Vordrängeln zur Corona-Impfung Falsche Vorbilder

Der Bischof von Mallorca, Sebastià Taltavull: Neue Adresse für Impfangebot
Foto: CATI CLADERA / Agencia EFE / imago imagesMit dem Impfangebot ist es wie mit einem Stau. Irgendwann wird es wieder vorangehen, doch bis dahin ist Geduld gefragt. So lange sitzt man auf wenigen Quadratmetern fest, starrt in die Luft und ärgert sich, weil man eigentlich andere Pläne hatte. Es sei denn, man macht es wie der Oberbürgermeister von Halle oder der Bischof von Augsburg und drängelt sich durch die Rettungsgasse, die eigentlich dem medizinischen Personal vorbehalten ist, zur Impfung vor.
Beide wurden im Januar frühzeitig gegen Covid-19 geimpft, betonten aber, nur am Abend übrig gebliebene Dosen verabreicht bekommen zu haben. Der Oberbürgermeister soll dafür von einem Zufallsgenerator von der Liste systemrelevanter Personen ausgesucht worden sein, weil kurzfristig niemand aus der Gruppe mit höchster Priorität zu erreichen gewesen sei. Der Bischof, der seine Spritze in einem Seniorenheim erhielt, begründete seinen Anspruch damit, dort regelmäßig als Seelsorger tätig zu sein.
Doch nicht nur in Deutschland, überall in Europa häufen sich die Fälle von sogenannter Impfdrängelei. Und sie rufen massive Kritik der Bevölkerung hervor. Wir haben fünf aufsehenerregende Beispiele zusammengestellt:
Spanien: der Militär

Der spanische Generalstabschef Miguel Ángel Villarroya trat aufgrund seiner frühzeitigen Impfung zurück.
Foto: Fernando Alvarado / EPA-EFEJe höher die Infektionszahlen, desto größer die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus. Noch immer liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Spanien bei 272, in der zweiten Januarhälfte betrug der Wert fast 421. Was liegt da näher, als die Warteschlange zur erlösenden Spritze zu umgehen? Mehr als 700 Politikerinnen und Politiker wurden in Spanien bereits beim Drängeln erwischt, mehr als 200 allein in der Provinz Valencia, die seit Wochen als Hotspot gilt. Auch der oberste Militär, Generalstabschef Miguel Ángel Villarroya, nutzte die Gelegenheit, sich gemeinsam mit anderen ranghohen Offizieren in Madrid impfen zu lassen.
Zwar weicht der Impfplan des spanischen Militärs von der zivilen Reihenfolge ab. Doch auch er sieht vor, dass zunächst das gesamte medizinische Personal und anschließend diejenigen, die an Einsätzen im In- und Ausland teilnehmen, geimpft werden sollen. Doch während Villarroya und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Generalstab die Injektion bekamen, gingen rund hundert medizinische Fachkräfte des Militärkrankenhauses Gómez Ulla leer aus. Villarroya kostete das am Ende seinen Job: Nach massiver öffentlicher Kritik bot Villarroya deshalb am 23. Januar seinen Rücktritt an , »um das Image der Streitkräfte nicht zu beschädigen«.
Polen: der Ex-Ministerpräsident

