Omikron-Wellen in aller Welt »Das ist hier wie ein Lauffeuer durchgefegt«
Georg Fahrion, DER SPIEGEL:
»In China ist Omikron bereits nachgewiesen worden.«
Heiner Hoffmann, DER SPIEGEL:
»Es ist wirklich wie ein Lauffeuer hier gerade durchgefegt.«
Marc Pitzke, DER SPIEGEL:
»Man hat so ein bisschen den Eindruck: Augen zu und durch.«
Jörg Schindler, DER SPIEGEL:
»Trotzdem hat Boris Johnson bislang davon abgesehen, harte Restriktionen durchzuführen.«
Katharina Peters, DER SPIEGEL:
»Wenn man aus Korea Deutschland beobachtet: Es gibt schon Momente, wo man irgendwie an seiner Heimat verzweifelt.«
Omikron – die neue Variante des Coronavirus verbreitet sich weltweit. Zwar scheint das Risiko, schwer zu erkranken, individuell etwas geringer als bei Delta, aber immer noch höher als bei früheren Varianten. Vor allem die hohe Ansteckungsgeschwindigkeit bereitet Wissenschaftlern Sorge. Großbritannien ist eines der Länder in Europa, die im Moment am meisten Coronaneuinfektion verzeichnen – teils mehr als 200.000 pro Tag.
Jörg Schindler, SPIEGEL-Korrespondent
»Die Krankenhäuser sind zwar sehr stark belastet, aber noch nicht überlastet. Und vor allen Dingen ist es offensichtlich so, dass die Leute, die mit Omikron eingeliefert werden, relativ kurz bleiben und nur relativ wenige davon auf der Intensivstation landen. Die Belastung kommt momentan eigentlich eher daher, dass unheimlich viele Leute, die für den NHS, für den Nationalen Gesundheitsdienst arbeiten, sich selbst isolieren müssen bzw. weil sie selbst infiziert sind, nicht arbeiten können.«
»Bis vor Weihnachten war es so, dass es noch nicht mal mehr verpflichtend war, im öffentlichen Nahverkehr Masken zu tragen. Das haben sie wieder obligatorisch gemacht und eben ein paar geringfügige Einschränkungen, was eben Impfnachweise betrifft, eben für den Besuch von Nachtklubs und Bars, beispielsweise. Die Schotten, die Nordiren, die Waliser haben sehr strikte Maßnahmen eingeführt, noch keinen Lockdown – und Johnson, auch weil er innenpolitisch unter Druck steht, scheut davor sehr stark zurück.«
»Es ist einfach so, dass Großbritannien momentan davon profitiert, dass es in den ersten Wellen so wahnsinnig schlecht dastand. Wir hatten unendlich hohe Infektionsraten, viel höhere in der Regel als überall sonst in Europa, wir haben nach wie vor eine der höchsten Todesraten pro Kopf der Bevölkerung. Es gibt tatsächlich Experten, die sagen, in Teilen des Landes herrscht selbstverständlich inzwischen eine Herdenimmunität durch die hohe Impfrate und die hohe Krankheitsrate, die wir hatten.«
Auch in den USA gehen die Infektionskurven teils steil nach oben – in Relation zur Einwohnerzahl in etwa so wie in Großbritannien. Mehr als eine Million Neuansteckungen pro Tag wurden schon registriert. Rund 60 Prozent davon werden Omikron zugerechnet.
Marc Pitzke, SPIEGEL-Korrespondent
»In New York City zum Beispiel, wo ich bin, ist es anders, hier ist die Omikron-Quote bei etwas über 88 Prozent schon. Die meisten meiner Bekannten und Freunde haben sich inzwischen infiziert, die es alle durch das letzte Jahr geschafft haben, mit Omikron, aber die meisten liegen halt ein, zwei Tage mit einer schweren Erkältung im Bett und sind dann wieder auf gutem Fuß.«
Auch in den USA liegt die Zahl der Krankenhauseinweisungen deutlich unter denen der Delta-Welle.
