Dritte Coronawelle in Ostafrika Tansanias oberster Querdenker

Gebete und gutes Essen würden reichen, um sich vor Corona zu schützen, behauptete Tansanias Präsident Magufuli. Jetzt ist er offenbar selbst schwer erkrankt. Auch im Nachbarland Kenia sind die Krankenhäuser voll.
Von Heiner Hoffmann, Nairobi
John Magufuli (bei einer Wahlkampfkundgebung im August 2020): Über seinen Gesundheitszustand wird heftig spekuliert

John Magufuli (bei einer Wahlkampfkundgebung im August 2020): Über seinen Gesundheitszustand wird heftig spekuliert


Foto: ERICKY BONIPHACE / AFP
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Welch bittere Ironie: Ausgerechnet Tansanias Präsident John Magufuli soll an Covid-19 erkrankt sein. Magufuli, der Corona-Verharmloser des Kontinents. Und er soll bis vor Kurzem, so berichten mehrere Medien, auch noch in einem Krankenhaus in der kenianischen Hauptstadt Nairobi behandelt worden sein.

In den vergangenen Monaten ließ Magufuli keine Gelegenheit aus, das Nachbarland wegen der vergleichsweise strengen Corona-Maßnahmen zu verurteilen. Inzwischen werde Magufuli in Indien weiter versorgt, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen Oppositionspolitiker.

Der Präsident liege im Koma, behauptet demnach der bekannte Oppositionsführer Tundu Lissu. Beweise oder gar eine offizielle Bestätigung gibt es nicht, die tansanische Regierung schweigt bislang beharrlich zum Aufenthaltsort des Präsidenten. Seit knapp zwei Wochen wurde Magufuli nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen, seither wird heftig über seinen Gesundheitszustand spekuliert.

Medizinisches Personal in einem Krankenhaus in Nairobi

Medizinisches Personal in einem Krankenhaus in Nairobi

Foto: Ben Curtis / AP

Dabei behauptete der Präsident noch im vergangenen Jahr, dass das Coronavirus nicht in den Körper eindringen könne, solange man nur fest genug bete und gut esse. Im Mai hörte Tansania auf, die Zahl der Neuinfektionen zu veröffentlichen und erklärte das Land kurzerhand für Covid-frei.

Magufuli warnte seine Bevölkerung vor den Impfungen aus dem Westen, rief stattdessen abermals zum Beten und Inhalieren von Heilkräutern auf. Immerhin: Vor kurzem deutete er an, dass Corona wieder zirkuliere und forderte seine Landsleute auf, Masken zu tragen. Nun hat das Virus ihn offenbar selbst erwischt.

Dabei gehen viele Beobachter davon aus, dass die Lage in Tansania schon lange außer Kontrolle ist. Während auf der Urlaubsinsel Sansibar die Touristen ohne Masken durch die Nacht tanzten, kursierten in sozialen Medien Videos von heimlichen Begräbnissen im Schutz der Dunkelheit. Die katholische Kirche Tansanias meldete, dass die Zahl der Totenmessen stark gestiegen sei. Mehrere hochrangige Offizielle verstarben plötzlich ohne Erklärung. So auch der Vizepräsident Sansibars, der als einziger seine Corona-Infektion öffentlich gemacht hatte.

In den vergangenen Wochen wurde Ostafrika auch für viele Covid-Flüchtlinge aus Europa zu einem Sehnsuchtsziel, scheint hier das Leben doch weiterhin vergleichsweise frei. Auch in Tansanias Nachbarland Kenia werden die zuvor strikten Maßnahmen immer laxer gehandhabt: In vielen Restaurants sitzen die Gäste dicht an dicht, nachts lassen sich Feierwütige in der Hauptstadt Nairobi in Klubs einsperren, um während der Ausgangssperre durchzutanzen.

All das scheint sich nun bitter zu rächen: »Wir sind mitten in der dritten Welle«, räumte der kenianische Gesundheitsminister Mutahi Kagwe am Mittwoch in einer Pressekonferenz ein. Die erste Welle traf das Land im Sommer 2020, die zweite gegen Ende des Jahres, nun folgt also die dritte.

Und Experten fürchten, dass es die bislang schlimmste werden könnte. »Ich vermute, dass wir es vor allem mit der südafrikanischen Mutante zu tun haben, denn die Infektionszahlen steigen sehr schnell sehr stark«, sagt Mbira Gikonyo, Vorsitzender der Covid-Taskforce eines großen Krankenhauses in Nairobi.

Gikonyos Krankenhaus musste in den vergangenen Tagen bereits Patienten abweisen, die Notaufnahme sei überrannt worden. Laut mehrerer Ärzte seien zunehmend schwere Krankheitsverläufe zu beobachten. Auch das Gesundheitsministerium musste inzwischen einräumen, dass in Nairobi sämtliche Intensivbetten belegt sind. Knapp 90 Covid-Patienten werden in Kenia derzeit auf Intensivstationen behandelt, weitere 28 müssen beatmet werden.