Der frühere Ministerpräsident Polens, Leszek Miller, wurde noch vor dem Jahreswechsel geimpft.
Foto: WBW / imago imagesBesonders früh dran war der frühere Ministerpräsident Polens, Leszek Miller. Bereits am Morgen des 31. Dezember postete er ein Foto seiner rötlich leuchtenden Impfbescheinigung auf Twitter: »Dies ist der beste Weg, um die Frage zu lösen: impfen oder nicht impfen lassen«, schrieb er dazu.
To najlepszy sposób, aby rozstrzygnąć wątpliwość: „szczepić się czy nie szczepić”. pic.twitter.com/emqObSSucE
— Leszek Miller (@LeszekMiller) December 31, 2020
Impfvorbilder hatte Polen zwar dringend nötig, zahlreiche Umfragen zeigten Anfang Dezember eine weitverbreitete Impfskepsis im Land . Doch die Vorbildfunktion gestaltet sich schwierig, wenn man noch nicht an der Reihe ist. Nur medizinisches Personal und deren Angehörige sowie die Eltern Neugeborener gehören zur »Gruppe null« mit der höchsten Priorität. Miller erfüllt keines dieser Kriterien.
Und trotzdem war er nicht der Einzige: Rund 200 Menschen wurden an der Medizinischen Universität Warschau noch vor dem Jahreswechsel außerplanmäßig geimpft, darunter Prominente, Geschäftsleute und Kulturschaffende wie Krystyna Janda , eine der berühmtesten Schauspielerinnen Polens. 32 angestellte Mediziner*innen, die zur Impfung bereit waren, gingen hingegen leer aus.
Die Medizinische Universität schrieb in einer Pressemitteilung , es handle sich um eine vom nationalen Gesundheitsfonds vorgeschlagene Kampagne, um Impfskepsis abzubauen. Polens Gesundheitsminister Adam Niedzielski hingegen sprach von Machtmissbrauch. Er sehe keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den Universitätsbehörden und erwarte den Rücktritt des Rektors . Dieser wiederum warf dem Minister eine beispiellose Manipulation der öffentlichen Meinung vor und blieb im Amt. Der Universität wurde eine Strafzahlung von rund 350.000 Złoty, fast 80.000 Euro, auferlegt. Der Impfbereitschaft in Polen aber könnte der Skandal tatsächlich gutgetan haben: Sie stieg von 43 Prozent im November auf 68 Prozent im Januar .
Österreich: der Bürgermeister

Der Bürgermeister von Feldkirch in Österreich, Wolfgang Matt, rechtfertigte seine vorzeitige Impfung mit diesem Vergleich: »Ich schmeiße auch kein altes Brot weg«.
Foto: BgmWolfgangMatt / FacebookMangelnde Transparenz und Absprachen in Hinterzimmern sind in Österreich keine Seltenheit. Insofern überrascht es nur wenig, dass auch hier die Zahl der Impfdrängler*innen besonders hoch ist.
Vor allem Bürgermeister*innen scheinen von ihrer Machtposition Gebrauch zu machen. Innerhalb weniger Tage im Januar wurden immer mehr Fälle publik, bei denen angeblich Impfdosen übrig geblieben seien.
Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt Wolfgang Matt, der Bürgermeister von Feldkirch in Voralberg. Er ließ sich frühzeitig in einem Seniorenheim impfen, obwohl er mit seinen 65 Jahren nicht zur Gruppe der Risikopatient*innen gehört. Am 19. Januar verteidigte sich Matt im öffentlichen Rundfunk : Er sehe kein Fehlverhalten darin, eine Dosis anzunehmen, die sonst hätte vernichtet werden müssen: »Ich schmeiße auch kein altes Brot weg, daraus wird Toast gemacht.«
Die zuständige Ärztin jedoch widersprach Matts Darstellung. Es habe durchaus Menschen der ersten Prioritätsgruppe gegeben, die an jenem Abend bereit gewesen wären, die letzten Injektionen des Tages zu bekommen. Sie verwehrte ihm die Impfung, woraufhin letztendlich der Heimleiter dem Bürgermeister zum gewünschten Stich verhalf. Erst als die Kritik nach seiner zur Schau gestellten Uneinsichtigkeit noch zunahm und selbst Österreichs Kanzler Sebastian Kurz empört Stellung bezog, trat Matt zwei Tage später erneut im Fernsehen auf und entschuldigte sich für sein Verhalten.
Großbritannien: der Abgeordnete

