Brexit EU bietet London "ehrgeiziges Handelsabkommen" an

EU-Chefunterhändler Michel Barnier: "Offenen und fairen Wettbewerb" mit der EU
Foto: FRANCOIS LENOIR/ REUTERSDie EU ist bereit, künftig auf Zölle und Einfuhrquoten auf alle Waren zu verzichten, die aus Großbritannien in den Binnenmarkt kommen. Das stellte EU-Verhandlungsführer Michel Barnier in Aussicht. Die EU sei bereit, "ein sehr ehrgeiziges Handelsabkommen" als "zentralen Pfeiler" der künftigen Partnerschaft mit London zu schließen, sagte er in Brüssel.
Für ein solches Abkommen gebe es aber zwei Bedingungen. Einerseits müsse sich Großbritannien verpflichten, künftig in einen "offenen und fairen Wettbewerb" mit der EU zu treten und nicht darauf abzielen, EU-Standards zu unterlaufen, sagte Barnier. Hierfür müsse es "wirksame Garantien" geben, die dauerhaft Geltung hätten. Barnier nannte insbesondere die Bereiche Klimapolitik, Steuern und Staatsbeihilfen.
Zweite Bedingung sei, dass das "Handelsabkommen eine Vereinbarung zur Fischerei enthalten muss", sagte Barnier weiter. Hier müsse der gegenseitige Zugang zu Märkten und Fischereigründen nach Quoten vereinbart werden.
Die EU wolle in das Handelsabkommen auch "den digitalen Handel, Urheberrechte und den Zugang zu unseren jeweiligen Beschaffungsmärkten" aufnehmen, sagte Barnier. Selbst bei einer Einigung auf ein ehrgeiziges Abkommen sei aber schon jetzt klar, dass es nicht "business as usual" zwischen beiden Seiten geben werde. Es werde "zwei getrennte Märkte" geben. Damit müssten Regeln für Herkunftsbezeichnungen und Zollformalitäten angewendet werden.
"Keine Zölle, keine Kontingente, kein Dumping"
Der britische Premierminister Boris Johnson hatte zuvor klargestellt, dass er sich auf keinen Fall vertraglich auf die Einhaltung von EU-Standards bei Umweltschutz, Arbeitnehmerrechten und staatlichen Wirtschaftshilfen nach dem Brexit festlegen lassen will. Es gebe für Großbritannien genauso wenig Grund, wegen eines Freihandelsabkommens die Regeln der EU in Kauf zu nehmen, wie andersherum, so Johnson. "Großbritannien wird die höchsten Standards in diesen Bereichen beibehalten, besser in vielerlei Hinsicht als die der EU - ohne den Zwang eines Vertrags, und es ist elementar, das jetzt zu betonen", sagte der britische Premier.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert von Großbritannien Zugeständnisse in den Verhandlungen über ein Handelsabkommen. "Es gibt keinen Freifahrtschein in den Binnenmarkt, sondern immer nur Rechte und Pflichten", sagte sie. Für die EU sei es "eine Frage der Fairness", dass sich London dann auch "an die Regeln hält". Es gehe schließlich "um den größten Binnenmarkt der Welt", sagte von der Leyen. "Nichts ist umsonst." Und die EU müsse "natürlich die Interessen unserer Bürger und europäischer Unternehmen schützen." Je näher das Vereinigte Königreich an den Standards der EU bleibe, "desto einfacher der Zugang zum Binnenmarkt."
Großbritannien war in der Nacht zum Samstag aus der EU ausgetreten. In einer Übergangsfrist bis Jahresende ändert sich aber im Alltag praktisch nichts. Während dieser Zeit wollen sich beide Seiten über die Regelung ihrer künftigen Beziehungen einig werden. Brüssel beharrt im Gegenzug für ein Freihandelsabkommen aber auf gleiche Wettbewerbsbedingungen. Die Formel lautet: "Keine Zölle, keine Kontingente, kein Dumping."
Sollte es keine Einigung geben, droht ein harter Bruch, der in London inzwischen als Australien-Modell bezeichnet wird. Die EU hat mit dem Land bisher nur ein Rahmenabkommen, das unter anderem technische Hürden beim Handel und Regelungen zum Flugverkehr betrifft. Im Großen und Ganzen findet der Handel zwischen Europa und Australien auf Grundlage der Welthandelsorganisation WTO statt. Auf Großbritannien übertragen wäre das dann der gefürchtete No-Deal, mit kaum absehbaren Folgen vor allem für die britische Wirtschaft.