Brasiliens Präsident Bolsonaro Der Gefährder

Trotz zahlreicher Corona-Fälle in Brasilien tut Machthaber Jair Bolsonaro das Virus als "Fantasie" ab. Und treibt sein Land in eine doppelte Krise.
Von Jens Glüsing und Marian Blasberg, Rio de Janeiro
Virusleugner Bolsonaro: Die Fakten sprechen gegen ihn

Virusleugner Bolsonaro: Die Fakten sprechen gegen ihn

Foto:

ADRIANO MACHADO/ REUTERS

Es waren verstörende Bilder, die das brasilianische Fernsehen am Sonntag aus der Hauptstadt sendete: Obwohl das Gesundheitsministerium wegen Corona angeordnet hatte, größere Versammlungen zu meiden, strömten Hunderte Demonstranten vor den Regierungssitz des Präsidenten in Brasilia.

Auf den Plakaten forderten sie die Schließung des Kongresses und des Obersten Gerichts. Viele verlangten die sofortige Übernahme der Macht durch das Militär. Sie folgten dem Aufruf des rechtsextremen Präsidenten, der die demokratischen Institutionen seines Landes zunehmend als Last betrachtet.

Jair Bolsonaro überhörte die Warnungen seines eigenen Ministers. An dem Tag, an dem die bestätigten Corona-Fälle in Brasilien auf 200 anstiegen, trottete er in einem Hemd der Nationalmannschaft die Rampe des Palasts hinunter und nahm ein Bad in der Menge. Bolsonaro schüttelte Hände. Er umarmte Leute. Er schnappte sich die Smartphones Dutzender Anhänger und knipste Selfies. Nicht einmal eine Maske trug er dabei.  

"Attentat auf die öffentliche Gesundheit"

Als "Attentat auf die öffentliche Gesundheit" bezeichnete Rodrigo Maia, der Präsident des Kongresses, den Auftritt. Bolsonaro hätte sich eigentlich in Isolation befinden sollen. Nach einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump in dessen Golfresort Mar-a-Lago waren in der vergangenen Woche 13 Mitglieder seiner Delegation positiv auf Corona getestet worden, unter anderem sein Kommunikationschef, der designierte Botschafter in Washington und ein Senator, der erklärte, nach seiner Rückkehr den halben Kongress umarmt zu haben.

Auch wenn sich Bolsonaro selbst nicht angesteckt hat, hofften viele, dass die Sorge um eine mögliche Erkrankung wie ein Weckruf wirken würde. Bolsonaro ist 64, nach einem Messerangriff im Wahlkampf 2018 hat er sich mehreren Operationen unterziehen müssen. Er gehört zur Risikogruppe.

Trotz der Bedrohung durch das Coronavirus demonstrierten in Brasilien Bolsonaro-Anhänger am Wochenende gegen den Kongress

Trotz der Bedrohung durch das Coronavirus demonstrierten in Brasilien Bolsonaro-Anhänger am Wochenende gegen den Kongress

Foto: Silvia Izquierdo/ dpa

Im Gegensatz zu seinem Amtskollegen Trump, der seinen leichtsinnigen Corona-Kurs inzwischen korrigiert hat, erklärte Bolsonaro jedoch lediglich, dass er ein Mann des Volkes sei. Wenn er sich infiziere, sei das seine Sache.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Bolsonaro Erkenntnissen der Wissenschaft verweigert. Er leugnet den Klimawandel. Als im vergangenen Jahr der Amazonas-Regenwald in Flammen stand, bestritt er, dass dies an einer zunehmenden Abholzung des Waldes liegt.

Jetzt spricht er im Hinblick auf das Coronavirus von einer "Fantasie" und einer - von den Medien geschürten - "Hysterie". Sein Land, glaubt er, werde ohne größere Schäden durch diese "kleine Krise" kommen.

Die Intensivstationen sind voll

Die Fakten sprechen gegen ihn. In den Jahren der Wirtschaftskrise ist das öffentliche Gesundheitssystem in Brasilien verkommen. In einer Millionenstadt wie Rio de Janeiro, wo inzwischen die ersten lokalen Fälle gemeldet werden, sind die Intensivstationen in den Krankenhäusern schon jetzt ausgelastet. 1691 Betten hätten sie, sagte am Montag der Gouverneur Wilson Witzel . Weil davon zurzeit kein einziges verfügbar ist, gibt es die Überlegung, im Hafen liegende Kreuzfahrtschiffe zu Lazaretten umzubauen.

In einem Augenblick wie diesem, in dem es auf das Verhalten jedes Einzelnen ankommt, kann es fatale Folgen haben, wenn der Präsident den Ernst der Lage nicht erkennt. Viele Bars und Restaurants bleiben geöffnet, noch am Wochenende bevölkerten Zehntausende Menschen die Strände.

Bolsonaro treibt Brasilien in eine doppelte Krise: Während das Virus seine volle Wucht entfaltet, unterzieht der Präsident das Land und seine Institutionen dem größten politischen Stresstest seit dem Militärputsch 1964.

