Coronakrise in Venezuela Wenn das Virus ein krankes Land trifft

Venezuelas Gesundheitssystem ist in einem katastrophalen Zustand - Krankenhäuser haben kein fließendes Wasser, Schutzkleidung oder gar Intensivbetten.
Von Klaus Ehringfeld, Mexiko-Stadt
Intensivstation eines Gesundheitszentrums in Caracas: Es fehlt am Nötigsten

Intensivstation eines Gesundheitszentrums in Caracas: Es fehlt am Nötigsten

Foto: Ariana Cubillos/ AP/ DPA

Das Video dauert kaum länger als zwei Minuten. Aber es zeigt das ganze Drama des venezolanischen Gesundheitssystems: Mauro Zambrano, Chef der Krankenhausgewerkschaft in Caracas, erzählt, woran es in den 15 Hospitälern der Hauptstadt mangelt, eine Woche nachdem der erste Corona-Infizierte in Venezuela diagnostiziert worden ist. "Wir müssen unseren Mundschutz selbst basteln, Handschuhe fehlen, sieben Hospitäler haben kein Chlor, zwölf kein Desinfektionsmittel, elf haben keine Seife, immerhin haben elf von fünfzehn Wasser", sagt Zambrano.

Wenn man diese Bestandsaufnahme sieht, dann kommt einem ein Gedanke: Ein massiver Ausbruch der Lungenkrankheit Covid-19 könnte für viele der Patienten in dem südamerikanischen Krisenstaat einem Todesurteil gleichkommen.

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Improvisierter Schutz

Foto: Ariana Cubillos/ AP/ DPA

"Wir stehen mit unserem Gesundheitssystem schlechter da als Haiti", warnt José Félix Oletta, ehemaliger Gesundheitsminister Venezuelas. Die Regierung habe 46 Krankenhäuser für die Behandlung von Corona-Infizierten ausgewiesen, davon befinden sich vier in der Hauptstadt Caracas. "Aber es gibt gerade einmal 206 Intensivbetten in diesen 46 Krankenhäusern und nur 102 Beatmungsgeräte. Das seien weniger als zehn Prozent der benötigten Ausrüstung für ein nur mittleres Katastrophenszenario, unterstreicht Oletta gegenüber dem SPIEGEL. Zudem seien Strom, Wasser, Medikamente und Schutzausrüstungen Mangelware, ergänzt der Mediziner und Gründer der "Alianza Venezolana por la Salud", einer Art Beobachtungsstelle für Gesundheit und Epidemien. 

Maduro schränkt öffentliches Leben ein

Vergangenes Jahr erstellte die Johns-Hopkins-Universität gemeinsam mit der Economist Intelligence Unit ein Ranking von 195 Staaten , das die Reaktionsfähigkeit im Falle einer Pandemie analysiert. Darin belegt Venezuela Platz 176. Haiti, ärmstes Land der westlichen Hemisphäre, liegt auf Platz 138. 

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Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.

Am 13. März registrierte Venezuela die ersten beiden Corona-Fälle. Zwei Tage später bereits verhängte Präsident Nicolás Maduro eine weitgehende Quarantäne für Caracas und sieben Bundesstaaten, die er einen Tag später auf das gesamte Land ausweitete. Ohne Mundschutz darf jetzt niemand mehr auf die Straße, und die Metro von Caracas befördert nur Arbeiter im Gesundheits- und Nahrungsmittelsektor. Die Ausgangsbeschränkungen gelten zunächst für 30 Tage.

Der linksnationalistische Präsident reagierte wesentlich schneller als viele seiner Kollegen in Lateinamerika, beispielsweise die brasilianischen und mexikanischen Staatspräsidenten, Jair Bolsonaro und Andrés Manuel López Obrador. In Mexiko werden erst ab diesem Montag die ersten Einrichtungen wie Kirchen, Kinos und Kneipen geschlossen.  

