Proteste in Bulgarien Korruption, Machtmissbrauch - und dann dieses Video

Bulgariens Premierminister Bojko Borissow: 500-Euro-Bündel und eine Pistole auf dem Nachttisch?
Foto: NurPhoto/ Getty ImagesBulgariens Schwarzmeerküste ist vielerorts idyllisch - und ein Mekka für korrupte Politiker und Unternehmer. Sie haben lukrative Grundstücke unter sich aufgeteilt, dominieren ganze Geschäftsfelder und bestimmen die Regeln, unabhängig von Gesetzen. Die Öffentlichkeit im Land weiß seit Langem darum. Vielen erschien es bislang als Übel, gegen das sie machtlos sind.
Nun aber sorgt ein symbolträchtiger Fall von Machtmissbrauch für landesweite Empörung. Es geht um ein Stück Strand, in dessen Nähe einer der zwielichtigsten Ex-Politiker Bulgariens residiert und sich unrechtmäßig auf Kosten der Steuerzahler bewachen lässt. Der Fall hat die größten politischen Proteste seit Jahren ausgelöst – seit Tagen demonstrieren im Land Zehntausende Menschen und fordern den Rücktritt der Regierung des rechtskonservativen Premiers Bojko Borissow.
Der Fall zeigt auch, dass Bulgarien nach fast anderthalb Jahrzehnten EU-Mitgliedschaft keine echten rechtsstaatlichen Reformen durchgesetzt hat. Rechtssicherheit ist vom Wohlwollen der Machthaber abhängig, der Justizapparat steht weitgehend unter politischer Kontrolle. Korruptionsfälle werden nur selten geahndet, Journalisten, die darüber berichten, bedroht. Doch weil der Regierungschef Bojko Borissow, anders als etwa Viktor Orbán, außenpolitisch nicht aneckt, ist der bedenkliche innenpolitische Zustand Bulgariens in Brüssel kein Thema.
Hauptprotagonist des aktuellen Falles ist Ahmed Dogan, einer der dienstältesten Politiker Bulgariens, der zur türkischen Minderheit des Landes gehört und 1990 die Minderheitenpartei "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) gründete. Sie erzielt in Wahlen zehn bis 14 Prozent der Stimmen und dient traditionell als Mehrheitsbeschafferin für Regierungen, denen sie meistens nicht angehört.
Dogan, einst IM der bulgarischen Staatssicherheit, ist zwar kein aktiver Politiker mehr, gilt aber weiterhin als einer der einflussreichsten Strippenzieher im Land. Seine Sommerresidenz liegt, abgeschottet und vom staatlichen Personenschutz bewacht, in der Nähe des Strandes Rossenets südöstlich der Stadt Burgas. Obwohl Strände in Bulgarien ausnahmslos öffentlich zugänglich sein müssen, ist die Zufahrt zum Strandstück an Dogans Residenz gesperrt. Auch auf staatlichen Personenschutz hat Dogan kein Anrecht, da er kein öffentliches Amt ausübt.
Bekannt ist das seit Langem. Vergangene Woche nun fuhr der Oppositionspolitiker und Ex-Justizminister Hristo Iwanow mit einem Schlauchboot zu dem Strandstück und wollte dort eine bulgarische Fahne aufstellen – eine per Video dokumentierte PR-Aktion gegen Dogans Machtmissbrauch. Iwanow wurde von Bodyguards unsanft abgedrängt und von Polizisten schikaniert. Hunderttausende Bulgaren sahen sich später die Szenen an. Seither gehen Demonstranten auf die Straße, es kam auch zu Ausschreitungen.
Die Empörung der Demonstranten dürfte mit der besonderen Anrüchigkeit von Dogans Person und seiner Partei zusammenhängen. Zu Dogans Zöglingen gehört beispielsweise der DPS-Politiker Deljan Peewski, der einen großen Teil der bulgarischen Medien kontrolliert. Er war 2014 mitverantwortlich für eine der größten Bankpleiten im postkommunistischen Bulgarien, die das Land in eine schwere Finanzkrise stürzte. Es gibt allerdings auch verbreitete antitürkische Ressentiments gegen Dogan – er ist eine der größten Hassfiguren bulgarischer Nationalisten.
Ein weiterer Auslöser der aktuellen Protestwelle war am Tag nach Iwanows Aktion die Durchsuchung von Büros zweier Mitarbeiter des bulgarischen Staatspräsidenten Rumen Radew. Der Generalstaatsanwalt Iwan Geschew, der als Handlanger des Regierungschefs Borissow gilt, erhebt gegen sie vage Korruptionsvorwürfe.
Im Hintergrund der Aktion steht der eskalierende Konflikt zwischen Staatspräsident Radew, der den oppositionellen Sozialisten nahe steht, und dem Regierungschef. Vor wenigen Wochen waren anonyme Fotos veröffentlicht worden, die Borissow in seinem Schlafzimmer mit 500-Euro-Bündeln und einer Pistole auf dem Nachttisch zeigen. In einer wirren Stellungnahme hatte Borissow offen gelassen, ob die Fotos echt sind, und Radew beschuldigt, ihn auszuspionieren. Radew wiederum hat sich inzwischen an die Spitze der Proteste gestellt und fordert einen Rücktritt von Borissows "Mafia-Regierung".
Bulgarian PM Borissov suggests that his former N. 2 Tzvetan Tzvetanov is behind "kompromat" photos of his bedroom with drawers stuffed with bundles of 500-euro notes published today. pic.twitter.com/mNxx1dKfQk
— Georgi Gotev & EURACTIV.bg (@GeorgiGotev) June 17, 2020
Genug Gründe für Proteste hätten die Bulgaren eigentlich schon seit Langem. Borissow, ehemaliger Karatekämpfer und Polizeibeamter im kommunistischen Innenministerium, regiert mit seiner konservativen Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) seit mehr als einem Jahrzehnt mit kurzen Unterbrechungen. Im Ton gibt sich "Bruder Bojko" kumpelhaft, politisch handelt er autoritär. Viele Bulgaren empfinden das Klima unter ihm als repressiv.
Doch eine glaubwürdige Alternative zu Borissow und GERB ist nicht in Sicht. Die oppositionellen Sozialisten verbuchen in ihren Regierungsbilanzen ebenfalls zahllose unaufgearbeitete Korruptionsskandale. Neben ihnen sind im Parlament ansonsten mehrheitlich Nationalisten und politische Abenteurer vertreten. Viele Bulgaren stimmen aus Mangel an sozialen und politischen Perspektiven mit den Füßen ab – der Exodus aus dem Land ist dramatisch.
Um seine Macht zu retten, will Borissow nun erst einmal die Regierung umbilden und hat drei Minister gefeuert. Nicht ausgeschlossen, dass er auch selbst zurücktritt, wenn die Proteste sich ausweiten: Neuwahlen nach taktischen Rücktritten hat er bisher jedes Mal gewonnen.