Journalist Can Dündar, der Verurteilte »Erdoğan steht mit dem Rücken zur Wand«

Ein türkisches Gericht hat Can Dündar zu einer langen Haftstrafe verurteilt – weil er seine Arbeit als Journalist gemacht hat. Der Richterspruch zeige nur, wie sehr Präsident Erdoğan in Bedrängnis ist, sagt Dündar.
Ein Interview von Maximilian Popp
Journalist Dündar schreibt weiter

Journalist Dündar schreibt weiter

Foto: DAVID GANNON / AFP

Für seine Zeitung war es ein Coup: 2015 druckte Can Dündar als Chefredakteur der türkischen »Cumhuriyet« einen Bericht, der belegte, dass die Regierung des damaligen Premiers und späteren Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan illegal Waffen an Dschihadisten in Syrien lieferte.

Dündar selbst bezahlte für die Veröffentlichung einen hohen Preis. Die Erdoğan-Regierung machte ihm den Prozess. Dündar saß mehrere Monate im Gefängnis, ehe er 2016 nach Deutschland floh. Der Journalist ist heute einer der weltweit bekanntesten Erdoğan-Kritiker.

Am Mittwoch verurteilte ihn ein türkisches Gericht in Abwesenheit zu 27 Jahren und sechs Monaten Haft. Dündar soll Staatsgeheimnisse verraten, für das Ausland spioniert und Terroristen unterstützt haben. Seine Anwälte boykottierten die Verhandlung. Sie sprechen von einem politischen Urteil.

SPIEGEL: Herr Dündar, hat Sie das harsche Urteil überrascht?

Dündar: Nein, nicht wirklich. Die Regierung hat diese Entscheidung über einen langen Zeitraum hinweg vorbereitet. Sie mussten nur noch einen Richter finden, der ein solch absurdes Urteil verkündet. Ich soll ein Spion des syrischen Regimes sein? Das ist doch lächerlich! 

»Ich habe nicht die Geheimnisse der Türkei verraten, sondern die Geheimnisse Erdoğans.«

Can Dündar

SPIEGEL: Die Justiz wirft Ihnen vor, Staatsgeheimnisse verraten zu haben.

Dündar: Ich habe nicht die Geheimnisse der Türkei verraten, sondern die Geheimnisse Erdoğans. Seine Regierung lieferte illegal Waffen an die Dschihadisten in Syrien. Das ist ein Verbrechen. Es ist meine Pflicht als Journalist, darüber zu berichten. Ich habe gerade über die Verhaftung des SPIEGEL-Gründers Rudolf Augstein gelesen. Ihm wurde von der Bundesregierung damals ein ähnliches Verbrechen vorgeworfen wie mir heute von Erdoğan. Die SPIEGEL-Affäre war die Geburtsstunde der Pressefreiheit in Deutschland. Ich wünsche mir, über meinen Fall irgendwann einmal Ähnliches sagen zu können. 

SPIEGEL: Sie sind bereits 2016 nach Deutschland geflohen und leben in Berlin im Exil. Haben Sie vor, jemals wieder in die Türkei zurückzukehren?

Dündar: Sobald Erdoğan die Macht verliert, bin ich zurück. 

SPIEGEL: Manche Oppositionellen nehmen es Ihnen übel, das Land verlassen zu haben, während Ihre Mitstreiter zum Teil nach wie vor im Gefängnis sitzen. 

Dündar: Ich saß im Gefängnis. Wenn das eine Pflicht sein sollte, dann habe ich sie erfüllt. Doch darum geht es nicht. Ich wurde von einem Attentäter mit einem Revolver bedroht. Ich muss in der Türkei nicht nur um meine Freiheit fürchten, sondern um mein Leben.

SPIEGEL: Seit der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel scheint das Interesse der Deutschen für das Schicksal der politischen Gefangenen in der Türkei stark nachgelassen zu haben. Wie nehmen Sie die Situation wahr? 

Dündar: Das ist leider so. Aber das, was in der Türkei passiert, hat immer auch mit Deutschland zu tun. Nicht nur, weil mehr als drei Millionen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland leben.   

SPIEGEL: Die Türkei hat Griechenland mehr oder weniger offen mit Krieg gedroht. Trotzdem bremst Deutschland, wenn es um Sanktionen gegen die Erdoğan-Regierung geht. Ist die Bundesregierung im Umgang mit Ankara zu zahm? 

Dündar: Diesen Eindruck kann man gewinnen, ja. Man muss unterscheiden zwischen Erdoğan und der Türkei. Ich will nicht, dass die Bundesregierung die Türkei bestraft. Aber wenn eine Regierung die Demokratie und Meinungsfreiheit zerstört, so wie es Erdoğan tut, dann kann Deutschland das nicht einfach ignorieren aus kurzfristigen realpolitischen Interessen heraus. 

»Erdoğan fällt nichts anderes ein, als Menschen zu verfolgen und unter Druck zu setzen.«

Can Dündar

SPIEGEL: Die Türkei steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Wie fest sitzt Erdoğan noch im Sattel? 

Dündar: Das Urteil gegen mich zeigt, wie sehr Erdoğan mit dem Rücken zur Wand steht. Erdoğan fällt nichts anderes ein, als Menschen zu verfolgen und unter Druck zu setzen. Er hat keine Antworten auf die Probleme im Land. 

SPIEGEL: Rechnen Sie mit vorgezogenen Neuwahlen? 

Dündar: Die nächsten Wahlen sind für 2023 angesetzt. Ich glaube nicht, dass Erdoğan angesichts der wirtschaftlichen und politischen Krise so lange durchhält. Doch Erdoğan weiß auch, dass er faire Wahlen nicht länger gewinnen kann. Die Frage also ist: Lässt Erdoğan die Menschen überhaupt frei abstimmen? Und was tun wir, falls nicht?

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