Gespenstische Ruhe in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die von Putin befehligten Truppen rücken weiter auf die Millionenstadt vor, die Behörden lösten in der vergangenen Nacht mehrfach Luftalarm aus. Die Bewohner sollten sich in Bunkern in Sicherheit bringen.
Christoph Reuter, DER SPIEGEL
»Kiew fühlt sich an wie eine verlassene Stadt. Mehr als eine Million ihrer drei Millionen Einwohner soll die Hauptstadt der Ukraine bereits verlassen haben. Vor allem Frauen und Kinder fliehen nach Westen, versuchen, sich durchzuschlagen über die Grenze nach Polen, nach Ungarn. Die Männer zwischen 18 und 60 dürfen das Land nicht verlassen. Viele haben sich den Heimatschutzverbänden in den Vororten angeschlossen, stehen an den Barrikaden und Straßensperren.«
… und bauen sie auch selbst. Wie auf diesem Hof einer der größten Baufirmen der Stadt.
Dmytro Bilotserkovets, Ratsmitglied Kiew
»Wegen des Kriegs machen die Arbeiter jetzt etwas anderes. Sie helfen unserer Stadt, Panzerabwehr-Igel herzustellen.«
Die Motivation der Arbeiter scheint grenzenlos. Sie treibt der Wille, ihr Land um jeden Preis zu verteidigen.
Zakhar Povydysh, Vorarbeiter
»Am ersten Tag, als Russland die Ukraine verräterisch angriff, als sie anfingen, unsere Grenzen zu überschreiten, als die nahegelegenen Städte in Flammen aufgingen, da fing das Blut in allen von uns zu kochen. Uns war klar, dass wir als Bauarbeiter nicht wissen, wie man kämpft, aber dass wir nützlich sein könnten. // Und wenn uns das Metall ausgeht, machen wir Molotowcocktails.«
Serhiy Serdyuk, Schweißer
»Wir werden der russischen Armee das Rückgrat brechen. Wir haben es schon angeknackt und werden es brechen.«
Dmytro Bilotserkovets, Ratsmitglied Kiew
»Sie müssen verstehen: Wir sind wie ein Ameisenstaat. Jeder weiß, was zu tun ist. Deshalb kann Putin nicht gewinnen, wir werden gewinnen.«
Doch nicht alle Bewohner der Millionenstadt dürften so siegessicher sein.
Christoph Reuter, DER SPIEGEL
»Alle beherrscht die Angst davor, dass die russische Armee morgen, in ein paar Tagen, vielleicht in einer Woche, ihren Ring um die Stadt schließen wird und eine Belagerung beginnt, von der niemand weiß, wie lange sie dauern wird.«
Bilder, die das russische Verteidigungsministerium veröffentlicht hat, sollen zeigen, wie die Armee-Einheiten weiter auf die Hauptstadt vorrücken. Auch Satellitenbilder dokumentieren den Vormarsch der russischen Truppen – auch wenn dieser vermutlich deutlich langsamer vorangeht als von Putin geplant. Von allen Seiten versuchen die russischen Truppen in diesen Tagen, den Ring um Kiew nach und nach zu schließen. Es gilt als Putins wichtigstes strategisches Ziel, die Hauptstadt einzunehmen.
Christoph Reuter, DER SPIEGEL
»Es fühlt sich an wie ein grausames Experiment mit einer Millionenstadt, die jählings vor der Frage steht: Was soll ich tun? Soll ich fliehen? Soll ich zu Hause bleiben? Hoffen, dass es vorübergeht? Soll ich kämpfen? Vielleicht sterben für die Verteidigung meiner Stadt, meines Landes? Was ich mir vor einer Woche niemals gewagt hätte auszumalen. Das sind die Fragen, vor denen die Kiewer, aber alle Ukrainer und Ukrainerinnen dieser Tage stehen.«