Belarus Mehr als 3000 Festnahmen bei Protesten gegen Lukaschenko-Wahl

Belarussische Sicherheitskräfte sind nach der Präsidentschaftswahl hart gegen Demonstranten vorgegangen. Dutzende Zivilisten und Beamte wurden verletzt. Oppositionskandidatin Tichanowskaja erklärt sich zur Siegerin.
Sicherheitskräfte nehmen in der Nacht zum Montag einen Mann in Minsk fest

Sicherheitskräfte nehmen in der Nacht zum Montag einen Mann in Minsk fest

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VASILY FEDOSENKO/ REUTERS

Im Zuge der Proteste gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Belarus hat die Polizei landesweit mehr als 3000 Menschen festgenommen, wie das Innenministerium mitteilte. Mehr als 50 Zivilisten und 39 Polizisten seien in der Nacht zum Montag verletzt worden. Angaben von Aktivisten, wonach ein Demonstrant getötet wurde, wies das Ministerium zurück.

Die Menschenrechtsorganisation Wesna hatte zuvor mitgeteilt, dass ein junger Mann durch die Gewalt der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sei. Es ist nicht klar, ob die Behörden in dem autoritär geführten Land die Wahrheit sagen. In den sozialen Netzwerken gab es Bilder von einem leblosen Körper in der Hauptstadt Minsk.

Oppositionskandidatin: "Ich betrachte mich selbst als die Gewinnerin dieser Wahl"

Die Proteste gegen Wahlfälschungen nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend waren die schwersten, die die frühere Sowjetrepublik je gesehen hat. Die Wahlleitung rief den seit mehr als 26 Jahren regierenden Alexander Lukaschenko inzwischen für eine sechste Amtszeit als Sieger der Wahl aus. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja erkennt das Ergebnis nicht an.

Sie forderte Lukaschenko am Montag zum Rückzug auf und erklärte sich selbst zur Wahlsiegerin. Die Regierung müsse darüber nachdenken, "wie sie die Macht friedlich an uns übergeben kann", sagte Tichanowskaja. "Ich betrachte mich selbst als die Gewinnerin dieser Wahl."

Lukaschenko machte eine angebliche Einflussnahme aus dem Ausland für die Proteste verantwortlich. Es habe Aufrufe dazu aus Polen, Russland und Tschechien gegeben, sagte der Präsident laut Staatsmedien. "Sie kontrollieren unsere Schafe. Und die verstehen nicht, was sie tun, und werden bereits kontrolliert", behauptete Lukaschenko. Hinter den Drahtziehern müssten nicht zwingend staatliche Strukturen stehen. "Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr jemand das will. Es ist wichtig, dass sich alle beruhigen."

Lukaschenko hatte bereits im Wahlkampf vor einer Revolution und Zuständen wie 2014 auf dem "Maidan" gewarnt, dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew im Nachbarland Ukraine. Er drohte mehrfach mit dem Einsatz der Armee. Mit Blick auf das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte in der Nacht auf Montag sagte Lukaschenko: "Etwa 25 Bereitschaftspolizisten wurden verwundet. Sie wurden absichtlich geschlagen. Sie haben geantwortet."

Bundesregierung kritisiert Gewalt und Festnahmen, EU fordert Freilassung

Die Bundesregierung kritisierte, dass bei der Wahl die Mindeststandards für demokratische Wahlen nicht eingehalten worden seien. Verurteilt werde auch Gewalt gegen friedlich demonstrierende Bürger und die Festnahme von Journalisten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Die politische Führung des Landes muss den Willen der Bürgerinnen und Bürger akzeptieren", sagte er. Es liefen Bemühungen für eine gemeinsame Reaktion der EU.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, vor der Wahl seien harsche Repression und willkürliche Verhaftungen von Kritikern beobachtet und benannt worden. Er sprach von einer "Einschüchterungspolitik", die auf Journalisten und Blogger und auch Bürger ziele, die ihre Rechte nutzen wollten. Er verwies auf frühere Bemühungen, Reformen anzustoßen. "In der Hinsicht muss man den Verlauf der Wahlen als Rückschlag einordnen", sagte der Sprecher.

Warum wir statt Weiß­russ­land nun Belarus schreiben

Lange hat der SPIEGEL von Weißrussland geschrieben, wenn die Rede war von dem Staat zwischen dem Baltikum und Polen, der Ukraine und Russland. Offiziell nennt sich das Land seit seiner Unabhängigkeit 1991 nach dem Ende der Sowjetunion Republik Belarus, kurz Belarus. "Bela" bedeutet "weiß", "rus" verweist auf jenes früheres osteuropäisches Herrschaftsgebiet, das als Kiewer Rus bekannt war. Das heutige Territorium der Republik Belarus war Teil davon.

Um deutlich zu machen, dass es sich bei Belarus um einen souveränen Staat handelt, der nicht Teil Russlands ist, hat das Auswärtige Amt seit geraumer Zeit begonnen den offiziellen und zeitgemäßen Namen zu verwenden. Der SPIEGEL schließt sich dieser Entwicklung an und wird künftig Belarus statt Weißrussland schreiben, Weißrussinnen und Weißrussen nun als Belarussinnen und Belarussen bezeichnen.

Die Europäische Union verurteilte das harte Vorgehen der Polizei gegen Regierungskritiker. Die Abstimmung sei überschattet gewesen von unverhältnismäßiger und inakzeptabler staatlicher Gewalt gegen friedliche Demonstranten, erklärten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi. "Wir verurteilen die Gewalt und fordern die sofortige Freilassung all derjeniger, die vergangene Nacht festgenommen wurden." Die belarussischen Behörden müssten sicherstellen, dass das Grundrecht auf friedliche Versammlung respektiert werde.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte die Behörden in Belarus zu einer Prüfung des Ergebnisses der Präsidentenwahl aufgefordert. Es müsse sichergestellt werden, dass die Stimmen präzise gezählt und publiziert werden, teilte sie mit. Zugleich verurteilte von der Leyen wie zuvor schon EU-Ratspräsident Charles Michel das aggressive Einschreiten von Sicherheitskräften nach der Präsidentenwahl. "Die gewaltsame Unterdrückung von friedlichen Protesten hat keinen Platz in Europa", schrieb sie. "Die Grundrechte (...) müssen respektiert werden."

mes/dpa/AFP/Reuters
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