Politischer Machtkampf verschlechtert die Situation

Maduro handelte so schnell, um den seit Jahren darniederliegenden Gesundheitssektor einigermaßen auf die Anforderungen der Epidemie vorzubereiten. Dem Autokraten war klar, dass Corona für das Gesundheitssystem, seine Bevölkerung und damit möglicherweise auch für ihn katastrophale Folge haben könnte. "Wenn wir die Ausbreitung der Pandemie nicht rasch stoppen, dann kann sie uns zu Fall bringen", warnte er und beantragte wenige Tage später beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Corona-Notkredit von fünf Milliarden Dollar, um die Auswirkungen der Pandemie zu mildern. "Ehrenhafte Organisation", begann Maduro sein Schreiben an die Institution, die er viele Jahre als "Handlanger des Imperialismus" gegeißelt hatte. 

Doch bereits Stunden später kam der negative Bescheid aus Washington. Einige Mitglieder des IWF erkennen Maduro nicht als legitimen Staatschef an, sondern seinen Kontrahenten und Parlamentspräsidenten Juan Guaidó, hieß es. Spätestens an diesem Punkt wirkte sich das politische Tauziehen um die Macht auch massiv auf die Entwicklung der Epidemie in Venezuela aus. 

Bis zum Sonntagabend meldete die Regierung 77 Fälle. Das sind wenige im Vergleich zu anderen Staaten Lateinamerikas. José Félix Oletta hält diese Zahl für unrealistisch. "Die Regierung informiert nicht auf epidemiologischer Grundlage und sagt nichts über Verdachtsfälle oder Erkrankte." Zudem gebe es nicht genügend Test-Kits im Land und nur ein einziges Analysezentrum. Und das ist in Caracas. "Manchmal sind die Proben aber lange ungekühlt unterwegs. Und wenn sie in der Hauptstadt ankommen, sind sie nicht mehr zu gebrauchen", sagt Oletta. 

Ist die Krise eine Chance für Maduro?

"Das Virus trifft auf ein schon krankes Land", sagt Luis Vicente León. Die Wirtschaft sowie die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln und Medikamenten seien "hyperfragil", betont der wichtigste Meinungsforscher Venezuelas.

Der politische Konflikt um die Macht im Land ruhe jetzt, sagt León, Chef des Umfrageinstituts Dataanálisis. Jetzt gehe es nur noch darum, das Virus zu besiegen. Und da sitze die Regierung am längeren Hebel. "Maduro kontrolliert die Krankenhäuser, die Verteilung der Medizin, und er oder Mitglieder der Regierung geben täglich die neuen Infizierten-Zahlen bekannt." Der Präsident habe schnell und richtig auf die Krise reagiert, erkennt León an. "Er hat gemacht, was man von einem Staatschef erwartet." Und die Bevölkerung werde ihm jedenfalls diese Krise nicht anlasten.

Bei dieser Dynamik aber komme die Opposition kaum hinterher und habe es schwer, sich Gehör zu verschaffen, sagt León. Guaidó verteilt immer mal wieder Hygiene-Kits an die Krankenhäuser, meldet andere Infizierten-Zahlen als die Regierung und versucht, mit einem Expertenteam aus Ärzten und Virologen zu glänzen. Die Opposition stellte vor wenigen Tagen die Website Coronavirusvenezuela.info  online, die aber umgehend von der Regierung blockiert wurde. Am Sonntag jedoch war sie wieder erreichbar. 

Opposition und Regierung sollten sich zum Wohle der Bevölkerung zusammentun, um zum Beispiel die Nothilfe vom IWF freizuschalten, fordert der Meinungsforscher. "Es ist jetzt der Augenblick, zum Wohle der Kranken, zum Wohle des Volkes zu arbeiten."

Dass die tief zerstrittenen Kontrahenten Maduro und Guaidó sich über Corona annähern, ist allerdings nicht zu erwarten. Also muss die Hilfe vorerst aus eigenen Mitteln gestemmt werden. Immerhin hat die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO) Hilfsteams nach Caracas entsendet. Und Vizepräsidentin Delcy Rodríguez hat für diese Woche eine Luftbrücke aus China angekündigt. Über diese sollen dann laufend vor allem Test-Kits, aber auch andere dringend benötigte Hilfsmittel ins Land kommen. Wie nachhaltig das helfen kann, wird sich erst in ein paar Wochen zeigen.

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