»Wir Ärzte und Pfleger sind an unseren Grenzen angekommen.«

Ärztliche Leiterin eines großen Krankenhauses in Nairobi

DER SPIEGEL hat mit mehreren Ärzten und Offiziellen gesprochen, die meisten wollen anonym bleiben. Doch die Aussagen decken sich: Es gibt einen deutlichen Anstieg an Krankenhaus-Einweisungen, Patienten müssen teils weggeschickt, auf die Schnelle nun neue Kapazitäten geschaffen werden. »Wir Ärzte und Pfleger sind an unseren Grenzen angekommen. Wir hatten gehofft, dass so langsam Normalität einkehrt. Aber jetzt sind wir wieder da, wo wir angefangen hatten«, berichtet eine ärztliche Leiterin, die anonym bleiben möchte.

Vor allem in den unterfinanzierten öffentlichen Krankenhäusern wächst derweil die Sorge vor einem weiteren Problem: »Ich fürchte, dass uns bald die Schutzausrüstung ausgehen könnte. Wir waren bislang von Spenden aus den reicheren Ländern abhängig, doch die haben gerade ihre eigenen Probleme«, sagt die Ärztin.

Vor knapp einer Woche ist in Kenia die erste Impfstoff-Lieferung aus dem Covax-Programm für ärmere Länder eingetroffen, immerhin eine Million Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs. Damit sollen nun zunächst Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Sicherheitspersonal geimpft werden. Weite Teile der Bevölkerung werden aber wohl noch Monate auf die erhoffte Spritze warten müssen.

WHO »in großer Sorge«

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor weiter steigenden Infektionszahlen in Kenia. »Ich sehe das mit großer Sorge, vor allem wegen der Mutationen. Wir haben gesehen, was in Südafrika passiert ist«, sagt der WHO-Landesdirektor für Kenia, Rudi Eggers.

Dort hat die neue, ansteckendere Virusvariante für einen starken Anstieg der Infektionszahlen gesorgt. Verlässliche Zahlen zur Verbreitung der südafrikanischen Mutante in Kenia gibt es nicht. Regierungslabors testen zwar auf deren Vorkommen, aber laut Experten werden die Ergebnisse bislang nicht ausreichend veröffentlicht. Das kenianische Gesundheitsministerium hat auf eine Interviewanfrage sowie schriftliche Fragen des SPIEGEL bislang nicht reagiert.

Auch an zahlreichen Schulen in Kenia ist es zu Corona-Ausbrüchen gekommen

Auch an zahlreichen Schulen in Kenia ist es zu Corona-Ausbrüchen gekommen

Foto: Dennis Sigwe / SOPA / LightRocket / Getty Images

Experten gehen derzeit noch nicht davon aus, dass es zu Szenen wie im italienischen Bergamo im Frühjahr 2020 kommen wird. Damals mussten Ärzte und Krankenschwester in einzelnen Krankenhäusern darüber entscheiden, wer eine Behandlung bekam und wer nicht. Die bisherigen Corona-Wellen in Kenia sind nach wenigen Wochen wieder abgeklungen. »Die südafrikanische Mutante kann das aber gefährden«, fürchtet Gesundheitsexperte Gikonyo.

Derzeit sind auch mehrere Schulen von Corona-Ausbrüchen betroffen. In einigen Fällen wurden Internate laut Medienberichten komplett geschlossen, die Schüler kehrten in ihre Heimatregionen zurück. Dabei hatten die Bildungseinrichtungen erst Anfang Januar nach knapp neun Monaten ohne Präsenzunterricht wieder ihre Tore geöffnet.

Und es geraten weitere potenzielle Superspreader-Events in den Fokus: Wahlkampfveranstaltungen. In Kenia soll demnächst über eine Verfassungsänderung abgestimmt werden, zahlreiche Politiker ziehen daher auf Stimmenfang durch das Land. Die Bilder gleichen sich bei diesen Veranstaltungen: Menschenmassen dicht gedrängt ohne Masken.

Auch die Politiker, die sonst an das Einhalten der Schutzmaßnahmen appellieren, treten ohne Mund-Nasen-Schutz auf. Einigen Gouverneuren reicht es nun, sie fordern ein einmonatiges Verbot der Wahlkampfauftritte.

Desinfektionsschleuse in Nairobi: Im April 2020 waren noch strenge Maßnahmen in Kraft, heute ist davon kaum noch etwas übrig

Desinfektionsschleuse in Nairobi: Im April 2020 waren noch strenge Maßnahmen in Kraft, heute ist davon kaum noch etwas übrig

Foto: Dennis Sigwe / SOPA / LightRocket / Getty Images

Am Freitag will der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta verkünden, wie es im Land weitergehen soll. Bislang gingen Beobachter davon aus, dass Maßnahmen wie die nächtliche Ausgangssperre aufgehoben werden könnten. Doch danach sieht es nun nicht mehr aus, die Ärzte hoffen eher auf eine Verschärfung der geltenden Regeln. »Wir dürfen nicht nachlassen im Kampf gegen das Virus«, forderte am Mittwoch bereits der Gesundheitsminister.

Im Nachbarland Tansania werden weiterhin nicht einmal die Neuinfektionen erfasst, auch über den Gesundheitszustand des Präsidenten schweigt sich die Regierung aus. Es sieht nicht so aus, als würde die mutmaßliche Covid-Infektion Magufulis ein Umdenken auslösen.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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