Lockerung der Corona-Beschränkungen Paris erwacht

Nach Wochen im Lockdown probt Frankreich erste Lockerungen. Die Straßen in Paris sind voll. Distanz ist oft zweitrangig. Die Regierung fürchtet eine zweite Welle.
Aus Paris berichtet Tanja Kuchenbecker
Sacré-Cœur am 12. Mai: Pariserinnen und Pariser genießen die neuen Freiheiten

Sacré-Cœur am 12. Mai: Pariserinnen und Pariser genießen die neuen Freiheiten

Foto: Bertrand Guay/ AFP

In Paris riecht es wieder nach Autoabgasen. Und für viele Pariser ist gerade das ein gutes Zeichen. Seit Montag hat der Ausstieg aus dem knapp zweimonatigen Lockdown begonnen. Bürgerinnen und Bürger dürfen sich in einem Radius von 100 Kilometern bewegen - ohne, wie bisher, einen Passierschein vorlegen zu müssen. 

Zum ersten Mal seit Wochen haben die Märkte wieder geöffnet, wenn auch mit Plastikplanen vor den Ständen. Auf dem Markt an der Place de Fêtes im Nordosten der Stadt ist noch nicht so viel los wie sonst. Am Stand der Familie Priolet, der Geflügel anbietet, stöhnt die Chefin: "Wir haben in der Ausgangssperre drei Viertel unseres Umsatzes verloren." Sie ist erleichtert, wieder vor Ort zu sein.

"Das Virus ist zurückgegangen, aber immer noch da" 

Ganz leer sind die Touristenattraktionen vom Louvre bis zum Platz vor der Kirche Sacré-Coeur auf dem Montmartre. Mehr los ist überall dort, wo man seit Wochen nicht einkaufen konnte. Beim Büroladen Office Depot in der Rue Belleville, bei der Technikkette Darty an der Place de la République und in den Bekleidungsläden wie Zara.  

Immerhin tragen fast alle Masken. Anders sieht das am Kanal Saint-Martin aus, der Partymeile der Jugend. Schon mittags treffen sich hier die jungen Leute und sitzen dicht an dicht ohne Maske. Die Exit-Vorschriften sehen vor, dass sich maximal zehn Personen auf der Straße treffen können, Maske ist nur in öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht.

Der Lockdown war in Frankreich deutlich strenger als etwa in Deutschland. Präsident Emmanuel Macron warb für die Sperren, indem er von einem Krieg sprach. Die meisten Bürgerinnen und Bürger hielten sich an die Vorgaben. 

Die Jugend am Kanal Saint-Martin feiert fast so, als gäbe es kein Corona mehr.

Die Jugend am Kanal Saint-Martin feiert fast so, als gäbe es kein Corona mehr.

Foto: Francois Guillot/ AFP

Nun aber tauchen auf Facebook Videos von Partys in Hinterhöfen auf. Die Polizei musste gleich am Montag eine Ansammlung von Hunderten von Jugendlichen am Kanal Saint-Martin auflösen. Seitdem herrscht dort und am Seineufer Alkoholverbot. 

"Der Erfolg des Exits hängt von der Rücksichtnahme jedes Einzelnen ab", sagt Innenminister Christophe Castaner. Die soziale Distanz müsse weiterhin respektiert werden. Macron appelliert über Twitter: "Das Virus ist zurückgegangen, aber immer noch da." Im Élysée hat man erkennbar Angst vor einer zweiten Welle.  

Die Geografin Lise Bourdeau-Lepage vom Forschungsinstitut CNRS, die eine Studie über die Ausgangssperre verfasst hat, erklärt zu den Menschenansammlungen: "Es ist möglich, dass diese Bilder eine Reaktion auf die Einschwörung auf Angst und Sicherheit sind." Die Leute wollten so schnell wie möglich ihr normales Leben wiedererlangen.

Auch sonst lässt sich in Paris der Exit kaum geordnet durchführen. Die meisten Verkäufer kommen aus der Banlieue, den sozialen Brennpunkten im Norden der Stadt. Kassiererin Nicole im Supermarkt Franprix auf der Rue Belleville erzählt: "Die Linie 13 war total vollgestopft." Sie musste Umwege fahren, weil alle Umsteigebahnhöfe wie Place Clichy und République geschlossen sind. 

Auch in der RER B, die aus dem Norden von Paris kommt, war der Ansturm groß, während über Lautsprecher dazu aufgerufen wurde, einen Meter Abstand zu halten. Bei den Verkehrsbetrieben SNCF und RATP hieß es: "Die Lage war meist ruhig."

Die Metros sind bis auf wenige Ausnahmen nicht voll, auch Staus gibt es bisher nur wenig. Viele Schulen  sind noch geschlossen. Es herrscht eine große Furcht vor der Rückkehr in die Schulen, Lehrergewerkschaften protestierten aus Gesundheitsgründen.

Geöffnet wurden zunächst die Vorschulen und Grundschulen - nicht die Prüfungsjahrgänge wie in Deutschland - damit die Eltern wieder arbeiten können. In die Klassen sollen maximal zehn Kinder kommen. Bevorzugt werden Kinder aus einem sozial schwierigen Umfeld, Familien, in denen beide Eltern arbeiten, Verkäufer, Lehrer oder Krankenpfleger sind. Von 6,7 Millionen Kindern im Alter bis zu zehn Jahren sollen nur rund 1,5 Millionen in die Schule gehen. 

Die älteren Kinder sollen erst später wieder in die Schule, Anfang Juni oder vielleicht auch gar nicht mehr vor dem Sommer. Das entscheidet sich Ende Mai. Die Rückkehr zur Schule nach dem Lockdown wirkt ein wenig wie ein Probelauf für den Herbst. Schulminister Jean-Michel Blanquer ließ durchblicken: "Jedes Kind soll vor Ende Mai wenigstens noch einmal in die Schule kommen." Der Alltag ist in Frankreich noch lange nicht wieder eingekehrt.

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