Marc Pitzke, SPIEGEL-Korrespondent
»Das heißt nicht, dass die Krankenhäuser damit gut klarkommen, man hört von vielen Krankenhäusern, vielen Kliniken, gerade hier in New York, dass das Personal wieder sehr überlastet ist, dass es keine Betten gibt, dass Leute für normale Operationen warten müssen. «
Die USA zählen inzwischen offiziell mehr als 830.000 Corona-Tote, nach offiziellen Zahlen so viel wie kein anderes Land der Welt. Der bekannteste Virusexperte Anthony Fauci warnt vor vielen weiteren Toten, gerade in Gegenden mit zu geringer Impfquote.
Marc Pitzke, SPIEGEL-Korrespondent
»In Florida zum Beispiel ist Fauci eine Persona non grata. Der Gouverneur Ron DeSantis macht Wahlkampf gegen den Faucismus, wie er das so nennt. Er nennt das so den Faschismus von Fauci. Es gibt ganze Regionen in den USA, vor allem ländliche Regionen, wo die Coronapandemie überhaupt keine Rolle mehr spielt, überhaupt kein Thema mehr ist, wo die Leute sich nicht impfen lassen, wo man die Nase rümpft, wenn man mit einer Maske auftritt. Experten sind hier genauso leider in diese politische Polarisierung reingerasselt, wie alle anderen auch.«
In einigen Ländern im Süden und Osten Afrikas hingegen flacht die Omikron-Welle bereits wieder ab, wie zum Beispiel in Kenia.
Heiner Hoffmann, SPIEGEL-Korrespondent
»Wir hatten zeitweise Positivraten von fast 40 Prozent, das heißt mehr als jeder dritte Corona-Test ist positiv gewesen. Das waren die offiziellen Zahlen. Ich habe mit mehreren Krankenhäusern, Ärzten, Testcentern gesprochen. Die meinten, sie hatten teilweise 70 Prozent Positivrate. Das war schon eine irre Welle, die hier durchgerollt ist.«
»Es gibt einige schwere Fälle, auch mit Omikron, das sind aber durchweg Ungeimpfte, beschreiben die Ärztinnen und Ärzte, mit denen ich gesprochen habe. Es gab auch einige Todesfälle. Ansonsten ist die Belastung der Krankenhäuser deutlich geringer als bei vorherigen Wellen. Eine ganz ähnliche Situation, wie sie sich auch in Südafrika gezeigt hat.«
»Das Leben ist im Prinzip weitergegangen, wenn man hier rumläuft, in Bars und Restaurants geht, sieht es auch aus, als hätte es die Omikron-Welle nie gegeben. Die sind immer noch voll, auch in Innenräumen. Auch die Quarantäne-Auflagen werden kaum eingehalten, weil es einfach so wahnsinnig viele Betroffene momentan gibt. Die Impfquote an der Gesamtbevölkerung für zwei Impfungen ist bei ungefähr acht Prozent. Man muss sagen, es scheitert momentan aber nicht an der Verfügbarkeit von Impfdosen. Das war lange so. Inzwischen gibt es viele in Nairobi, in der Hauptstadt wird auch relativ viel geimpft, da ist die Akzeptanz ziemlich hoch und auch die Infrastruktur dafür gut. Gerade im ländlichen Raum sehen viele die Notwendigkeit nicht, dazu muss man wissen, dass die Durchseuchung auch schon extrem hoch ist. Einige Studien sagen zu 70 Prozent, die schon Covid hatten.«
Eine höhere Impfquote zu erreichen ist trotzdem wichtig, sagen Experten. Andernfalls steige das Risiko, dass weitere Varianten entstehen. Zudem schützen Impfungen längere Zeit und besser gegen andere Varianten als Immunität durch Infektion.
China hat die Pandemie seit April 2020 mit extremen Eindämmungsmaßnahmen weitgehend im Griff und verzeichnet offiziell insgesamt nur rund 120.000 Infektionsfälle – bei 1,4 Milliarden Einwohnern. Wie gut diese Strategie mit Omikron funktioniert, ist fraglich. Vier Fälle der neuen Variante wurden bislang auf dem chinesischen Festland nachgewiesen.
