Beirut kommt nicht zur Ruhe. Wenige Tage nach der schweren Explosion, die Teile der libanesischen Hauptstadt verwüstet hat, tragen viele Menschen ihre Wut auf die Straße.
Christoph Reuter, DER SPIEGEL:
"Beirut brennt. Aber bislang sind es ziellose Brandstiftungen. Ein "Dunkin' Donuts", der seit Monaten geschlossen ist, ist in Flammen aufgegangen. Ein Truck. Luxusapartmenthäuser, die von der Explosion schwer beschädigt wurden. Aber es wirkt, als wolle man niederbrennen, was man erreichen kann, wenn man die wirklich Mächtigen, wenn man das System nicht erreichen kann, weil sich niemand traut, zu den Villen und Palästen zu marschieren, sondern sie lieber ihre eigene Innenstadt niederbrennen."
Die Demonstranten stürmten auch mehrere Ministerien, zerlegten außerdem den Sitz des libanesischen Bankenverbands. Nach Angaben des libanesischen Roten Kreuzes wurden mehr als 200 Menschen verletzt. Laut einem Polizeisprecher wurde zudem ein Polizeibeamter getötet.
Es herrscht eine enorme Wut auf die Regierung, das System. Die Vorwürfe: Misswirtschaft und Korruption. Der Libanon leidet unter einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Schon im vergangenen Jahr hatte die Bevölkerung grundlegende Reformen gefordert - ohne Erfolg. Seitdem hat sich die Situation im Land deutlich verschlimmert. Hinzu kam erst die Corona-Pandemie – und nun die Katastrophe im Hafen von Beirut, die mehr als 150 Menschen tötete und mehr als 6000 verletzte.
Und auch hier sind die Menschen wütend auf die Regierung: Offenbar hatten große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat jahrelang ohne spezielle Sicherheitsvorkehrungen im Hafen gelegen. Dies soll die gewaltige Explosion verursacht haben. Laut Berichten wurden Warnungen dazu ignoriert.
Ziad, libanesischer Demonstrant:
"Der Präsident hat gesagt, es war ein Unfall. Tatsächlich aber war es ein Verbrechen, kein Unfall. Das sind keine Märtyrer, sondern Opfer. Diese Menschen sind umsonst gestorben. Nur damit die Menschen in der Regierung ihre Posten behalten und weiter unser Geld stehlen können. Das ist unser Land und wir werden nicht aufgeben."
Ornella Najam, libanesische Demonstrantin:
"Wenn sie nur einen Hauch Ehre hätten, nur ein bisschen Vertrauen und Ehrlichkeit, wäre Beirut jetzt nicht zerstört. Wir sind hier, um der internationalen Gemeinschaft zu zeigen, was wir durchmachen. Wir erleben die schlimmsten Tage unseres Lebens. Und der Regierung sind wir egal."
Ministerpräsident Hassan Diab hat in einer Fernsehansprache angekündigt, seinem Kabinett Neuwahlen vorschlagen zu wollen. Ein entsprechendes Gesetz wolle er in einer Sitzung am Montag vorlegen. Diab bestritt jedoch, für die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes verantwortlich zu sein.
Und viele Libanesen klagen ohnehin, dass Wahlen in dem Land bisher an den realen Machtverhältnissen wenig verändert hätten. Die Wut auf den Straßen dürfte Diabs Ankündigung also nicht bremsen.