Coronakrise in Frankreich Die große Leere

Paris ist berühmt für seine Cafés und Restaurants. Seit Dienstag dürfen die Bürgerinnen und Bürger ihre Häuser aber nur mit Genehmigung verlassen. Kommen die Menschen damit klar?
Ungewohnte Leere vorm Louvre: Nie haben die Pariser ihre Stadt so gesehen.

Ungewohnte Leere vorm Louvre: Nie haben die Pariser ihre Stadt so gesehen.

Foto: Thibault Camus/ dpa

Wenn es doch wenigstens regnen würde. Aber in Paris strahlt die Sonne, 21 Grad, ein vorgezogener Sommertag.

Die Jogger, von denen es in der Hauptstadt auf einmal mehr denn je gibt, tragen Shorts und schulterfreie Muskel-Shirts. So sportlich wie seit der Ausgangssperre, die am Dienstag, Punkt 12 Uhr mittags begann, waren die Pariser noch nie.

Joggen ist einer der fünf Gründe, die die Bewohner der Stadt berechtigen, in der Coronakrise das Haus zu verlassen. Die anderen sind: Lebensmittel oder in der Apotheke einkaufen, dringend notwendige Arztbesuche, den Hund ausführen oder zur Arbeit gehen, wenn diese das erfordert.

Unklar bleibt, wie weit die Grenzen reichen

Den Passierschein dazu muss sich jeder auf der Webseite des Innenministeriums herunterladen, drucken oder abschreiben. Und vor allem, jeden Tag neu ausfüllen, datieren und unterzeichnen.

Unklar bleibt, wie weit die Grenzen reichen, in denen man sich bewegen darf? Einmal um den Block, um den nächsten Park oder noch weiter? Offiziell heißt es, die Pariser dürften sich nur in ihrem Viertel nach draußen begeben, wenn möglich in einem Umkreis von zwei Kilometern. Aber halten sie sich an die Vorschriften? Eine Erkundungstour - per Fahrrad und zu Fuß.

Der Parc Buttes Chaumont im 19. Arrondissement ist wie alle Parkanlagen seit Tagen geschlossen, aber um ihn herum sitzen an diesem Donnerstagmorgen Menschen auf Bänken, gehen spazieren, spielen mit ihren Kindern. Sie halten sich an die neuen Regeln, joggen allein, respektieren den Sicherheitsabstand von ein bis zwei Metern.

Zwei Frauen halten auf dem Gehweg an und reden miteinander. Kurz darauf fährt eine Zivilstreife vorbei, ein Polizist ruft aus dem Fenster: "Keine Konferenzen bitte!" Nicht stehenbleiben zum Plaudern, keine Zusammenkünfte in Gruppen. 

Mit dem Rad geht es weiter die sonst stark befahrene Rue de Belleville hinunter. Nur wenige Autos sind unterwegs, auf der Place de la République gibt es kaum Menschen. Zwei Militärfahrzeuge stehen dort, Soldaten, außerdem ein Polizeiwagen mit vier Polizisten, die Ausgehscheine kontrollieren.

Auch der Platz vor der Pyramide des Louvre ist leer, eine Joggerin fotografiert die seltene Szene. Nie haben die Pariser ihre Stadt so gesehen. Nicht am frühen Sonntagmorgen, nicht im August, wenn alle Franzosen gleichzeitig in Urlaub fahren, wohl noch nicht einmal im Zweiten Weltkrieg unter der deutschen Besatzung. Da waren zumindest Cafés, Bars und Restaurants noch geöffnet.

Auch am Seineufer, wo sich am vergangenen Wochenende noch dicht an dicht Menschen drängelten, um einen der ersten Frühlingstage zu genießen, gibt es zu diesem Zeitpunkt nur einige Spaziergänger, nirgendwo sind größere Gruppen zu sehen.

Die Appelle an die Verantwortung der Franzosen und die Verpflichtung zur sozialen Distanz scheinen angekommen zu sein. Mitte der Woche hat die Regierung den gesundheitlichen Notstand ausgerufen; im Parlament stimmen sie gerade darüber ab, ob der Premierminister in dieser Ausnahmesituation dringend erforderliche Maßnahmen auch über Verordnungen und nicht über den normalen Gesetzesweg veranlassen kann.

