Fünfeinhalb Jahre nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" Terror vor Gericht

14 Angeklagte, 94 Anwälte, 200 Nebenkläger, 144 Zeugen: In Paris hat der Prozess gegen Komplizen der "Charlie Hebdo"-Attentäter begonnen. Ein Zeuge erhofft sich davon eine "Lehre für die Geschichte".
Aus Paris berichtet Tanja Kuchenbecker
Justizgebäude in Paris am 2. September

Justizgebäude in Paris am 2. September

Foto: THOMAS COEX / AFP

Drohnen über dem futuristischen Glasgebäude sind verboten, die Sicherheitsvorschriften wurden verschärft. Nicht im alten Justizpalast im Zentrum von Paris, sondern im neuen Justizgebäude am nördlichen Stadtrand begann der historische Prozess um die Attentate auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" 2015.

Wegen Corona wurde eine ganze Etage reserviert, nur jeder zweite Platz im Gerichtssaal ist besetzt. Anwälte, Zivilkläger und Journalisten sind in Extraräumen untergebracht. Die Verhandlung wird auf Bildschirmen übertragen. Zu Beginn des Prozesses wurden die 200 Zivilkläger und Experten aufgerufen. Ein Urteil soll voraussichtlich am 10. November gefällt werden.

Es ist ein gigantischer Aufwand. Neben den 200 Nebenklägern sollen 144 Zeugen gehört werden, 94 Anwälte und 90 Journalisten sind dabei. Angeklagt sind 14 Männer und Frauen, die bei der Vorbereitung geholfen haben sollen. Drei von ihnen wurden noch nicht gefasst und sind möglicherweise schon tot. Die drei Haupttäter waren von Sicherheitskräften erschossen worden. In Frankreichs Medien ist deshalb von einem Prozess der "zweiten Reihe" die Rede. Die Erwartungen sind dennoch groß.

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"Charlie Hebdo"

Foto: BERTRAND GUAY/ AFP

Der Geruch von Blut und Schießpulver

Der islamistische Terrorangriff gegen "Charlie Hebdo" erschütterte Frankreich und die ganze Welt. Vor Gericht geht es aber nicht nur um diese Attacke, sondern um eine mehrtägige Anschlagsserie, bei der im Januar 2015 insgesamt 17 Menschen ermordet wurden. Bei "Charlie Hebdo" starben am 7. Januar 2015 zwölf Menschen, darunter der Zeichner Stéphane Charbonnier. Die Täter, die Brüder Chérif und Said Kouachi, wurden auf der Flucht erschossen. Der Islamist Amedy Coulibaly tötete in den Tagen nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" eine Polizistin im Süden von Paris und vier Geiseln in dem koscheren Supermarkt Hyper Cacher im Osten der Hauptstadt. Er starb durch Kugeln der Polizei, als Spezialkräfte das Gebäude stürmten.

"Ich werde es nie vergessen", sagte François Molin, damals Staatsanwalt und einer der ersten vor Ort bei "Charlie Hebdo", er erinnert sich an einen "Geruch von Schießpulver und Blut". Der Prozess sei eine "Lehre für die Geschichte". Marie-Laure Barré und Nathalie Senyk, die Anwälte der Opfer von "Charlie Hebdo", erklärten: "Die Angehörigen erwarten, dass für Gerechtigkeit gesorgt wird." Auch wenn die wahren Täter nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können.

Die Anschläge sorgten damals für weltweites Aufsehen. Der Solidaritätsslogan "Je suis Charlie", Ich bin Charlie, ging um die Welt. Nach den Attacken demonstrierten Millionen Menschen überall in Frankreich. Paris hielt einen Trauermarsch mit Staats- und Regierungschefs ab, er wurde angeführt vom damaligen Staatspräsidenten François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Recht auf Blasphemie

"Charlie Hebdo" setzte zum Prozessauftakt die schon früher veröffentlichten Mohammed-Karikaturen erneut auf den Titel der neuen Ausgabe. Sie hatten den Islamisten den Anlass für die Anschläge geliefert. Der Hass sei "immer noch da", sagte Laurent Sourisseau, der Direktor der Zeitschrift. Aber man werde sich nicht unterkriegen lassen.

Der Prozess um "Charlie Hebdo" war schon für Mai geplant, wurde aber wegen Corona verschoben. Die Terrorgefahr gilt im Land weiterhin als hoch, aber viel ist seitdem passiert. Frankreich erlebte die Proteste der Gelbwesten, wochenlange Streiks gegen eine geplante Rentenreform. Es wird kaum noch über die Attentate gesprochen, was sich durch den Mammutprozess wieder ändern könnte. Bei islamistischen Terrorakten kamen in Frankreich seit 2015 insgesamt mehr als 250 Menschen ums Leben. Zu den Anschlägen auf die Konzerthalle Bataclan in Paris im Herbst 2015 wird es ein weiteres Gerichtsverfahren geben.

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