Corona und Wirtschaft in der Türkei Erdogans doppelte Krise

Der türkische Präsident Erdogan: Der Mythos vom erfolgreichen Manager Erdogan hat sich längst verbraucht
Foto: -/ dpaRecep Tayyip Erdogans letzter Präsidentschaftswahlkampf 2018 stand unter dem Motto "Hedef 2023": Ziel 2023. Im Jahr 100 der Republikgründung, so versprach der türkische Staatschef, würde die Türkei unter die zehn größten Wirtschaftsnationen der Welt vorstoßen. Nie war die Regierung weiter von diesem Ziel entfernt als in diesem Sommer.
Die türkische Wirtschaft steckt seit Jahren in der Krise. 2018 ließ ein Zollstreit mit den USA die Lira einbrechen. Durch die Coronakrise haben sich die Aussichten nun noch weiter verdüstert.
Die Lira hat seit Jahresbeginn gegenüber dem Euro ein Viertel an Wert verloren. Sie befindet sich mit fast 9:1 im Vergleich zum Euro auf einem historischen Tiefstand. Die Inflation liegt konstant bei zwölf Prozent. Für die Türkei, die mehr als andere Staaten auf Importe angewiesen ist, hat der Währungsverfall weitreichende Folgen: Einfuhren verteuern sich, Unternehmensgewinne sinken, die Kaufkraft nimmt ab.
Die Schwäche der Lira verteuert zudem die Rückzahlung von Krediten. Die Ratingagentur S&P schätzt, dass mehr als ein Drittel aller Kredite in Fremdwährungen aufgenommen wurden. Kommt es in Folge des Währungsverfalls zu massenhaften Kreditausfällen, könnten die türkischen Banken auf einem Teil der Forderungen sitzen bleiben - und dadurch selbst in Schwierigkeiten geraten.
Experten drängen die Regierung seit Jahren, die Zinsen zu erhöhen, um die Lira zu stabilisieren. Erdogan jedoch stemmt sich gegen solche Maßnahmen, da er fürchtet, sie könnten die Konjunktur abwürgen. Er behauptet, höhere Zinsen würden zu einer Inflation führen.
Jeder vierte Türke unter 25 Jahren ist arbeitslos
Hinzu kommt, dass der Tourismus aus dem Ausland, eine der wichtigsten Säulen der türkischen Wirtschaft, durch die Corona-Pandemie teilweise zum Erliegen gekommen ist. Normalerweise bringen ausländische Gäste Geld und Devisen ins Land - und sichern Tausende Arbeitsplätze.
Im ersten Halbjahr 2020 brach die Zahl der Besucher aus dem Ausland jedoch um 75 Prozent auf 4,51 Millionen ein. Im laufenden Quartal sind zwar einige Reisewarnungen gelockert worden, die Einbußen werden dadurch aber nicht ausgeglichen. Schon jetzt ist rund jeder vierte Türke unter 25 Jahren ohne Job.
Erdogan wurde einst gewählt, weil er den Menschen in der Türkei glaubhaft mehr Wohlstand versprach. In den ersten Jahren seiner Amtszeit wuchs die türkische Wirtschaft wie sonst nur die chinesische. Doch der Mythos vom erfolgreichen Manager Erdogan hat sich längst verbraucht. Vielen Türken gilt der Präsident mittlerweile als Hauptschuldiger für die Misere. Sein erratischer Regierungsstil, seine Attacken auf die Demokratie und den Rechtsstaat und seine Konflikte mit den Europäern, so kritisieren Oppositionelle, schwächen auch die Wirtschaft.
Hunderttausende verlassen die Türkei - viele sind jünger als 35
Erdogan regiert inzwischen vor allem durch Angst. Gerade erst hat seine Regierung ein Gesetz erlassen, dass nach Medien und Justiz nun auch das Internet weitgehend unter Kontrolle der Regierung stellt.
Insbesondere junge Menschen wenden sich von dem Langzeitherrscher ab. Immer mehr suchen ihr Heil inzwischen im Ausland. Allein im vergangenen Jahr haben mehr als 330.000 Menschen die Türkei verlassen, rund 40 Prozent davon waren zwischen 20 und 34 Jahre alt.
Die türkische Stiftung Sodev hat kürzlich Menschen zwischen 15 und 25 Jahren gefragt, ob sie im Ausland leben würden, wenn sie die Chance dazu hätten. Nahezu die Hälfte der Befragten, die sich selbst als Unterstützer der Regierungspartei AKP bezeichneten, haben die Frage bejaht.
Der Unmut unter den Jungen könnte Erdogan bei der nächsten Präsidentschaftswahl gefährlich werden. Mehr als sieben Millionen junge Wählerinnen und Wähler dürfen 2023 erstmals ihre Stimme abgeben.