Quarantäne, Abstand, Diät So rüstet sich Großbritannien für die zweite Corona-Welle
Was aussieht wie ein Schnappschuss aus dem Garten des Premierministers, ist in Wahrheit eine wohlkalkulierte politische Botschaft. Auf einem jüngst von der Regierung veröffentlichten Foto spaziert Boris Johnson mit seinem Hund Dilyn über die Wiesen seines Landsitzes Chequers - ohne weitere Begleitung und zügigen Schrittes. Geht es nach dem Premier, soll die Nation es ihm nun gleichtun: Auf Abstand gehen, zu Hause bleiben - und sich mehr bewegen.
Während andere Länder das Coronavirus gut unter Kontrolle gebracht haben und nun die Vorboten einer zweiten Welle bekämpfen, steckt Großbritannien noch inmitten der ersten. Eine direkt folgende zweite Welle wäre ein Desaster - für die Briten, ihr Gesundheitssystem und Johnsons Regierung, die nach einem Jahr im Amt auf eine streitbare Bilanz zurückblickt .
Neue Quarantäneregeln für Urlaubsheimkehrer
Und so bemüht sich die Regierung, mit neuen Maßnahmen die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Zur Verärgerung vieler Briten, die gerade im Urlaub sind, verhängte die Regierung am Samstag kurzfristig eine neue Quarantänepflicht für Einreisende aus Spanien, wo zuvor die Infektionszahlen gestiegen waren. Die Maßnahme überraschte sowohl die Regierung in Madrid als auch britische Urlaubsrückkehrer: Sie müssen sich nun für 14 Tage isolieren. Unter den Betroffenen ist auch der britische Verkehrsminister Grant Shapps, der in Spanien Urlaub machte, während das Kabinett zu Hause ohne ihn den Beschluss fasste.
Die britische Gesundheitsstaatssekretärin Helen Whately gab an, die neuen Quarantäneregeln könnten auf weitere Länder ausgeweitet werden, sollten die Infektionszahlen dies erfordern. Dabei schloss sie auch Deutschland und Frankreich nicht aus. Tatsächlich liegt die Ansteckungsrate auch in den spanischen Urlaubsorten weit unter der Großbritanniens.
Zudem versucht die britische Regierung, die Ausbreitung mit Regeln zu Abstand und Atemschutz zu kontrollieren. Der staatliche Gesundheitsservice NHS empfiehlt etwa weiterhin, zwei Meter Abstand von allen Personen zu halten, die außerhalb des eigenen Haushalts leben. Alleinlebende oder Alleinerziehende dürfen sich mit einem anderen Haushalt zusammentun, als "support bubble", eine "Blase der Unterstützung".
Anders als andere Länder, die sich ausschließlich darum bemühen, die Verbreitung des Virus einzudämmen, rückt die britische Regierung nun zusätzlich einen Faktor in den Fokus ihrer Bemühungen, der nichts mit der Ausbreitung des Virus zu tun hat - wohl aber damit, wie gefährlich eine Covid-19-Erkrankung verläuft: das Körpergewicht.

Boris Johnson: Hat eigenen Angaben zufolge seinen Speiseplan geändert
Foto: Jonathan Brady/ empics/ picture allianceEinem am Freitag veröffentlichten Bericht der Behörde für öffentliche Gesundheit zufolge ist der Zusammenhang unverkennbar. Das Risiko, im Krankenhaus behandelt werden zu müssen, Intensivmedizin zu benötigen oder zu sterben, "scheint demnach progressiv zu steigen mit zunehmendem Body-Mass-Index (BMI) oberhalb des Normalgewichts". Der BMI drückt das Verhältnis des Gewichts zur Körpergröße aus. Die Regierung gab an, fast acht Prozent der Covid-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung seien krankhaft übergewichtig, verglichen mit knapp drei Prozent in der Gesamtbevölkerung.
Neue Gesetze für weniger Verlockung
Premier Johnson selbst hatte den schwierigen Verlauf seiner Covid-19-Erkrankung im April auf seine überflüssigen Pfunde zurückgeführt. Gleich nach der Genesung kündigte er an, abnehmen zu wollen. Das sei ihm inzwischen teilweise gelungen, sagte er am Wochenende: "Ich bin auf dem Weg." Er habe weniger gegessen und viel trainiert und sei etwas mehr als 14 Pfund (6,4 kg) losgeworden.
Nun soll die Nation es ihm gleichtun - denn der Anteil der übergewichtigen Briten steigt seit den Neunzigerjahren fast kontinuierlich. 63 Prozent der Erwachsenen haben ein ungesund hohes Gewicht, davon sind 36 Prozent übergewichtig und 28 Prozent fettleibig. Schon jedes dritte Kind verlässt die Grundschule mit Übergewicht.
Bei der Ankündigung ihrer Gesundheitsoffensive sprach die Regierung nun von Übergewicht als "Zeitbombe", die sie aufgrund des Zusammenspiels mit dem Coronavirus "dringender denn je" angehen müsse:
TV-Werbung für ungesunde Fertigkost solle erst nach 21 Uhr laufen. Auswertungen des britischen Verbunds für Krebsforschung, Cancer Research UK, zufolge bewerben abends über 60 Prozent der TV-Spots für Lebensmittel Produkte mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt - gerade dann sehen auch viele Kinder fern.
Über ein pauschales Onlinewerbeverbot für Süßigkeiten und Fast Food will die Regierung sich alsbald beraten.
Supermärkte sollen Schokolade, andere Süßigkeiten und Knabbereien nicht mehr im Kassenbereich anbieten.
Restaurants sollen über den Kaloriengehalt ihrer Gerichte informieren - Gleiches soll für Alkohol in Pubs gelten.
Noch im vergangenen Jahr hatte Johnson sich während des Wahlkampfs gegen eine "Sündensteuer" ausgesprochen, die für besonders zuckerhaltige Produkte wie Softdrinks angedacht war. Seine eigene schwere Erkrankung habe seine Einstellung jedoch geändert, erklärte er nun seinen interventionistischen Kurs. "Ich glaube eigentlich nicht an bevormundende Politik. Aber die Realität ist: Fettleibigkeit ist einer der zentralen Krankheitsfaktoren. Abzunehmen ist wirklich einer der Wege, wie Sie selbst Ihr Covid-Risiko mindern können. Tatsächlich ist es einer der Wege, wie Sie Ihre Gesundheit insgesamt verbessern und das Gesundheitssystem schützen können."
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Boris Johnson sei durch seine Diät "mehr als einen Stein" losgeworden. Tatsächlich bezog sich die Aussage des Premiers nicht auf eine Last im übertragenen Sinne, sondern auf eine britische Gewichtseinheit. Wir haben den Fehler korrigiert.