Nach fünf Wochen Krieg haben sich Armenien und Aserbaidschan auf eine Waffenruhe im umkämpften Bergkarabach geeinigt. Beide Seiten stimmten einem Abkommen zu, das Russland vermittelt hatte.
Die Unterzeichnung des Abkommens führte in Aserbaidschan zu spontanen Feiern. In der armenischen Hauptstadt kam es dagegen zu Ausschreitungen. Demonstranten besetzten in der Nacht zum Dienstag das Regierungsgebäude in Eriwan. Sie zerschlugen Möbel, Türen und Fenster. Einige seien bis in das Büro von Regierungschef Nikol Paschinjan vorgedrungen.
Maximilian Popp, DER SPIEGEL
"Der Waffenstillstand kommt nur bedingt überraschend. Am Ende war die militärische Überlegenheit Aserbaidschans und seiner Verbündeten, allen voran der Türkei, wahrscheinlich einfach zu groß. Armenien musste sich mehr oder weniger fügen. Aserbaidschan ist eindeutig der Sieger dieser Übereinkunft, Armenien ist der Verlierer. Wobei man sagen muss, es hätte für Armenien noch schlimmer kommen können. Die Armenier müssen sich aus einigen der Territorien, die sie bislang besetzt hielten, zurückziehen. Sie behalten aber Teile der Enklave selbst und russische Soldaten sollen den Waffenstillstand überwachen. In Armenien wird von vielen Menschen dieser Deal trotzdem als eine Art Kapitulationserklärung empfunden. Es ist fraglich, ob sich Premier Paschinjan nach diesen Ereignissen überhaupt an der Macht halten kann.
Die neuen Gefechte im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach liefen seit Ende September. Der Konflikt selbst ist schon jahrzehntealt. Aserbaidschan verlor in einem Krieg nach dem Zerfall der Sowjetunion die Kontrolle über das bergige Gebiet mit etwa 145.000 Bewohnern. Bergkarabach, mehrheitlich armenisch besiedelt, aber auf aserbaidschanischem Territorium, erklärte sich für unabhängig - wird allerdings nicht als Staat anerkannt. Seit 1994 galt in der Region eine brüchige Waffenruhe.
Maximilian Popp, DER SPIEGEL
"Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan war von Beginn an auch ein internationaler Stellvertreterkrieg. Vor allem die Türkei spielte eine wichtige Rolle. Die türkische Regierung hat zum Beispiel syrische Söldner in den Kaukasus entsandt und Aserbaidschan mit Drohnen unterstützt. Russland wiederum hat sich lange eher zurückgehalten. Am Ende war es dann doch Wladimir Putin, der diesen entscheidenden Waffenstillstand nun ausgehandelt hat. Moskau macht damit deutlich, dass ohne den Kreml im postsowjetischen Raum nicht viel passieren kann."
Während der vergangenen fünf Wochen konnte Aserbaidschan einen Teil des Gebiets erobern. Im neuen Waffenstillstandsabkommen sichert Armenien nun zu, sich aus der sogenannten Pufferzone um das Kerngebiet Bergkarabachs zurückzuziehen. Knackpunkt dürfte ein schmaler Korridor werden, der Bergkarabach mit Armenien verbindet.
Maximilian Popp, DER SPIEGEL
"In den vergangenen Monaten sind ganze drei Waffenruhen in Bergkarabach gescheitert. Dieses Mal könnte es anders kommen. Es gibt einen entscheidenden Unterschied. Russland schickt Peacekeeper in die Region und es ist nicht wahrscheinlich, dass sich eine der beiden Kriegsparteien darüber hinwegsetzen wird. Was auffällt ist, dass die internationale Gemeinschaft bei diesem Konflikt wie schon in Nordsyrien, wie schon in Libyen eigentlich keine Rolle spielt. Am Ende waren es wieder der Präsident der Türkei, Erdoğan und der russische Machthaber Putin, die diesen Waffenstillstand ausgehandelt haben und die nun über die Geschicke in der Region entscheiden."
Das Leid trägt die Zivilbevölkerung. Etwa 100.000 Menschen waren in den vergangenen Wochen nach massivem Beschuss aus den Dörfern und Städten geflohen, die meisten nach Armenien.
Maximilian Popp, DER SPIEGEL
"Eine der ganz wichtigen Fragen, die sich nun stellt, ist: Was passiert mit den Menschen, die aus der Region geflohen sind, mit den Vertriebenen? Können sie in ihre Häuser zurückkehren? Sind Sie sicher? Die Uno soll diesen Prozess koordinieren, einerseits. Andererseits hat der Präsident Aserbaidschans, Alijew, die Armenier als 'Hunde' beschimpft, hat mit ethnischen Säuberungen gedroht. Also da gibt es ein ganz großes Fragezeichen."