Johnson auf Intensivstation Wer regiert jetzt das Königreich?

Premier Boris Johnson: Hat dem Virus lange die Türen in oberste Regierungskreise offengehalten
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Eigentlich wollte Boris Johnson das Vereinigte Königreich über einen Sonderweg aus der Pandemie führen. Stattdessen breitete sich das Virus unter Toppolitikern aus, der Premier erkrankte selbst an Covid-19, liegt nun auf der Intensivstation und muss sich vertreten lassen. Wie konnte das passieren - und wer ist sein Ersatz? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was ist über Johnsons Gesundheitszustand bekannt?
Am Sonntagabend, zehn Tage nach Bekanntgabe seiner Infektion, wurde der Premier in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert. Zunächst hieß es, er sei "vorsorglich" für Routinetests in die Klinik gebracht worden. Am Montag verschlechterte sich sein Zustand dann nach Angaben der Regierung. Gegen Abend wurde er auf die Intensivstation verlegt.
Berichte, wonach er künstlich beatmet werden müsse, wurden aus Regierungskreisen dementiert. "Er hat künstlichen Sauerstoff erhalten und einer der Gründe, warum er auf die Intensivstation verlegt wurde, ist, dass er dort sofort weitere Hilfe erhalten könnte", sagte sein Kabinettsmitglied und Vertrauter Michael Gove der BBC. Mediziner hatten den Schritt zuvor vor britischen Medien als ernstes Signal gewertet.
Wer führt jetzt das Land?
Zu Anfang seiner Erkrankung regierte Johnson das Land noch betont lässig aus dem Homeoffice und gab in vereinzelten Statusmeldungen weiterhin den starken Mann. Außer etwas Fieber und "kleineren Symptomen" gehe es ihm besser, versicherte er noch grinsend nach einer Woche in Isolation. Seitdem dies offensichtlich nicht mehr der Fall ist, muss der nächsthöchste Minister das Land durch die Krise führen: Dominic Raab.

Außenminister und Premier-Ersatz Dominic Raab verlässt Johnsons Amtssitz in der Downing Street am Dienstag nach einem Corona-Krisentreffen
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Der 46-jährige Außenminister leitet nun bis auf Weiteres alle Kabinetts- und Krisensitzungen der Regierung. Raab gehört zum loyalen inneren Kern von Johnsons Regierungsstab. Ein verbindendes Element zwischen den beiden ist der Brexit: Seit dem Volksentscheid über den Austritt aus der EU profilierte sich der Jurist als Hardliner für den EU-Austritt. Nachdem die damalige Premierministerin Theresa May 2018 einem Entwurf der EU-Kommission für ein Austrittsabkommen zugestimmt hatte, trat Raab aus Protest als deren Brexit-Minister zurück. Im Rennen um ihre Nachfolge als Tory-Vorsitzender trat er gegen Johnson an - fügte sich diesem jedoch sofort nach seinem Ausscheiden in der zweiten Vorrunde. Kaum zum neuen Vorsitzenden der Konservativen und somit zu Premier ernannt, beförderte Johnson ihn zum Dank im Juli 2019 zum Außenminister.
Raab muss als Vertreter des Premiers in der aktuellen Situation weitaus mehr leisten, als operative Standardaufgaben abzuhandeln. In den kommenden Tagen wird er Entscheidungen treffen müssen, die an den grundlegenden Rechten der Briten rühren: Wie lange soll der Lockdown fortgeführt werden - und, müssen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens womöglich noch intensiviert werden? Neben diesen drängendsten Entscheidungen muss Raab außerdem schon jetzt für die Zukunft vorsorgen und eine Infrastruktur für großflächige Tests schaffen - und für Massenimpfungen, sobald ein Impfstoff verfügbar ist.
Parteikollegen sprachen Raab vor britischen Medien ihren Rückhalt aus - vor allem andere Brexit-Befürworter. "Was die Regierung anbelangt, müssen wir uns überhaupt keine Sorgen machen", sagte etwa der frühere Parteichef Ian Duncan Smith der BBC. Raab sei "mehr als fähig, diese Rolle zu übernehmen".
Warum konnte sich das Virus ungebremst unter den Politikern ausbreiten?
Raab, so scheint es, ist als Gesunder fast eine Ausnahme in den vordersten Reihen des britischen Staatsapparats. Er wurde nach zeitweisem Husten zweimal negativ auf das Virus getestet.
In Westminster hatte das Virus aus zwei Gründen freie Bahn: Zum einen ebnete Johnson selbst den Weg, indem er erst spät auf Abstand statt auf Herdenimmunität durch Ansteckung setzte. Als in anderen Ländern schon längst auf Videokonferenzen umgeschaltet wurde, tagten in London das Parlament und die Ausschüsse, als sei nichts gewesen.
Der Premier selbst traf sich noch bis vor Kurzem zu persönlichen Besprechungen mit anderen Politikern - und gab mehrmals an eng beisammenstehenden Pulten Pressekonferenzen mit den ranghohen Gesundheitsbeauftragten. Gesundheitsminister Matt Hancock gab noch am gleichen Tag wie Johnson bekannt, dass er positiv getestet worden sei und sich deshalb zu Hause in Quarantäne begebe, der medizinischer Chefberater Chris Whitty folgte kurze Zeit später. Dass ausgerechnet drei der wichtigsten mit der Gesundheitsnotlage betrauten Politiker und Berater sich gegenseitig angesteckt haben könnten, ist angesichts von Johnsons ernstem Zustand mehr als nur eine fahrlässige Unterschätzung der Situation.

Ganz viel Nähe: Premier Boris Johnson zwischen dem medizinischen Chefberater Chris Whitty und dem obersten wissenschaftlichen Berater Patrick Vallence
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Zum anderen erschweren die historischen Räume Distanz. Im House of Commons sitzen die Abgeordneten Schulter an Schulter auf ihren Bänken, Abstandhalten ist beinahe ausgeschlossen. Und in 10 Downing Street verbindet ein labyrinthartiges Geflecht aus teppichbelegten Gängen die Wohnung und Büros des Premiers mit dem Sitz des Finanzministers in Hausnummer 11 und Nummer 9, dem Kabinettsbüro. Zusammen mit Johnson lebt seine schwangere Verlobte in dem Regierungssitz, außerdem ging während seiner Quarantäne Chefstratege Dominic Cummings ein und aus. Beide haben sich mittlerweile ebenfalls mit Symptomen isoliert.
Die Verbindungstüren zu den angrenzenden Regierungsgebäuden sind nun angeblich geschlossen - lange Zeit war das Gängesystem hinter der berühmten schwarzen Tür jedoch wohl ein Viren-Port - und die Möglichkeit der Ausbreitung von oberster Stelle toleriert.