Diplomatische Eskalation zwischen den USA und China Houston, wir haben ein Problem

Schaulustige beobachten den Feuerwehreinsatz vor dem chinesischen Konsulat in Houston, Texas
Foto: Mark Mulligan/ dpaEs ist eine Szene wie aus einem Agentenfilm: Im Innenhof eines Gebäudes im texanischen Houston schlagen hohe Flammen aus Mülltonnen. Ein körniges Handyvideo, das wohl ein Anwohner aus einem oberen Stockwerk aufgenommen hat, scheint einen Menschen in hellen Schuhen zu zeigen, der Dokumente in das Feuer wirft. Auch ein Feuerwehrtruck ist zu sehen, der vor dem Gebäude wartet. Doch die Feuerwehrleute greifen nicht ein. Sie dürfen das Gelände nicht betreten - denn es steht unter völkerrechtlichem Schutz: Im 3417 Montrose Boulevard, Houston, Texas, residiert das Konsulat der Volksrepublik China.
Bevor die chinesischen Diplomaten am Dienstag mit der Dokumentenvernichtung begannen, hatte sie eine Anweisung der US-Regierung erreicht: Das Konsulat habe innerhalb von 72 Stunden zu schließen.
Seit die beiden Länder 1979 offizielle diplomatische Beziehungen aufgenommen hätten, habe Washington so einen Schritt noch nie verfügt, sagt der Politikprofessor Cheng Xiaohe von der Pekinger Renmin-Universität. Es ist ein weiterer Tiefpunkt im sich rapide verschlechternden Verhältnis der beiden Supermächte. Was könnte hinter dieser Entscheidung stecken? Und wieso ausgerechnet Houston?
Houston oder San Francisco - wo liegt Chinas konsularische Spionagezentrale?
Die offizielle Begründung lautet, die USA begegneten damit Industriespionage und Einschüchterungsversuchen gegen US-Bürger, an denen in Houston stationierte chinesische Diplomaten beteiligt gewesen seien. Das Konsulat in Houston sei ein "massives Spionagezentrum", seine Schließung überfällig, twitterte der republikanische Senator Marco Rubio.
An die "New York Times" wurde ein Papier der Strafverfolgungsbehörden durchgestochen, das Details der Vorwürfe auflistet:
So seien von dem Konsulat Versuche ausgegangen, medizinische Forschungsergebnisse abzuzapfen und etwa 50 Wissenschaftler aus der Region zur Preisgabe sensibler Informationen zu überreden.
Auf in den USA lebende chinesische Staatsbürger, derer Peking habhaft werden will, sei zudem aus dem Konsulat heraus Druck ausgeübt worden, in die Heimat zurückzukehren.
Der Chinaexperte des Fachmagazins "Foreign Policy", James Palmer, zweifelt indessen an dieser Darstellung. Ein anonymer Mitarbeiter des US-Außenministeriums habe ihm bestätigt, dass die Regierung zunächst das chinesische Konsulat in San Francisco in Betracht gezogen habe.
Wegen dessen Größe und Bedeutung habe man sich aber dagegen entschieden. Tatsächlich, so Palmer, gingen chinesische Geheimdiensttätigkeiten vor allem vom Konsulat in San Francisco aus, in geringerem Ausmaß von den Vertretungen in Chicago und New York.
China als US-Wahlkampfthema
Palmer erscheint ein anderes Motiv wahrscheinlicher: Mit dem Schritt habe Washington Peking dazu zwingen wollen, US-Diplomaten wieder einreisen zu lassen, die China zu Beginn der Corona-Pandemie verlassen hätten und denen Peking seither die Wiedereinreise erschwere.
Bill Bishop, Autor eines unter Experten viel gelesenen China-Newsletters, führt darüber hinaus mögliche innenpolitische Gründe an. Die Interessen des Sicherheitsestablishments, das mehr Entschlossenheit gegen China fordere, deckten sich zunehmend mit jenen des Trump-Lagers: Das sehe Trumps Chancen für eine Wiederwahl steigen, wenn man sich China gegenüber möglichst feindselig gebärde.
Einiges deutet darauf hin, dass die Spannungen in den kommenden Tagen eher noch steigen könnten:
Am Donnerstag hielt der in Peking ohnehin verhasste US-Außenminister Mike Pompeo eine Rede über "das kommunistische China und die Zukunft der freien Welt"; allein der Titel ließ wenig Versöhnliches erwarten. Und tatsächlich bezeichnete Pompeo das Houstoner Konsulat jetzt als "Drehscheibe der Spionage und des Diebstahls geistigen Eigentums".
Zudem erwägt die Trump-Regierung derzeit, eine Einreisesperre gegen die rund 90 Millionen Mitglieder der Kommunistischen Partei und ihre Familienangehörigen zu verhängen. Sie würde insgesamt rund 270 Millionen Menschen und gleichzeitig praktisch die gesamte chinesische Elite betreffen.
Mit Blick auf die Ereignisse in Houston hat der chinesische Außenamtssprecher Wang Wenbin unterdessen gesagt, seine Regierung erwarte, dass die USA ihre "falsche Entscheidung unverzüglich zurücknehmen", sonst werde China "definitiv legitime und notwendige Reaktionen einleiten".
Revanchiert sich China mit einer Massenausweisung von US-Diplomaten?
Wang wies dabei darauf hin, dass sich weit mehr US-amerikanische Diplomaten in China aufhielten als umgekehrt. Das lässt sich als Andeutung einer anstehenden Massenausweisung verstehen.
Zudem gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die Chinesen ihrerseits eines der fünf US-Konsulate in der Volksrepublik dichtmachen könnten.
Als wahrscheinlichste Kandidaten gelten jenes in Wuhan, das nach dem Ausbruch der Pandemie im Januar ohnehin weitgehend den Dienst eingestellt hat - oder jenes in Sichuans Provinzhauptstadt Chengdu, wo 2012 ein in Ungnade gefallener chinesischer Offizieller zeitweise Schutz gesucht hatte.
Das 72-stündige Ultimatum der Amerikaner für die Schließung des Konsulats in Houston läuft am Freitag ab. Es ist durchaus denkbar, dass die Chinesen dann unmittelbar Vergeltung nehmen. So sehr die US-chinesischen Beziehungen auch in Aufruhr sind, zumindest eine Erkenntnis scheint Bestand zu haben: Schlimmer kann es immer noch werden.