Der Präsident stellt sich als Opfer der Institutionen dar, die von einem korrupten Establishment beherrscht würden. Das Parlament und das Oberste Bundesgericht hätten einen "Machtkampf" gegen ihn begonnen, klagte er am Montag in einem Interview. Die Abgeordneten versuchten, ihn zu isolieren, das käme einem "Putsch" gleich.

Tatsächlich hat er Probleme, viele seiner Projekte durch den Kongress zu bringen, weil ihm Mehrheiten fehlen. Deshalb rief er seine Anhänger zu Demonstrationen auf: Er will eine Machtprobe zwischen "dem Volk" und den demokratischen Institutionen erzwingen. Das Virus droht diesen Showdown zu überschatten, deshalb spielt er die Krise herunter.

Kampf gegen die Demokratie

Bolsonaro hat die Demokratie immer verachtet, daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Seine offen zur Schau getragene Sympathie für eine Militärdiktatur war ein Grund für seinen Wahlsieg: Viele Brasilianer misstrauen ihren Abgeordneten. Sie sehnen sich nach einem starken Mann an der Spitze.

Bolsonaro sei von über 57 Millionen Brasilianern gewählt worden, twitterte sein Sohn Eduardo am Montag als Reaktion auf die Kritik an seinem Vater. Eine Umfrage hatte vor Kurzem ergeben, dass er in zwei Jahren gute Chancen für eine Wiederwahl hätte.

Aber gilt das auch noch in Zeiten von Corona? Wie groß ist sein Rückhalt in der Bevölkerung wirklich? Wie wird sich das Militär verhalten, wenn Bolsonaro das Duell mit dem Parlament auf die Spitze treibt?

Präsidenten Trump und Bolsonaro: Umarmungen können in diesen Zeiten toxisch sein

Präsidenten Trump und Bolsonaro: Umarmungen können in diesen Zeiten toxisch sein

Foto: Alex Brandon/ dpa

Immer mehr Politiker spekulieren über eine Amtsenthebung des Präsidenten. "Bolsonaro muss gehen", forderte die Anwältin und Abgeordnete Janaína Paschoal, eine der Urheberinnen des Amtsenthebungsverfahrens gegen die Präsidentin Dilma Rousseff.

Paschoal hatte Bolsonaro bis vor wenigen Monaten noch unterstützt und war während des Wahlkampfs sogar als Vizepräsidentin im Gespräch gewesen. Andere schlagen vor, den Präsidenten auf seine geistige Gesundheit zu untersuchen.

Doch noch scheuen die meisten Abgeordneten und obersten Richter vor einer offenen Konfrontation mit Bolsonaro zurück. Viele fürchten offenbar, dass sich der Konflikt in einem Ausbruch von Gewalt entladen könnte.

"Putsch nach bolivianischem Vorbild"

Die Milizen, die weite Teile von Rio de Janeiro kontrollieren und eng mit dem organisierten Verbrechen verbunden sind, stellten eine nicht zu unterschätzende Machtbasis für den Bolsonaro-Clan dar, warnte der Wirtschaftsexperte Paulo Nogueira Batista, ein ehemaliger leitender Direktor des Weltwährungsfonds, in der Zeitung "Folha de S. Paulo":  Sie fühlten sich durch ihre Beziehung zum Präsidenten "gestärkt und ermutigt".

Die Regierung hat Waffenkäufe und die Anforderungen für einen Waffenschein erleichtert. Das könne Vorarbeit für einen "Putsch nach bolivianischem Vorbild" sein, sagt Nogueira: "Paramilitärische Kräfte der extremen Rechte, die bis an die Zähne bewaffnet sind, und sich darauf vorbereiten, zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Zustimmung und Hilfe offizieller Kräfte Gewalt anzuwenden".

Die Streitkräfte, die in Brasilien seit Bolsonaros Amtsantritt praktisch mitregieren, sind über die Frage gespalten, bis zu welchem Punkt sie Bolsonaro folgen. General Augusto Heleno, der Hardliner im Kabinett und eine Art Vaterfigur für Bolsonaro, hatte selbst zu den Demonstrationen gegen das Parlament aufgerufen. Ihm ist zuzutrauen, dass er einen Putsch gegen die Institutionen mittragen würde.

General Hamilton Mourão, der Vizepräsident, verhält sich hingegen verdächtig still: Er könnte von einem Amtsenthebungsverfahren profitieren. In der Vergangenheit hat er versucht, sich als besonnene Alternative zu Bolsonaro zu präsentieren und damit dessen Anhänger verprellt.

Ob Bolsonaros Konfrontationskurs aufgeht, dürfte sich nicht zuletzt an einem Faktor entscheiden, auf den er keinen Einfluss hat: "Die Wiederwahl von US-Präsident Trump ist ein wesentliches Element für Bolsonaros Plan B", schreibt Wirtschaftswissenschaftler Nogueira. Ohne Rückhalt aus Washington würde er wohl kaum einen offenen Putsch gegen das Parlament riskieren. Das erklärt auch die Unterwürfigkeit, mit der Bolsonaro Trump in Miami hofierte.

Nur hatten die Teilnehmer des Verbrüderungsdinners nicht bedacht, dass Umarmungen in diesen Zeiten toxisch sein können.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren