Landschaftsarchitektin über Probleme von Megacitys »Für viele Menschen ist das Leben in Bangkok unerträglich geworden«

Der Centenary Park in Bangkok ist eine von wenigen großen Grünflächen in der Multimillionenstadt Bangkok. Er kann vier Millionen Liter Wasser speichern
Foto: Landprocess
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
Bangkok in den Achtzigern, da war Kotchakorn Voraakhom ein kleines Mädchen. Sie lebte mit ihren Eltern in einem Haus ganz dicht an einer stark befahrenen Straße, mitten in Thailands Hauptstadt. Vor dem Haus gab es einen Parkplatz, das war ihr Spielplatz. Voraakhom sagt, das einzige bisschen Natur, das es in ihrer kleinen Welt gab, seien die Pflänzchen und Gräser gewesen, die sich dort durch die Risse im Teer drückten. Mit ihren Freunden habe sie den Asphalt immer weiter aufgebrochen, um Platz zu schaffen für die Pflanzen.
Wenn man es genau nimmt, macht Kotchakorn Voraakhom heute noch das Gleiche: den Beton ihrer Heimatstadt aufreißen und das Grüne darunter zum Vorschein bringen. Voraakhom, 40 Jahre, ist Landschaftsarchitektin. Die BBC wählte sie unter die 100 einflussreichsten Frauen 2020, das »Time Magazine « zeichnete ihre Ideen aus. Sie selbst sagt: »Ich liebe Bangkok. Ich kann nicht rumsitzen und warten, bis meine Stadt untergegangen ist.«
Im Jahr 2011 gab es in Thailand eine große Flutkatastrophe, die schlimmste seit einem halben Jahrhundert. Große Teile des Landes standen wochenlang unter Wasser. Bangkok mit seinen 15 Millionen Einwohnern traf es direkt. Politiker schlugen gar vor, die Hauptstadt aufzugeben. Sie sei nicht gerüstet für die Wassermassen, die Bangkoks Fluss Chao Phraya wegen der Klimakrise künftig mit sich führen werde.
Auch Voraakhoms Familie verlor bei der Flut ihr Zuhause. Die Architektin sagt, damals habe sie beschlossen, ihre Stadt zu retten.

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Kotchakorn Voraakhom, Jahrgang 1981, ist eine Landschaftsarchitektin aus Bangkok. Sie ist CEO des Porous City Network in Thailand. Mit ihrem Team plant sie Projekte in asiatischen Städten, um diese gegen Folgen der Klimakrise zu wappnen. Ihre Projekte wurden weltweit mit Preisen ausgezeichnet.
SPIEGEL: Frau Voraakhom, warum hat Bangkok ein Problem?
Kotchakorn Voraakhom: Die Stadt ist eine der am schnellsten sinkenden Städte der Welt. Einen Zentimeter pro Jahr senkt sich die Stadt. Schon 2030 könnte Bangkok unterhalb des Meeresspiegels liegen. Sie müssen sich vorstellen, die Stadt wurde in ein Flussdelta, mitten in ein Feuchtgebiet gebaut. Und sie wächst und wächst und wächst. Gleichzeitig sind wir besonders betroffen von der Klimakrise: Es regnet viel mehr als früher. Doch die Stadt kann das ganze Wasser nicht mehr aufnehmen.
SPIEGEL: Warum nicht?
Voraakhom: Bangkok wurde komplett zugepflastert. Mit Straßen, Büros, Hotels für Touristen. Das macht uns jetzt so verletzlich. Oben Beton, darunter schlammiger Boden. Wenn es hier 15 Minuten lang regnet, ist alles überschwemmt. Mit dem Auto kommt man dann nicht mehr weit, man bräuchte ein Boot. Für viele Menschen ist das Leben in Bangkok unerträglich geworden.

