Proteste in Belarus Lukaschenkos Show hinter Gittern

Machthaber Lukaschenko zeigte sich mit Oppositionellen im Gefängnis. Wer das als Zeichen seiner Schwäche verstanden hatte, dem sendete sein Regime mit dem harten Einsatz gegen Demonstranten eine andere Botschaft.
Von Christina Hebel, Moskau
Sicherheitskräfte und Demonstranten in Minsk

Sicherheitskräfte und Demonstranten in Minsk

Foto: Stringer / AFP

Was sich am Sonntag auf den Straßen in Minsk abspielte, erinnerte in Teilen an die Gewalt kurz nach der Präsidentschaftswahl vor zwei Monaten. Sicherheitskräfte gingen härter und aggressiver als in den Wochen zuvor gegen friedliche Demonstranten vor, die sich versammeln wollten. Sie attackierten Protestierende mit Fäusten und Schlagstöcken , selbst wenn sie bereits am Boden lagen. Mal zündeten sie Blendgranaten inmitten von Menschenmengen, setzten Pfefferspray ein. Dann jagten sie Protestierende mit vorgehaltenen Waffen , mit denen sie Gummigeschosse abfeuern können, die sie am späten Abend nach Medienberichten dann auch einsetzten.

Mindestens 40 Menschen erlitten nach ersten Angaben Verletzungen. Bilder zeigten Männer mit blutverschmierten Gesichtern und Verbänden um den Kopf .

Verletzer Demonstrant in Minsk

Verletzer Demonstrant in Minsk

Foto: Natalia Fedosenko / ITAR-TASS / imago images

Belarussische Reporterinnen und Reporter versuchten am Sonntag das Geschehen zu dokumentieren, wenn sie denn noch arbeiten konnten. Bereits zu Beginn des "Marsches des Stolzes", zu dem der oppositionelle Telegramkanal Nexta landesweit aufgerufen hatte, wurden Dutzende von ihnen abgeführt, darunter auch russische Berichterstatter. Damit ging das Regime abermals gezielt gegen Journalisten vor. Ingesamt wurden laut Menschenrechtlern insgesamt fast 600 Menschen, Medienvertreter und Demonstranten, in Belarus festgenommen, viele bereits zu Beginn der Proteste.

Schließlich zogen dennoch allein in Minsk Zehntausende Protestierende durch die Stadt. Die genaue Zahl der Demonstranten war schwer zu schätzen, auch weil die Einsatzkräfte die Gruppen auseinandertrieben. Dabei setzten sie zudem Wasserwerfer ein.

Lukaschenko hält Treffen mit Gegnern ab

Belarus erlebte ein Wochenende der unterschiedlichen Botschaften. Am Samstag hatte sich Machthaber Alexander Lukaschenko mit inhaftierten Mitgliedern der Opposition, darunter Wiktor Babariko, gezeigt. Er hielt das viereinhalbstündige Treffen im Untersuchungsgefängnis Nr. 1 seines Geheimdienstes KGB ab, wie der Telegramkanal "Pool des Ersten" mitteilte, der Lukaschenko nahesteht. Auch ein kurzes Video wurde veröffentlicht.

Es war das erste Mal überhaupt, dass der Machthaber solche Bilder mit politischen Gegnern veröffentlichen ließ. "Das Treffen kam für alle überraschend", sagt die Politologin Olga Dryndova dem SPIEGEL. "Er gab damit die Existenz von politischen Gefangenen im Land zu."

"Zeichen der Schwäche"

Lange hatte das Lukaschenko-Regime die Oppositionellen als Kriminelle dargestellt. Einen Dialog mit Kriminellen brauche kein starker Führer, kommentierte der Minsker Politologe Artjom Schraibman bissig auf Telegram . "80 Prozent (Anm. d. Redaktion: Das ist das Wahlergebnis, das Lukaschenko für sich veröffentlichen lassen hat) Legitimität gibt einem das Recht, Reformen durchzuführen, ohne ins Gefängnis zu gehen."

Dryndova spricht deshalb von einem "Zeichen der Schwäche". Lukaschenkos Treffen zeige, dass er für sich keine andere Wahl mehr gesehen habe, als diesen Schritt zu gehen. Belarus habe sich bis dahin in einer "Pattsituation" nach der von Fälschungen und Manipulationen überschatteten Wahl befunden, sagt Dryndova. Weder die protestierenden Menschen noch das Regime mit seinen Repressionen haben bisher den Konflikt zu ihren Gunsten lösen können.