"Es wird ein langer Kampf werden", hat Premier Edouard Philippe an diesem Tag vor dem Senat gesagt. "Und wir wissen schon jetzt, die Bilanz wird dramatisch sein." Der Ernst der Lage ist den meisten Franzosen erschreckend klar geworden. Allen anderen wird seit Dienstag mit Geldstrafen und Polizeipatrouillen zu neuen Erkenntnissen verholfen.

"Es wird ein langer Kampf werden"

An den Champs de Mars, den großen Grünflächen direkt am Eiffelturm, patrouillieren zwischen den Blumenbeeten Beamte der CRS, eine Sondereinheit der Polizei, die in der Vergangenheit vor allem bei Demonstrationen der Gelbwestenbewegung eingesetzt wurde. Die Polizisten sind in Teams von drei Beamten unterwegs, um alle Menschen im Park zu kontrollieren: junge Familien, ältere Damen, Liebespaare, Hundebesitzer, Jogger. Einer der drei Männer ist mit einem Maschinengewehr bewaffnet. 

"Haben Sie Ihre Ausgehgenehmigung dabei, Madame?", fragt einer der Polizisten eine junge Mutter mit ihren beiden kleinen Kindern. Die Kinder klammern sich verängstigt an die Beine ihrer Mutter, die Frau hält dem Beamten ein dicht beschriebenes Blatt und ihren Ausweis entgegen, im vorgeschriebenen Sicherheitsabstand. "Und Sie, Ihre Genehmigung?", wird der Vater, der zu der kleinen Gruppe hinzukommt, gefragt. Er hat keine dabei. 

"Sie wissen, dass Sie damit gegen die Regeln verstoßen? Jeder Erwachsene braucht ein eigenes Formular, jeden Tag ein neues, es darf jeweils nur ein Grund angekreuzt werden, warum Sie das Haus verlassen. Verhalten Sie sich bitte so, wie man das von verantwortlichen Eltern erwarten kann", sagt der Polizist streng. Er könnte jetzt eine Geldstrafe von 135 Euro verhängen, er tut es nicht. Der Höchstbetrag bei Zuwiderhandlung liegt bei 375 Euro.

Auf dem Rückweg kontrollieren die Männer ein junges Mädchen mit Hund, es hat vorschriftsgemäß "Hund ausführen" auf dem Formular angekreuzt. Dann entdecken sie einen Obdachlosen auf einer Parkbank. Trotz schönstem Wetter trägt der Mann eine Wollmütze und eine Daunenjacke, neben ihm auf der Bank liegt eine abgewetzte Stofftasche. Welche Kategorie sollen Obdachlose auf dem Passierschein eintragen, Menschen, die gar kein Haus haben, um es verlassen zu können? 

"Ihre Ausgehgenehmigung bitte", sagt der Polizist. Der Mann ist Rumäne, er versteht nicht, was man von ihm will, hält den Beamten eine Packung Zigaretten entgegen und sagt "No drugs. I have no drugs". Es folgt ein mühsamer, minutenlanger englisch-französischer Dialog. Der Obdachlose soll seinen Namen mit Fingern in die Luft malen. Er malt sein Geburtsdatum. Irgendwann bittet ihn der Polizeiführer zum Einsatzwagen mitzukommen, der vorne an der Straße steht.

Dort wird für ihn ein Passierschein angefertigt, mit einem neuen Kästchen zum Ankreuzen, daneben das Kürzel SDF, das für "Sans Domicile Fixe" ("Ohne festen Wohnsitz") steht. Er muss nur noch unterschreiben und soll dann den Zettel einstecken. "Damit Sie heute keinen Ärger mehr bekommen", sagt der CRS-Beamte.

Am nächsten Morgen wird die Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye in einem Fernsehinterview erklären, dass sie eine Verlängerung der bisher bis zum 1. April geltenden Ausgangssperre für wahrscheinlich hält. "Dies ist nur der Anfang der Krise", bestätigt Präsident Emmanuel Macron kurz darauf in einem kurzfristig einberufenen Verteidigungsrat im Innenministerium.

Alle Minister sitzen im vorgeschriebenen Sicherheitsabstand am runden Konferenztisch. Am Nachmittag kündigt der Innenminister für das Wochenende verstärkte Kontrollen an Bahnhöfen und die Sperrung der Seineufer und der Champs de Mars in Paris an.

In Nizza erklärt der Bürgermeister, ab sofort würde eine Sperrstunde eingeführt, ab 20 Uhr darf in der Mittelmeerstadt niemand mehr auf die Straße.

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