Minsk, Belarus -TELEGRAM /Želtye Slivy
»Mein Name ist Sapega, Sofja Adrejewna.«
Das jüngste sogenannte »Geständnisvideo« aus Belarus zeigt die inhaftierte Freundin des Bloggers Roman Protassewitsch. Sie sagt – wahrscheinlich nicht freiwillig –, dass sie einen SocialMedia-Kanal betreut habe, der persönliche Informationen über belarussische Strafverfolgungsbeamten herausgegeben hat – was in Belarus eine Straftat ist.
Das Regime in Minsk versucht auf dem Social-Media-Kanal Telegram zurückzuschlagen – denn hier operieren seine einflussreichsten Gegner.
Warschau, Polen
Aus diesem Schnittraum in Warschau heraus operiert der Telegram-Kanal "Nexta". Der Name – das belarussische Wort für »jemand« – soll symbolisch für alle Belarussen stehen, die Veränderungen möchten und von Lukaschenko genug haben. Es ist das mittlerweile einflussreichste Sprachrohr der Protestbewegung – und entsprechend gefährdet.
Stepan Putilo, Leiter des Kanals »Nexta«
»Sofort nach dem Vorfall mit Roman bekamen wir Hunderte, mittlerweile sind es mehr als tausend, Drohungen. Drohungen, dass sie uns erschießen werden, dass eine Bombe in unser Büro gelegt wird – und dass sie uns dafür nicht mal nach Belarus holen werden wie Roman. Natürlich ist das beunruhigend. Aber wir sind es gewohnt.«
Vor einem Jahr noch war der nun inhaftierte Roman Protassewitsch Chefredakteur des Kanals. Der Telegram-Kanal wurde zur wichtigsten Informationsquelle der Lukaschenko-Gegner – und wurde als Koordinierungsinstrument bei Demonstrationen genutzt. »Nexta live« veröffentlicht Nachrichten, Videos und Bilder, die Belarussen dem Team anonym schicken.
Stepan Putilo leitet den Kanal. Er veröffentlichte schon als 17-jähriger Schüler auf dem YouTube-Kanal »Nexta« ein erstes Spottlied über Lukaschenko – »Wir haben keine Wahl«. Später wurde auch gegen ihn ein Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung eröffnet. Putilo lebt deshalb seit 2018 in Warschau. Auch ihn bedroht das Regime mit einer Strafe von bis zu 15 Jahren Haft – der Vorwurf ist der gleiche wie gegen Protassewitsch: die angebliche Organisation von Massenunruhen.
Stepan Putilo, Leiter des Kanals »Nexta«
»Sie haben uns als Extremisten und Terroristen bezeichnet, um Menschen davon abzuschrecken, uns Informationen zukommen zu lassen. Wir haben uns daran gewöhnt, die Menschen auch. Wir arbeiten aber sogar hier im Ausland unter ständigem Druck. Ständig ist die Angst da, dass etwas Schlimmes passieren wird, dass es irgendwelche Art von Provokation gibt.«
Minsk, Belarus
In Minsk wurde derweil das unabhängige belarussische Onlinemedium TUT.BY gesperrt – hier Aufnahmen der Protestaktion. Die Redaktionsräume wurden durchsucht und Mitarbeiter zeitweilig inhaftiert.
Jewgenia Tschernjawskaja, TUT.BY-Inhaberin
»Jedes Mal erreichen wir einen neuen Tiefpunkt. Jetzt ist wieder so einer. Ein Kampfjet, der eine Ryanair-Maschine zur Landung zwingt, weil angeblich eine Hamas-Bombe an Bord ist – das ist alles einfach unglaublich. Es ist mehr als ein Tiefpunkt. Es zeigt den mentalen Zustand derjenigen, die dieses Land regieren.«
Mitabeiterinnen des Onlinemediums TUT.BY wurden regelmäßig festgenommen, nachdem sie über Proteste gegen die Regierung und über Polizeigewalt berichtet hatten. Wegen eines solchen Berichts wurde Katja Baryssewitsch im Februar zu einer halbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Allein im Jahr 2020 sollen laut einem Bericht der belarussischen Medienschaffenden zufolge 477 Journalisten im Land verhaftet worden sein.
Mogiljow, Belarus 25. Mai 2021
»Belarus wird frei sein – Wir werden gewinnen«, skandieren diese am Mittwoch inhaftierten prodemokratischen Aktivisten. Den Oppositionellen drohen bis zu sieben Jahren Gefängnis, wegen Organisation von Massenunruhen. Sie geben sich noch nicht geschlagen.