Das unabhängige Internetportal tut.by zeigt Bilder des Staatsfernsehens zum Treffen von Lukaschenko:

Dialog zu seinen Bedingungen

Auffällig war, dass Sergej Tichanowskij, der Mann von Swetlana Tichanowskaja, und die ebenfalls in Haft sitzende Marija Kolesnikowa nicht bei dem Gespräch mit Lukaschenko dabei waren. Von dessen Inhalt ist kaum etwas bekannt.

Zudem ist nur Lukaschenko in dem kurzen Video mit den Oppositionellen zu hören. Es sind absurde Szenen, wie der Machthaber den um den Tisch versammelten Gegnern erzählt, er führe einen Dialog, ihnen weiter mitteilt, eine neue Verfassung werde nicht auf der Straße geschrieben, was durchaus auch als Warnung an die Demonstranten zu verstehen ist. Inwieweit die inhaftierten Oppositionellen freiwillig an dem Treffen teilnahmen, ist nicht bekannt. Zwei Teilnehmer des Treffens mit Lukaschenko wurden am Sonntagabend aus der Haft entlassen: der Geschäftsmann Jurij Woskresenskij und der IT-Direktor von PandaDoc, Dmitrij Rabtsewitsch.

Sicherheitskräfte treten und schlagen Demonstranten in Minsk

Sicherheitskräfte treten und schlagen Demonstranten in Minsk

Foto: AP

Klar ist: Lukaschenko wird einen Dialog mit seinen Widersachern nur dann führen, wenn er zu seinen Bedingungen ablaufen wird. Inwieweit so das Patt im Land aufgelöst werden kann, ist kaum absehbar. Von echten Verhandlungen, etwa in Form eines runden Tisches mit verschiedenen Vertretern der Opposition, scheint Lukaschenko weit entfernt zu sein. Zumal sein Verhalten nicht logisch wirkt. "Es passt einfach nicht zusammen, dass Lukaschenko einerseits von Dialog spricht, andererseits die Sicherheitskräfte dieses Mal viel härter als sonst gegen Demonstranten vorgehen. Aber sein Verhalten ist nicht immer logisch", sagt Dryndova.

Gegen Tichanowskaja

Jörg Forbrig, Direktor für Mittel- und Osteuropa beim German Marshall Fund, sieht in Lukaschenkos Vorgehen dagegen die Absicht, die Position von Tichanowskaja als wichtige Führerin der demokratischen Bewegung zu untergraben. "Ihre Unterstützung innerhalb von Belarus und ihr internationales Ansehen sind höher denn je", schreibt er auf Facebook . Tichanowskaja war unter anderem in dieser Woche auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen worden. Deshalb setze Lukaschenko nun auf Babariko, so Forbrig, der, wie er glaubt, zurück ins politische Spiel gebracht werden solle.

Lukaschenko hatte Babariko, Ex-Manager der Belgazprombank, einer Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom, bereits im Juni festnehmen lassen. Ihm wird angebliche Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Babariko galt als Kandidatenanwärter mit den besten Chancen bei der Präsidentschaftswahl.

Babarikos Name, so hatte es der gut unterrichtete Chefredakteur des kremlkritischen Senders Echo Moskwy berichtet, soll auch bei den Gesprächen von Lukaschenko und Putin in Sotschi gefallen sein. Putin hatte der Verfassungsreform des belarussischen Machthabers zugestimmt, sein Außenminister Sergej Lawrow aber einen breiten gesellschaftlichen Dialog gefordert, der die Opposition einschließe.

"In einer Gefängniszelle führt man keinen Dialog"

Babariko gilt als weitaus annehmbarer für den Kreml als Tichanowskaja, die der Kremlsprecher nur als "Staatsbürgerin" bezeichnet. Schon wird über Babarikos Freilassung spekuliert. Will Lukaschenko so ein Zeichen nach Moskau senden? Doch wieso sollte sich dieser auf Lukaschenkos Bedingungen einlassen und an einer Verfassungsreform mitarbeiten, welche die Opposition klar ablehnt?

Tichanowskaja und andere Oppositionelle glauben, Lukaschenko versuche auf Zeit zu spielen, mit der Reform den Protest zu schwächen. Tichanowskaja schrieb auf Twitter "von einer Imitation eines Dialogs", mit dem Lukaschenko die Belarussen nur spalten wolle.

Sie forderte erneut Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Sie sagte: "In einer Gefängniszelle führt man keinen Dialog."

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