Eines von Voraakhoms Projekten: Der Chulalongkorn University Centenary Park schützt Bangkok vor Überschwemmung
SPIEGEL: Sie gehen dieses Problem an. Was tun Sie?
Voraakhom: Ich versuche, die Natur zurück in diese Betonwüste zu bringen. In Bangkok gab es bis jetzt kaum Grünflächen, die das Wasser aufsaugen könnten. Mein Team und ich haben vor einigen Jahren auf einem ehemaligen Fabrikgelände einen Park gebaut, der fast vier Millionen Liter Wasser speichern kann. Einen Teil der Fläche haben wir angehoben, um so viel Regen wie möglich zu sammeln. Darunter liegen große Wassertanks. In der trockenen Jahreszeit können wir damit den Park bewässern. Ein anderer Teil des Wassers fließt in den niedrigeren Teil des Parks, dort bildet sich dann ein See, in dem Menschen mit Tretbooten fahren können. Der Park schafft Platz für das Wasser, aber auch für die Menschen. Viele merken zum ersten Mal, wie wichtig es ist, einen Ort zum Durchatmen zu haben. Und Raum für sich. In der Coronakrise ist das besonders deutlich geworden.
Kotchakorn Voraakhom
SPIEGEL: Hat die Pandemie das Gefühl für den öffentlichen Raum verändert?
Voraakhom: Auf jeden Fall. Wir brauchen in Megacitys wie Bangkok, wo Menschen auf kleinstem Raum wohnen, mehr öffentliche Plätze. Orte, an denen Menschen gesund bleiben und werden können. Orte, an denen Menschen sich begegnen, an denen sie gesehen werden und andere sehen. Das ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Ich hoffe, die Pandemie führt dazu, dass wir anders darüber nachdenken, welche Gebäude und Orte in einer Stadt wir brauchen. Wie wir Platz nutzen. Shoppingmalls stehen im Lockdown leer, Hotels haben geschlossen. Aber die Bewohnerinnen und Bewohner Bangkoks, sie sind noch da. Und ihnen sollte diese Stadt in Wahrheit dienen. Es ist unsere Stadt.

Das bepflanzte Dach der Thammasat University in Bangkok. Hier bauen Studierende Reis und Gemüse für ihren Campus an
Foto: LandprocessSPIEGEL: Sie sagen, Dächer seien auch so ein verschwendeter Platz in Megacitys.
Voraakhom: Stellen Sie sich vor, wir würden unsere Dächer als Gärten nutzen. Dort Gemüse anbauen, und uns unsere eigenen Oasen schaffen. Begrünte Dächer können Regenwasser absorbieren, sie erhitzen sich dann nicht so stark. Ich habe zum Beispiel das Dach der Thammasat University in Bangkok zu einer Rooftop-Farm umgestaltet. Es ist die größte Rooftop-Farm in Asien. Das Projekt ist kurz vor der Coronakrise fertig geworden. Studierende kümmern sich um die Reisterrassen, die Lebensmittel werden auf dem Campus verarbeitet. Und das Regenwasser, das sonst unsere Abwasserkanäle verstopfen würde, wird dort oben aufgesogen und genutzt.
SPIEGEL: Das sind alles Projekte, die in neue Gebäude integriert wurden. Wie kann man vorhandene Bauten besser rüsten und nutzen?
Voraakhom: Nicht gleich alles teuer abreißen! Alte Bauten kann man super umplanen. Zum Beispiel habe ich den Bürgermeister Bangkoks überzeugt, eine alte Brücke, die nicht mehr gebraucht und eigentlich abgerissen werden sollte, zu einer Fußgängerbrücke umzubauen. Eigentlich ist es ein Park in Form einer Brücke. Alles voll mit Büschen, Bäumen, Blumen. So eine Garden Bridge wurde auch mal für London geplant, aber leider nicht realisiert. Dafür soll es bald eine tolle in New York geben.

In New York entsteht gerade die Gartenbrücke »Pier 55«. Sie soll im Frühjahr 2021 eröffnet werden
Foto: Gary Hershorn / Getty ImagesSPIEGEL: Ihre Projekte sind aber auch teuer. Erhalten Sie Unterstützung durch die Stadt und die Bevölkerung? Gibt es ein Verständnis dafür, wie drängend die Klimaproblematik für Bangkok ist?
Voraakhom: Die meisten meiner Projekte sind letztlich durch öffentliche Gelder finanziert worden. Es ist jedes Mal ein Kraftakt, Menschen von den Ideen zu überzeugen. Aber wenn es klappt – wenn die Regierung und Investoren mir als Designerin vertrauen – das ist das Größte! Natürlich gibt es weiter viele, die denken, dass das alles nichts bringt. Deshalb, bei all dem Leid, das uns die Coronakrise weltweit bringt: Ich hoffe, dass wir diese Pause nutzen, um uns zu fragen: Wie wollen wir in Zukunft leben?
SPIEGEL: Was ist Ihre Antwort?
Voraakhom: Schwere Überschwemmungen sind unsere neue Normalität. Das gilt für die gesamte Region Südostasiens. Das können wir nicht ändern. Aber wir können verhindern, dass bald viele Städte an den Küsten nicht mehr lebenswert sind. Wir können ändern, was wir mit dem Wasser machen, das da vom Himmel kommt. Wie wir es nutzen. Her mit den Ideen. Wir alle haben nur eine Heimat, für die lohnt es sich zu kämpfen.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.