Tory-MP Brendan Clarke-Smith: Er half einen Nachmittag in einem Krankenhaus aus – und zählte so als Freiwilliger im Gesundheitssystem zu der Gruppe, die nun schon geimpft wird.
Foto: Brendan Clarke-Smith MP / FacebookWar er für die Impfung da? Oder wollte er tatsächlich nur im Krankenhaus helfen? Einen Nachmittag lang volontierte der britische Abgeordnete der Konservativen, Brendan Clarke-Smith, in einem Krankenhaus seines Wahlkreises in Nottinghamshire. Anschließend postete er ein Foto von sich mit der Nadel im Arm bei Facebook. »Manche haben vorgeschlagen, dass Politiker sie zuerst probieren sollten – obwohl das in der Regel die gleichen Leute sind, die sagen, dass Politiker bevorzugt behandelt werden, also nehme ich an, ist es schwierig zu gewinnen«, schrieb er unter anderem dazu.
💉👏🏻 Thank you to everybody at Retford Hospital, where I spent this afternoon volunteering and to thank staff for their...
Posted by Brendan Clarke-Smith MP on Friday, January 22, 2021
Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten – zumal Clarke-Smith erst 40 Jahre alt ist. Laut offiziellen Richtlinien dürfen in Großbritannien bisher nur vier Prioritätsgruppen eine Impfung erhalten: über 80-Jährige, über 70-Jährige, das Gesundheitspersonal an vorderster Front und Menschen mit besonders schweren Vorerkrankungen. Weil Freiwillige des nationalen Gesundheitssystems NHS jedoch zu den Angestellten gezählt werden, bekam auch Clarke-Smith ein Angebot – und nahm es an. Er betonte später, es habe sich um eine übrig gebliebene Restdosis gehandelt. Und schrieb bei Facebook, er habe ein Vorbild sein wollen: »Ich hoffe, die Tatsache, dass ich die Impfung heute bekommen habe, beruhigt die Menschen und dass jeder, der ein Impfangebot bekommt, dieses annehmen wird.« Er und seine Familie hatten sich bereits vergangenen März mit dem Coronavirus infiziert.
Mallorca: der Bischof
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten, lautet das achte Gebot. Gilt das auch für die korrekte Angabe des eigenen Wohnorts? Der Bischof von Mallorca, Sebastià Taltavull, war wohl anderer Meinung – oder hoffte, dass Gott einen Moment lang wegsehen würde, als er sich wenige Tage vor dem Impftermin im Ruhesitz für pensionierte Priester in der Straße neben der Kathedrale von Palma anmeldete. Denn eigentlich lebt er selbstständig im Bischofspalast und gehört mit seinen 73 Jahren nicht zu den Prioritätsfällen.
Bisher haben in Spanien nur Bewohner*innen von Altenheimen, deren Pfleger*innen und medizinisches Personal Anspruch auf eine Corona-Impfung. Auch als Altenheim ist die Priesterresidenz eigentlich nicht anerkannt. Erst während der Pandemie bekam sie von der Regionalregierung der Insel einen Sonderstatus zugesprochen, um von Untersuchungen und Impfungen profitieren zu können.
Der Bischof erhielt so nicht nur den Zugang zur begehrten Vakzine. Er bekam die Spritze auch bereits am 5. Januar, als einer der ersten überhaupt auf Mallorca. Dabei warten dort selbst heute noch Tausende Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung darauf.
Inzwischen hat sich Taltavull für sein Verhalten entschuldigt. »Ich dachte, ich würde ein Vorbild abgeben«, sagte er Ende Januar der Zeitung Diario de Mallorca . Die Kontroverse, die seine Impfung auslöste, habe ihn überrascht. Im Dezember habe man ihn aktiv gebeten, sich mit auf die Liste setzen zu lassen. Zudem lebe er zwar im Bischofspalast, pflege aber einen engen Kontakt zu den Bewohner*innen und habe ein Zimmer in der Residenz. Mittlerweile soll er es auch genutzt und seine erste Nacht dort verbracht haben: am Vorabend der zweiten Dosis, um den Presserummel zu vermeiden.