Corona-Quarantäne in China "Jetzt saß ich also fest"

Was macht eine Ausgangssperre mit Menschen? Georg Fahrion, SPIEGEL-Korrespondent in China, hat es erlebt. Nach einer Recherche in Wuhan durfte er seine Pekinger Wohnung nicht verlassen. Nicht mal zum Einkaufen.
Leere Straße in einem Wohnviertel von Peking: "Auch wenn Peking anders als Wuhan keine allgemeine Ausgangssperre verhängt hatte, lag das öffentliche Leben darnieder"

Leere Straße in einem Wohnviertel von Peking: "Auch wenn Peking anders als Wuhan keine allgemeine Ausgangssperre verhängt hatte, lag das öffentliche Leben darnieder"

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Kevin Frayer/ Getty Images

Die beiden schwarz uniformierten Sicherheitsmänner klingelten nicht, sie klopften zweimal kräftig. Als ich die Tür zu meiner Pekinger Wohnung öffnete, überreichte einer der beiden mir wortlos ein DIN-A4-Blatt, die Vorderseite dicht auf Chinesisch beschrieben, die Rückseite auf Englisch.  

Ich überflog den Inhalt und scannte den auf dem Zettel abgedruckten QR-Code. Auf meinem Smartphone öffnete sich eine Website: "Gesundheitsfragebogen". Frage zwölf: "Sind Sie in den vergangenen 14 Tagen in der Provinz Hubei gewesen?"

Ja, war ich. Ich wusste, worauf das hinausläuft: Quarantäne.

Es war eine Zeit ähnlich jener, die Deutschland gerade erlebt. Der Ausbruch der Epidemie in China war damals gerade erst verkündet worden, täglich ging die Zahl der Neuinfektionen nach oben. Man wusste, da kommt etwas Bedrohliches - aber wie schlimm würde es werden?

Es war unklar, welche Regeln gelten würden

Die angemahnten Verhaltensänderungen waren noch nicht eingeübt. Es war unklar, welche Regeln gelten würden. Vieles lag jenseits der Vorstellungskraft, jedenfalls meiner eigenen. Ich war nie im Gefängnis. Wie fühlt sich Eingesperrtsein an?  

Jahrgang 1981. Studierte Politikwissenschaft in Berlin und Nahöstliche Geschichte in Tel Aviv. Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule. Ab 2010 Redakteur bei der »Financial Times Deutschland«, ab 2013 beim Wirtschaftsmagazin »Capital«, jeweils mit dem Schwerpunkt Asien. Seit 2019 Korrespondent des SPIEGEL in Peking.

Anfang des Jahres waren meine SPIEGEL-Kollegin Wu Dandan und ich nach Hubei gereist, um im Epizentrum dieser rätselhaften neuen Seuche zu recherchieren. Der überraschenden Abriegelung Wuhans kurz darauf entkamen wir knapp. Über Umwege schafften wir es zurück nach Peking, glücklich und erleichtert, nicht in Wuhan festzusitzen.  

Jetzt saß ich also doch fest. Erst mal auf den Balkon, Gedanken ordnen.

Da war Erleichterung: Wie sich herausstellte, durfte ich immerhin zu Hause bleiben und musste in keine staatliche Isolierstation. Da war auch Trotz: Aber ich habe doch gar keine Symptome. Ich habe in Wuhan eine Maske getragen, mir ständig die Hände desinfiziert, Abstand gehalten. Komme ich da nicht irgendwie drum herum? Die Erkenntnis: Nein.

Ich bin im vergangenen Jahr nach Peking gezogen. Ich lebe allein, doch ich bin ein geselliger Mensch. Mit dem Gefühl, von menschlichen Begegnungen abgeschnitten zu sein, kann ich schlecht umgehen. Zwar kann ich mich ganz gut mit mir selbst beschäftigen, aber ich möchte mir aussuchen, wann.

Peking ist eine raue Stadt, die man sich erarbeiten muss. Ich habe mir eine Liste von Orten erstellt, die ich nach und nach erkunde: das Badehaus, in dem nackte Rentner in heißen Quellen sitzen und Dosenbier trinken. Die kaiserlichen Gärten in den Duftbergen. Das Leitungswasser-Museum. Je schräger, desto besser. So was bereitet mir Freude. Peking wird dadurch langsam zu einem Zuhause.

Homeoffice ist für einen Journalisten nicht der bevorzugte Daseinszustand. Das Schöne an dem Job ist, dass man viel reist, viel sieht und viele Menschen trifft. Das war zu dem Zeitpunkt aber ohnehin schlecht möglich: Auch wenn Peking anders als Wuhan keine allgemeine Ausgangssperre verhängt hatte, lag das öffentliche Leben darnieder, man konnte keine Außentermine verabreden, es gab zahlreiche, sich immer wieder ändernde Reisebeschränkungen.

In der Redaktion stieg die Nachfrage an Coronavirus-Geschichten aus China. Oft lieferte ich Passagen für umfangreichere Artikel zu. Nur im Internet und per Telefon recherchiert, nicht mit eigenen Erlebnissen und Begegnungen verknüpft, verschwimmen sie in meiner Erinnerung. Arbeit füllte die Zeit, aber sie war nicht sonderlich erfüllend.

Im Badezimmer ertappte ich mich dabei, dass ich mit meinem Spiegelbild sprach

Ich habe in jener Zeit nicht besonders gut geschlafen und bin meist gegen sechs Uhr aufgewacht, ohne Wecker. Vorhänge zur Seite, Tageslicht rein, statt mich noch dreimal umzudrehen und darauf zu hoffen, doch noch einmal einzuschlafen, was eh nicht geschah. Interessanterweise fiel es mir während der Quarantäne eher leichter als schwerer, mich zu disziplinieren - man erfasst intuitiv, dass Struktur die eigene Lage erleichtert, zumindest war das in meinem Fall so.

Beim Duschen hörte ich "The Daily", einen Podcast der "New York Times" . Dann Kaffee. Dann 20 Minuten Meditation, auf meinem Sofa, auf das die Morgensonne fällt. Dann an den Schreibtisch. Regelmäßige Mahlzeiten, ob Appetit oder nicht. Abends ein bisschen Alkohol, aber maximal zwei Gläser. In Gesellschaft zähle ich da nicht so streng mit. Netflix: "Narcos" oder Dave Chappelle.

Im Badezimmer ertappte ich mich irgendwann dabei, dass ich mit meinem Spiegelbild sprach. "Siehst aber ein bisschen müde aus." Oder: "Du müsstest mal wieder zum Friseur." 

Keine Ahnung, wie viele Textnachrichten ich tippte, es waren eine Menge. Das "Pling", wenn eine Antwort eintrifft - jedes Mal schön. Meine Nichte in Deutschland, zweieinhalb Jahre alt, hat derzeit besonderen Spaß am Grimassenschneiden. Es tat gut, mit ihr zu lachen, ihr unbeschwertes Gesicht auf dem Smartphone-Display.

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China ist kein freies Land, aber es wäre eine Fehlinterpretation zu glauben, dass es dort keine Freiheiten gäbe, die man vermissen könnte. Die Runde im Park, zu der man kurz entschlossen aufbricht, weil das Wetter gerade schön ist. Der spontane Besuch einer Nachbarin. Der Abend im Restaurant, an dem alle über den Tisch durcheinander lärmen.

Ich habe mir nicht notiert, was genau ich an dem dem ersten Tag machte, an dem ich wieder raus durfte. Meine Health-App sagt, es waren 26.043 Schritte.

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