Auch ohne Einkindpolitik Chinas Bevölkerung droht zu schrumpfen

Zensusdaten aus China zeigen: Mit dem Bevölkerungswachstum wird bald Schluss sein. Denn obwohl die Familienplanung wieder Privatsache ist, bleiben Geburten aus. Schon jetzt altert die Bevölkerung rapide.
Gedränge in Shanghai: weniger Eheschließungen, mehr Scheidungen, weniger Kinder

Gedränge in Shanghai: weniger Eheschließungen, mehr Scheidungen, weniger Kinder

Foto: ALY SONG / REUTERS

China verzeichnet einen starken Geburtenrückgang und eine schnell alternde Bevölkerung. In den vergangenen zehn Jahren ist sie amtlichen Angaben zufolge um jährlich 0,53 Prozent auf 1,41178 Milliarden Menschen gewachsen. Jetzt droht sie zu schrumpfen.

Wie die jüngste Volkszählung ergab, schreitet damit die Überalterung des Milliardenvolkes voran: So ist heute knapp jeder fünfte Chinese schon über 60 Jahre alt, während die Bevölkerungsgruppe im arbeitsfähigen Alter weiter zurückgeht. Die Zahl der Chinesen über 60 Jahre sei seit 2010 um 5,44 Prozent auf 264 Millionen gestiegen, berichtete Pekings Statistikamt.

Der Trend in der Bevölkerungsentwicklung werde sich »weiter verstärken«, sagte der Direktor des Statistikamtes, Ning Jizhe. Seine Behörde wies Berichte zurück, dass die Bevölkerung 2020 bereits zurückgegangen sei. Doch erwarten Experten »in diesem oder nächsten Jahr« eine Schrumpfung, wie die Zeitung »Global Times« berichtete, die vom Parteiorgan »Volkszeitung« herausgegeben wird.

15 Prozent weniger Neugeborene als im Vorjahr

Als Grund wird der massive Geburtenrückgang genannt, der in Staatsmedien als »alarmierend« beschrieben wird. Im Vergleich zu 2019 wurden im vergangenen Jahr sogar 15 Prozent weniger Neugeborene amtlich gemeldet, wie im Februar schon das Ministerium für öffentliche Sicherheit in Peking berichtet hatte. Die Zahl ist dessen Erhebungen nach 2020 von 11,79 auf 10,04 Millionen gefallen.

»In städtischen Gebieten dämpfen die hohen Kosten für Wohnraum, Gesundheit und Ausbildung die Begeisterung junger Paare, Kinder zu bekommen«, schrieb das Wirtschaftsmagazin »Caixin«. Auch geht die Zahl der Eheschließungen zurück. Die Scheidungsrate in China ist viel höher als etwa in Japan oder Südkorea. Viele Paare warten auch mit der Heirat und gründen erst später Familien.

Die Aufhebung der seit 1979 geltenden Einkindpolitik hatte 2016 nur zu einem leichten Anstieg der Geburten geführt. Seither ist die Zahl jedes Jahr gefallen. Chinas jahrzehntelange staatlich gesteuerte Familienplanung wirkt sich offenbar noch immer aus. Die Menschen haben sich mutmaßlich daran gewöhnt, nur ein Kind zu haben.

Zweifel an amtlichem Zensus

Experten haben Zweifel, ob die amtlichen Volkszählungsdaten überhaupt die Realität widerspiegeln. So ist der Familienplanungsexperte Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin anhand seiner Berechnungen überzeugt, dass Chinas Bevölkerung längst schrumpft. »Ich denke, es begann 2018«, sagte der Professor. Aus seiner Sicht wurde China als bevölkerungsreichstes Land auch längst von Indien abgelöst, das 1,366 Milliarden Menschen zählt.

»Die wahre Bevölkerungszahl hat 2020 höchstwahrscheinlich die 1,28 Milliarden nicht überschritten – weit weniger als die offiziell genannten 1,4 Milliarden«, sagte Yi Fuxian. Die Statistik sei stark nach oben manipuliert worden.

Er zählt mehrere Widersprüche auf: So seien im Jahr 2000 beispielsweise 17,8 Millionen Geburten gezählt worden, doch habe es 14 Jahre später nur 13,7 Millionen 14-Jährige gegeben. Aus seiner Erfahrung wird die Zahl der Geburten in der Statistik ständig zu hoch angegeben. »Früher war es um 20 bis 30 Prozent, aber heute um 40 bis 50 Prozent.«

Experten warnen, dass der Rückgang der Bevölkerung und die »beispiellose« Überalterung den Konsum auf dem Milliardenmarkt  und das Wachstum der Wirtschaft bremsen wird. Auch der boomende Außenhandel werde leiden.

Unpopuläre Debatte über Anhebung des Rentenalters

Die neuen Zahlen werden auf jeden Fall die Debatte über eine unpopuläre Anhebung des Rentenalters anfachen. China hat weltweit eine der niedrigsten Altersgrenzen: Frauen können je nach Beruf mit 50 oder 55 Jahren in Rente gehen – Männer mit 60. Die Regelung stammt noch aus den Anfängen der Volksrepublik, als die Lebenserwartung niedrig war. Im Volksmund heißt es: »China wird grau, bevor es reich wird.«

Die jüngste Volkszählung fand im November und Dezember 2020 statt und war die erste seit zehn Jahren. Rund sieben Millionen Volkszähler waren von Tür zu Tür gegangen oder hatten telefonisch oder online Interviews vorgenommen.

ire/dpa
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