Bergkarabach-Konflikt Russland setzt Waffenstillstand im Kaukasus durch

Wladimir Putin und Ilham Alijew beim Unterzeichnen der gemeinsamen Erklärung Russlands, Aserbaidschans und Armeniens am 9. November 2020
Foto: AZERBAIJAN PRESIDENTÕS PRESS OFFICE HANDOUT/EPA-EFE/ShutterstockDas Ende kam überraschend schnell: Der militärische Konflikt im Südkaukasus zwischen Armenien und Aserbaidschan wurde in der Nacht zu Dienstag gestoppt – mit einem Waffenstillstandsabkommen zwischen Russland, Armenien und Aserbaidschan.
Das Abkommen folgt nur einen Tag auf den entscheidenden Sieg Aserbaidschans im Kampf um die umstrittene Region Bergkarabach – der Einnahme der strategisch wie symbolisch wichtigen Stadt Schuscha (armenisch: Schuschi). Der Konflikt hatte seit Ende September mehr als hundert Zivilisten und Tausende Kämpfer auf beiden Seiten das Leben gekostet.
Das kurze Dokument – eine gemeinsame "Erklärung" von Präsident Wladimir Putin, Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew und dem armenischen Premier Nikol Paschinjan – wurde zuerst vom Kreml veröffentlicht. Es wird vermutlich auf Jahre hinaus die neue Lage im Südkaukasus fixieren. Was sind seine Kernpunkte?

Auf dem Weg nach Bergkarabach: Russische Friedenstruppen steigen in ein Militärflugzeug ein
Foto: - / dpaAm wichtigsten ist: Das Abkommen ist so robust, dass es halten kann. Es enthält die Entsendung einer Friedensmission aus knapp 2000 russischen Soldaten. Alle bisher vereinbarten Waffenruhen sind bisher nach kürzester Zeit gescheitert – diese wohl nicht. Keine der Kriegsparteien kann es sich leisten, Moskaus Truppenpräsenz zu missachten. Sie ist zunächst auf fünf Jahre festgelegt.
Wie zu erwarten, spiegelt sich Armeniens militärische Niederlage im Dokument klar wider. Zwar muss Aserbaidschan seine Truppen auf der gegenwärtigen Frontlinie anhalten und darf nicht weiter vorrücken. Aber Armenien verpflichtet sich, Territorien zu räumen, die es Anfang der 1990er als Pufferzone um das eigentliche Bergkarabach herum besetzt hatte. Das mehrheitlich armenisch besiedelte Autonomiegebiet Bergkarabach (das sich von Aserbaidschan losgesagt hatte) war damals großzügig um sieben weitere Bezirke ergänzt worden, aus denen Armenien die aserbaidschanische Bevölkerung vertrieben hatte.
Glück im Unglück für Armenien: Immerhin ist die Türkei, die Aserbaidschan in diesem Krieg tatkräftig unterstützte, nicht am Abkommen beteiligt. Offiziell jedenfalls ist im Dokument von ihr nicht die Rede, sie hat es auch nicht unterzeichnet. Türkische Friedenstruppen – ein Albtraum für die armenische Seite – werden nicht erwähnt. Das Fehlen der Türkei ist das auffälligste Element am Dokument, und zugleich auch das umstrittenste.
Denn sowohl die Türkei wie auch Aserbaidschan sagen nun, dass türkische Militärs sehr wohl eine Rolle bei der Friedenssicherung spielen werden, und zwar in jenem "Friedenssicherungs-Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe", das laut Dokument geschaffen werden soll. "Davon steht kein Wort in der Erklärung, darüber gibt es keine Abmachung der drei Seiten, die Präsenz türkischer Soldaten in Karabach wurde nicht vereinbart", sagte hingegen Kremlsprecher Dmitrij Peskow. Aber es ist keine Frage, dass der Einfluss der Türkei nach diesem Krieg in der Region gestiegen ist. Wird es faktisch neben offiziellen russischen Friedenstruppen auch inoffizielle türkische geben?
Zwei Korridore wurden vereinbart, die die Verflechtung der Seiten miteinander und mit Russland deutlich machen. Zum einen soll Armenien weiter einen Zugang zu jenem Teil Bergkarabachs haben, der noch unter seiner Kontrolle ist. Dieser Korridor von fünf Kilometer Breite wird von russischen Truppen gesichert. Umgekehrt muss Armenien aber erstmals Aserbaidschan Zugang zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan gewähren – in Form einer Transitstraße, die über armenisches Territorium führt und deren Verkehr von russischen Grenztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB kontrolliert werden soll. Da Nachitschewan seinerseits an die Türkei grenzt, hätte Aserbaidschan so erstmals seit seiner Unabhängigkeit eine direkte Verbindung auch mit der befreundeten Türkei.

Menschen feiern das Waffenstillstandsabkommen in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku
Foto: TOFIK BABAYEV / AFPUnd so schreibt das Dokument am Ende auch Russlands gewachsene Rolle fest. Russland hat sich – anders als die Türkei – aus dem Konflikt weitgehend herausgehalten, trotz enger Beziehungen zu Armenien. Nun hat es nicht nur einen deutlich höheren Einfluss auf Armenien. Es hat auch eine militärische Präsenz auf dem Territorium Aserbaidschans – dem einzigen Staat des Südkaukasus, auf dessen Gebiet es bisher noch keine Truppen hatte.
Und schließlich lässt der Text viele wichtigen Fragen offen – wie nicht anders zu erwarten bei einer unter Zeitdruck ausgehandelten Waffenruhe: Welcher rechtliche Status wird jenem Teil Bergkarabachs, der unter armenischer Kontrolle verbleibt, in Aussicht gestellt? Darüber schweigt der Text.
Und die Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen wird zwar angesprochen – sie soll unter der Leitung des Flüchtlingshilfswerks UNHCR stattfinden. Aber wem und wie die Rückkehr im Einzelnen ermöglicht wird, und wie sicher sich Rückkehrer fühlen können, bleibt unklar.