diese Leute hatten um die Jahrtausendwende ihr Ziel erreicht. Und stellten nun fest, dass sie doch nicht so viel verband.
SPIEGEL: Wann haben Sie diesen Bruch zum ersten Mal bemerkt?
Applebaum: Das war früh, etwa um den Flugzeugabsturz von Smolensk herum.
Die Verlockung des Autoritären: Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist
SPIEGEL: Dort verunglückte 2010 die Maschine des polnischen Präsidenten Lech Kaczyński in dichtem Nebel, mit Kaczyński starben 94 Würdenträger aus Politik, Kirche und Kultur – ein Unfall, das haben mehrere Untersuchungen ergeben.
Jetzt weiterlesen. Mit dem passenden SPIEGEL-Abo.
Besondere Reportagen, Analysen und Hintergründe zu Themen, die unsere Gesellschaft bewegen – von Reportern aus aller Welt. Jetzt testen.
-
Alle Artikel auf SPIEGEL.de frei zugänglich.
-
DER SPIEGEL als E-Paper und in der App.
-
Einen Monat für 1,- € testen.
Sie haben bereits ein Digital-Abonnement? Hier anmelden
Mehr Perspektiven, mehr verstehen.
Freier Zugang zu allen Artikeln, Videos, Audioinhalten und Podcasts
-
Alle Artikel auf SPIEGEL.de frei zugänglich
-
DER SPIEGEL als E-Paper und in der App
-
DER SPIEGEL zum Anhören und der werktägliche Podcast SPIEGEL Daily
-
Nur € 19,99 pro Monat, jederzeit kündbar
Sie haben bereits ein Digital-Abonnement?
SPIEGEL+ wird über Ihren iTunes-Account abgewickelt und mit Kaufbestätigung bezahlt. 24 Stunden vor Ablauf verlängert sich das Abo automatisch um einen Monat zum Preis von zurzeit 19,99€. In den Einstellungen Ihres iTunes-Accounts können Sie das Abo jederzeit kündigen. Um SPIEGEL+ außerhalb dieser App zu nutzen, müssen Sie das Abo direkt nach dem Kauf mit einem SPIEGEL-ID-Konto verknüpfen. Mit dem Kauf akzeptieren Sie unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Datenschutzerklärung.