Brexit-Verhandlungen Johnson setzt auf die Superman-Methode

Boris Johnson: "Bereit für ein multidimensionales Schachspiel"
Foto: WPA Pool/ Getty ImagesDonnernden Applaus spendeten Diplomaten und Wirtschaftsvertreter an diesem Montag Boris Johnson, als er in London skizzierte, wie er sich die kommenden Verhandlungen Großbritanniens mit der EU vorstellt. Ihren dramaturgischen Höhepunkt fand die Rede des Premiers in einem Vergleich seiner Regierung mit Superman. Die Mission: der Welt den Freihandel zurückbringen, eine urbritische Tugend, die viel zu lange von Merkantilisten und Protektionisten zwischen Washington, Peking und Brüssel kleingehalten worden sei.
Gerade jetzt, in einer Zeit, in der die Angst vor dem Coronavirus Märkte voneinander abschotte, bräuchten die Menschheit irgendwo "ein Land, das bereit ist, seine Clark-Kent-Brille abzunehmen", sich also wie Superman von seiner bürgerlichen Identität zu lösen. Großbritannien müsse "mit wehendem Mantel und Superkräften" hervortreten, um sich dann "für das Recht der Erdbevölkerung einzusetzen, frei miteinander Handel zu treiben", sagte Johnson.
"Ich sehe keine Notwendigkeit, uns an eine Vereinbarung mit der EU zu binden"
Seit dem Wochenende sind die Briten nicht mehr Teil der EU, elf Monate bleiben Brüssel und London noch, um sich auf Verträge zu einigen, die das zukünftige Verhältnis zueinander regeln. Die erhoffte inhaltliche Substanz lieferte der Premier allerdings nicht - er blieb bei seinen Forderungen nach größtmöglichem Zugang zum EU-Binnenmarkt, lehnt jedoch eine vertragliche Festlegung auf EU-Standards ab.
"Ich sehe keine Notwendigkeit, uns an eine Vereinbarung mit der EU zu binden", sagte Johnson. Schließlich schriebe das Königreich ohnehin in vielen Bereichen wie dem Mindestlohn, der Elternzeit und dem Tierschutz höhere Standards vor, als die EU - und verlange von der EU ja auch nicht, sich auf britisches Recht einzulassen.
Britischer Außenminister warnt EU
Spätestens jetzt ist klar: Es wird ein zähes Verhandeln werden. Denn die Position der EU, bevorteilten Zugang zum Markt werde es nur mit vertraglichen Zusagen zu geltenden Standards geben, steht seit Monaten.
Es müssten faire Bedingungen herrschen im Wettbewerb zwischen britischen und EU-Unternehmen, sagte EU-Chefverhandler Michel Barnier etwa gleichzeitig in Brüssel. Die Briten müssten sich weitgehend an die Regeln der EU halten, sofern sie auch in Zukunft mit der EU ohne Zölle und Quoten Handel treiben wollten.
Während Johnson bei aller inhaltlichen Oberflächlichkeit offensichtlich bemüht war, den Ton freundlich zu halten und ein Augenmerk auf die ohnehin gegebene Verbundenheit durch "historische, geografische Fakten, Sprache, Kultur, Instinkt und Gefühle" beschwor, wurde der Ton in der zweiten Reihe rauer.
Der britische Außenminister Dominic Raab warf der EU vor, falsch zu spielen, indem sie verlange, Handelskonflikte vom Europäischen Gerichtshof entscheiden zu lassen. Sollte sich dieses Verhalten nicht ändern, "werden wir kein positives Abkommen haben", sagte Raab der BBC.
"Wenn man so verwegen harte rote Linien zieht, wird es schwierig"
Irlands Premierminister Leo Varadkar antwortete prompt auf die Drohgebärden Raabs: Die britische Regierung solle ihr "nationalistisches Gerede" unterlassen und nicht ihre Fehler der vergangenen Jahre wiederholen. "Wenn man so verwegen harte rote Linien zieht, wird es schwierig sein, sich zu einigen", so Varadkar.
Andere EU-Politiker hatten die latent aggressive Stimmung schon vor Verhandlungsstart befeuert. Der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, inzwischen Vorsitzender der christdemokratischen Europäischen Volkspartei, provozierte etwa mit der Aussage, jeder in Brüssel wäre "begeistert", wenn ein unabhängiges Schottland die Aufnahme in die EU beantragen würde. Er selbst fühle sich jedenfalls seit dem Brexit besonders schottisch, sagte er der BBC. Raab warf Tusk daraufhin nicht nur verantwortungsloses, sondern auch "uneuropäisches" Verhalten vor.
Johnson setzt auf Nerven, Muskeln und Instinkte
Mit Äußerungen wie diesen erinnern die Briten an ihre Verhandlungstaktik beim Ringen um den Brexit-Deal. Damals setzten sie bis zuletzt das Szenario eines ungeregelten Austritts als Drohmittel ein. Johnson sagte in seiner Rede, es gehe nicht um "Deal oder No Deal". Die Frage sei, ob man eine Einigung erziele, die dem Kanada-Modell entspreche, oder dem Australien-Modell: Die EU hat - nach siebenjähriger Verhandlung - mit Kanada ein Freihandelsabkommen, mit Australien nicht.
Johnson prophezeite seinem Publikum noch, das Königreich werde alsbald wie aus einem langen Winterschlaf erwachen. "Wir werden unsere Nerven, Muskeln und Instinkte nutzen, die dieses Land seit einem halben Jahrhundert nicht genutzt hat", sagte er. Zumindest, was die Nerven angeht, muss sich Brüssel wohl auf den Kurs des Premiers einlassen.