Corona-Pandemie Griechenlands erfolgreicher Weg durch die Krise

Eine alte Bevölkerung, eine schwache Wirtschaft, ein mangelhaftes Gesundheitssystem: In Griechenland waren alle Voraussetzungen für eine schwere Coronakrise vorhanden. Es kam anders. Vier Gründe.
Aus Thessaloniki berichtet Giorgos Christides
Sauber und virenfrei: Das Rednerpult im griechischen Parlament

Sauber und virenfrei: Das Rednerpult im griechischen Parlament

Foto: Thanassis Stavrakis/ dpa

Seitdem Griechenland vor 42 Tagen seine strengen Regeln gegen die Ausbreitung des Coronavirus eingeführt hat, konnte Frau Chariklia ihr Haus nicht verlassen. Mit 85 Jahren gehört sie zur Hochrisikogruppe.

Aber an diesem sonnigen, windigen Montagmorgen ist Chariklia wieder auf der Straße. Die Frau mit den weißen Haaren sitzt vor der Hagia-Paraskevi-Kirche in Nea Krini, einem Vorort im Osten Thessalonikis. Seit einer Stunde wartet sie hier darauf, dass der Priester die Kirche öffnet.

Darf endlich wieder in die Kirche: Frau Chariklia

Darf endlich wieder in die Kirche: Frau Chariklia

Foto: Giorgos Christides/ DER SPIEGEL

"Nichts hat mir während der Ausgangssperre mehr gefehlt als die Kirche und die Ostergottesdienste", sagt sie. Chariklia ist in diesem Teil der Stadt geboren und aufgewachsen. In der kleinen Kirche sah sie ihre drei Kinder heiraten, hier findet sie Trost und Gesellschaft. "Heute ist ein glücklicher Tag, der erste seit langer Zeit."

Podcast Cover

Die Wiedereröffnung der Kirchen ist Teil einer ersten Welle vorsichtiger Lockerungen, die in Griechenland am Montag begann. Nach 1008 Stunden strenger Ausgangssperren scheint sich das Leben vorläufig wieder zu normalisieren:

  • Die Kirchen stehen einzelnen Gläubigen nun offen für Gebete.

  • Auch Friseursalons begrüßen erste Kunden - die Wartezeit für einen Termin kann aber Wochen betragen.

  • Weitere kleine Geschäfte dürfen unter strengen Regeln zu Hygiene und Distanz ihren Betrieb wieder aufnehmen.

Am vergangenen Dienstag hatte Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis die guten Nachrichten verkündet: Er stellte einen Zeitplan vor, der die schrittweisen Lockerungen ab Mai regeln soll. Weitere Schritte sollen in den anschließenden Wochen und Monaten folgen, etwa die Wiedereröffnung von Schulen, Restaurants und einigen Hotels im Juni.

Trotz aller Widrigkeiten und entgegen der Erwartungen der meisten Experten ist Griechenland bislang überraschend glimpflich durch die Corona-Pandemie gekommen. Dabei waren die Voraussetzungen für eine schwere Krise da:

  • eine Wirtschaft, die noch immer mit den Folgen der Finanzkrise kämpft,

  • ein bescheidenes Gesundheitssystem

  • und eine der ältesten Bevölkerungen Europas.

Zudem vertrauen die Griechen ihren Politikern und den staatlichen Institutionen nicht. In Verbindung mit den wirtschaftlichen Kosten der Krise schien dies wie das Rezept für eine Katastrophe. Es ist anders gekommen:

  • Während die Pandemie noch immer große Teile Europas im Griff hat, verzeichnete das Land bis zum 3. Mai insgesamt 2626 Fälle.

  • Die Zahl der Todesopfer liegt bei 144, aktuell werden noch 37 Personen auf Intensivstationen behandelt.

Für diese Zahlen erntete Griechenland Lob von internationalen Organisationen, ausländischen Regierungen und internationalen Medien. Der Erfolg ist auf vier verschiedene Faktoren zurückzuführen.

  • Die Regierung hat bereits im Februar auf Warnungen griechischer Wissenschaftler gehört, sich mit international anerkannten Experten beraten, etwa Elia Mossialos. Er ist Leiter der Abteilung für Gesundheitspolitik an der London School of Economics. "Einige nannten mich einen Terroristen, weil ich so früh Alarm geschlagen hatte", sagt er. "Glücklicherweise hat die griechische Regierung auf meine Bedenken und die anderer Experten gehört und schnell und entschlossen gehandelt."

  • Ganz konkret: Premierminister Kyriakos Mitsotakis hat schnell politische Entscheidungen getroffen. Am 27. Februar, einen Tag nach der Diagnose des ersten Covid-19-Falls in Griechenland, sagte seine Regierung trotz heftiger Proteste Karnevalsveranstaltungen ab. Am 11. März schlossen die Schulen, bald folgten Kinos, Geschäfte, Museen, Restaurants, Bars und Kirchen. Internationale Flüge wurden reihenweise gestrichen, Grenzen geschlossen. Alle Griechen hatten per SMS zu melden, wenn sie ihr Zuhause verlassen wollten. "Hätten wir uns um eine Woche verspätet, wäre Griechenland wohl in eine ähnliche Situation wie andere Länder hineingeraten, etwa wie Spanien", sagt Mossialos.

  • Die Griechen haben die Anordnungen zur sozialen Distanz weitgehend eingehalten. In dieser Krise scheinen sie ihrer Regierung ausnahmsweise zu vertrauen. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage erhält Premier Mitsotakis für seinen Umgang mit der Pandemie eine Zustimmung von 87 Prozent.

  • Griechenland hat sich mit diesem Vorgehen die Zeit erarbeitet, um die Zahl der Intensivbetten in den Krankenhäusern um mehr als 70 Prozent zu erhöhen. Zusätzlich wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums mehr als 3000 Krankenhausmitarbeiter eingestellt.

Nun, da die griechische Regierung die Corona-Maßnahmen schrittweise lockert, rücken die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns in den Vordergrund:

  • Das Land befindet sich auf dem Weg zurück in eine tiefe Rezession.

  • Die Arbeitslosigkeit könnte wieder auf 20 Prozent steigen.

  • Jedes dritte Hotel und Restaurant wird möglicherweise nicht wieder öffnen können.

Eine Hoffnung haben die Griechen aber: Sie haben sich und der Welt gezeigt, dass sie mit dem Virus verantwortungsvoll umgehen. Die Folge: Das Land dürfte sich schneller von den nun eintretenden wirtschaftlichen Folgen erholen als andere.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

Abonnieren bei

Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.

Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren