Initiative gegen häusliche Gewalt in der Coronakrise Hilferuf per Emoji

Technik gegen Gewalt: In Ecuador setzen lokale Initiativen WhatsApp-Nachrichten und Emojis ein, um Frauen in Not zu helfen
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Es hätte ein gutes Zeichen sein können, dass die Hilferufe auf einmal abnahmen - doch Amparo Peñaherrera war beunruhigt. Seit dem Beginn der Coronaquarantäne meldeten sich immer weniger Frauen beim Frauenschutzzentrum Federación de Mujeres de Sucumbíos in Ecuador. Täglich vier bis sieben Hilferufe gingen ein - dann waren es plötzlich nur noch ein paar vereinzelte Anrufe im Monat.
Dabei warnen die Vereinten Nationen, dass die Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Coronakrise weltweit zunimmt. Und das Schlimmste: Mit den Quarantänemaßnahmen sind viele Betroffene ihren Peinigern noch mehr ausgeliefert, sie können sich kaum entziehen oder unbeobachtet telefonieren.
In Ecuador leben viele Frauen mit ihren Partnern auf engem Raum, viele haben nicht einmal ein eigenes Handy und werden unablässig kontrolliert. Amparo Peñaherrera und ihre Kolleginnen setzen deswegen einen Emoji-Geheimcode ein. So können Frauen Kontakt mit dem Zentrum halten – und die Beraterinnen alarmieren, wenn Gewalt eskaliert.

Ecuador hat in der Coronakrise eine Ausgangssperre verhängt, um die Bewohner zu schützen - doch in der Quarantäne sind Frauen und Kinder noch mehr Gewalt ausgesetzt.
Foto: JOSE SANCHEZ/ AFPUnauffällige Symbole
"Wir vereinbaren mit den Frauen ein bestimmtes Emoji-Set zur Kommunikation, wobei jede Frau selbst bestimmt, was genau ein Emoji signalisiert", beschreibt Peñaherrera das System. "Wir wählen dabei Emojis aus, die unauffällig sind - wir würden zum Beispiel kein weinendes Gesicht wählen, weil der Gewalttäter sonst vermuten könnte, dass die Frauen etwas über ihre Situation mitteilen." Eine Sonne kann zum Beispiel bedeuten, dass die Frau in einer akuten Notsituation ist – und sofort jemand zu ihrem Haus geschickt werden muss, der eingreift. Auch Tiersymbole sind beliebt: Eine Katze signalisiert dann etwa, dass eine Frau Hilfe dabei benötigt, aus ihrem Haus zu flüchten.
"Der Einsatz von Emojis ist sehr neu, das Phänomen kam im März mit dem Beginn der Quarantäne in Ecuador auf und wird mittlerweile in mehreren Provinzen eingesetzt", sagt Alexandra Moncada, Landesdirektorin der Hilfsorganisation CARE Ecuador. "Wenn Frauen sich unsicher fühlen, oder glauben, dass sie unmittelbar bedroht sind, können sie ein bestimmtes Emoji schicken, dann werden die Polizei oder Nachbarn alarmiert." Auch Sexarbeiterinnen nutzen diese Geheimcodes zunehmend.
In der Provinz Pichincha verteilt eine Initiative etwa in der Coronakrise Lebensmittel an bedürftige Familien und hat gleichzeitig ein Alarmsystem gegen häusliche Gewalt etabliert: "Wenn die Helfer eine Nachricht erhalten, dass die Familie einen roten Lebensmittelkorb braucht, bedeutet das: Ich bin in Gefahr, jemand muss zu mir nach Hause kommen."
Andere Digital-Initiativen in Ecuador setzen auf harmlos wirkende Hashtags in sozialen Netzwerken: #NosotrasHablamos , eine Gruppe von Frauen, die selbst häusliche Gewalt erlitten haben, fordert Frauen in akuten Notsituationen oder nach Vergewaltigungen dazu auf, das Hashtag #VendoMaquillaje - "Ich verkaufe Make-up" - einzusetzen, zu schreiben, dass sie einen Eyeliner bestellen wollen und ihre Kontaktadresse zu posten. Freiwillige durchforsten das Internet nach diesen Warnzeichen und alarmieren dann die offiziellen Stellen.
Das Grundproblem lösen die digitalen Hilfsmittel und Kampagnen aber nicht: "Die Gewalt gegen Frauen in Ecuador war schon vor der Krise ein gravierendes Problem, und der Staat hat keine angemessenen Programme, um die Opfer von Gewalt zu unterstützen", kritisiert Alexandra Moncada von CARE Ecuador.
WhatsApp-Nachrichten und Emoji-Codes können dagegen sogar Leben retten. Und auch, wenn betroffene Frauen die Nachrichten sofort wieder löschen müssen, damit ihre Peiniger sie nicht entdecken, geben sie das Gefühl, nicht allein zu sein.
Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.
"Es hilft uns, über ihre aktuelle Lage informiert zu bleiben, und es bestärkt sie darin, dass sie jemanden haben, an den sie sich wenden können", glaubt Amparo Peñaherrera. "Ein kleines Emoji kann lebenswichtige Hoffnung bedeuten."
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