Krise in Belarus Uno-Expertin fürchtet neuen "eisernen Vorhang"

Der belarussische Machthaber Lukaschenko geht mit Härte gegen die Opposition vor - die Uno-Beauftragte zeigt sich entsetzt. Der Vertreter Russlands unterbrach sie mehrfach durch Zwischenrufe.
Uno-Sonderberichterstatterin Anais Marin sieht "katastrophale" Menschenrechtslage in Belarus

Uno-Sonderberichterstatterin Anais Marin sieht "katastrophale" Menschenrechtslage in Belarus

Foto: FABRICE COFFRINI / AFP

"Wir dürfen nicht zulassen, dass ein weiteres Mal ein eiserner Vorhang auf dem europäischen Kontinent heruntergelassen wird": Mit drastischen Worten hat die Uno-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Belarus, Anais Marin, die Lage in dem Land beschrieben. Die Situation sei "katastrophal".

Marin äußerte sich in Genf während einer Dringlichkeitsdebatte zur Menschenrechtssituation in Belarus. Mehrfach unterbrachen Vertreter Russlands, Belarus und weiterer Länder mit Zwischenrufen ihre Ausführungen. Zudem wurde versucht, kritische Beiträge durch viele Fragen zur Geschäftsordnung gar nicht erst zuzulassen.

Uno-Experten erklärten, Tausende Demonstranten seien festgenommen worden und es gebe Hunderte Berichte über Folter. Es sei entscheidend für die Zukunft des Landes, diesen Kreis wachsender Unterdrückung und Gewalt zu beenden, sagte die stellvertretende Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Nada Al-Nashif. "Die Zivilgesellschaft ist ein wertvoller Partner und keine Bedrohung."

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja rief in einem Beitrag für die Uno-Veranstaltung die Behörden des Landes dazu auf, die Gewalt gegen Demonstranten zu beenden. Zugleich forderte sie eine freie und faire neue Präsidentenwahl. Tichanowskaja war nach der Wahl am 9. August nach Litauen geflohen, weil sie um ihre Sicherheit fürchtete. Der belarussische Botschafter bei der Uno, Juri Ambrasewih, sagte in der Debatte, es sei inakzeptabel, die Vereinten Nationen dazu zu benutzen, sich in die Wahl in Belarus einzumischen.

In dem Land sieht sich der seit 26 Jahren autoritär regierende Präsident Alexander Lukaschenko mit Massenprotesten konfrontiert. Lukaschenko hatte sich zum Sieger erklärt und angeblich rund 80 Prozent der Stimmen erhalten. Die Opposition wirft ihm Wahlbetrug vor, weder die USA noch die EU erkennen das offizielle Wahlergebnis an.

Lukaschenko gibt dem Westen die Schuld an den Unruhen. Am Donnerstag kündigte er an, die Grenzen zu den EU-Mitgliedern Polen und Litauen zu schließen und die Kontrollen an der Grenze zur Ukraine zu verschärfen. Der belarussische Grenzschutz teilte indes am Freitag mit, Kontrollen seien verstärkt und "taktische Verstärkung" sei entlang der Grenzen eingesetzt. Die Grenzübergänge seien jedoch weiter für Ein- und Ausreisen geöffnet.

Belarussische Opposition für Sacharow-Preis nominiert

Das Europaparlament hat unterdessen die Bemühungen der Gegner Lukaschenkos gewürdigt: Die demokratische Opposition in Belarus ist für den renommierten Sacharow-Preis nominiert. Neben anderen Kandidaten findet sie sich gleich zweimal auf der Vorschlagsliste - einmal auf Antrag der großen Fraktionen der Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen und einmal, mit etwas anderer Begründung, nominiert von der EU-kritischen EKR-Fraktion.

Der Sacharow-Preis wird seit 1988 vom Europäischen Parlament an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einsetzen. Am 22. Oktober soll bekannt gegeben werden, wer die diesjährige Auszeichnung erhält. Die Preisverleihung soll im Dezember stattfinden.

Bereits in der Plenardebatte am Dienstag zur Lage in Belarus hatten mehrere Abgeordnete die Nominierung der belarussischen Opposition ins Spiel gebracht. Neben der Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja nannten sie dabei die Aktivistinnen Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo. Die drei Frauen hatten sich im Wahlkampf zusammengeschlossen, nachdem Staatschef Alexander Lukaschenko zwei Bewerber um das Präsidentenamt hatte einsperren lassen.

Nominiert wurden außerdem inhaftierte Umweltaktivisten in Honduras sowie die ermordete Landrechtsaktivistin Berta Cáceres. Auch vier polnische LGBTI-Aktivisten, die überwachen, welche Regionen sich gegen die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen aussprechen, stehen auf der Liste. Eine Nominierung erhielt auch der chaldäisch-katholische Erzbischof der nordirakischen Stadt Mossul, Nadschib Michail Musa, für die Rettung historischer Manuskripte und das Fortbringen von Menschen nach Einmarsch der Terrormiliz "Islamischer Staat" in der Stadt.

Röttgen fordert EU-Sanktionen gegen Lukaschenko

Unterstützung für ihre Belange erhielten die belarussischen Oppositionellen auch vom CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Er forderte EU-Sanktionen gegen Lukaschenko. Dieser sei der entscheidende Verantwortliche für "Brutalität und Unterdrückung" in Belarus, sagte Röttgen zu Reuters TV. Mit Blick auf den EU-Gipfel kommende Woche ergänzte er: "Es gibt keinen Grund, ihn nicht auf die Liste der Sanktionen zu setzen. Ja, Lukaschenko sollte jetzt auf die Sanktionsliste drauf." Der Präsident habe viele Chancen zum Dialog gehabt, aber immer weiter auf Unterdrückung gesetzt.

Röttgen forderte zudem eine deutliche Ausdehnung der geplanten EU-Sanktionen gegen mehrere Dutzend Funktionäre und Politiker der Regierung in Minsk, denen ebenfalls Wahlfälschung vorgeworfen wird. Zugleich lehnte er aber Wirtschaftssanktionen gegen das gesamte Land ab. Die wolle auch die belarussische Opposition nicht.

asa/dpa/Reuters
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