Georg Fahrion, SPIEGEL-Korrespondent
»Omikron ist natürlich ein riesiges Problem potenziell für China, weil die beiden meistverimpften Vakzinen hier, das sind Totimpfstoffe. Und von den bisherigen Ergebnissen wissen wir, dass die kaum oder gar nicht gegen eine Infektion mit Omikron wirken. Das heißt, wenn Omikron hier ankäme, dann ist es ungefähr so, als würde das auf eine gänzlich ungeschützte Bevölkerung treffen. Das ist ja nicht so: 85 Prozent der Chinesen sind zweimal geimpft. Das ist eine enorme Leistung. Man müsste aber eigentlich einen Booster draufsetzen, und zwar im besten Fall einen mRNA-Booster. Es gibt aber noch keinen selbstentwickelten chinesischen mRNA-Impfstoff und die westlichen von Moderna und Biontech sind nach wie vor nicht zugelassen.«
Als kurz vor Weihnachten in der Metropole Xi’an 63 Infektionen mit der Delta-Variante bekannt wurden, reagierte China mit einem Lockdown für 13 Millionen Einwohner. Noch immer ist die Stadt abgeriegelt.
Georg Fahrion, SPIEGEL-Korrespondent
»Ein sehr strenger Lockdown, im Grunde der größte Ausbruch und der strengste Lockdown seit Wuhan. Mit strengen Ausgangssperren, mit Leuten, die auf Social Media darüber klagen, dass sie nicht ausreichend von Lebensmitteln versorgt werden. Sobald Omikron hier ankommt, ist anzunehmen, dass wir solche Fälle wie Xi'an wieder öfter haben werden.«
Dass Omikron hier vermehrt ankommt, wird sich bald kaum noch verhindern lassen: Am 4. Februar sollen in Peking die Olympischen Winterspiele beginnen.
Georg Fahrion, SPIEGEL-Korrespondent
»Es werden mehrere Zehntausend Sportler, Funktionäre und Berichterstatter aus aller Welt erwartet und die werden anders als bei sonstigen Ankünften in China, nicht in Quarantäne gesteckt. Das geht ja gar nicht, weil ein Athlet, der 14 bis 21 Tage in Quarantäne ist, dann nicht in Wettkampfform wieder rauskommt. Der Deal ist also, dass die Leute, die für Olympia einreisen, vor Abflug getestet werden, dann noch mal bei Ankunft in China getestet werden und dann in eine Bubble entlassen werden, die hermetisch abgeschirmt ist, soweit das irgend möglich ist. Aber ich würde davon ausgehen, es muss trotzdem Essen reingebracht werden und Müll muss rausgehen. Wie genau das organisiert wird, ist nicht transparent. Aber was passiert, wenn es zu einem Ausbruch dort kommt, ist die Frage, wie groß der wird. Gelingt es dann, ein Cluster oder einzelne Patienten zu isolieren, oder wird es in der Bubble um sich greifen? Das ist natürlich das Szenario, das die chinesische Regierung auf Teufel komm raus verhindern möchte.«
Südkorea hatte Anfang November eigentlich aufgemacht, im Dezember die alten Kontaktbeschränkungen und Restriktionen allerdings wieder eingeführt – zunächst wegen stark steigender Delta-Fälle. Inzwischen wurden aber auch schon mehr als 1300 Omikron-Fälle gezählt.
Katharina Graça Peters, SPIEGEL-Korrespondentin
»Die Regierung hat gesagt, dass sie die Kontaktbeschränkungen, die sie jetzt wieder eingeführt haben, auch nutzen wollen, um sich zu wappnen für Omikron, um jetzt auch weiter die Booster-Impfkampagne voranzutreiben. Man darf sich nur mit bis zu vier Personen treffen. Man kann noch ins Restaurant gehen oder ins Café, aber die schließen um 21 Uhr. Wenn jemand infiziert ist, war es bislang so, dass er in ein spezielles Hotel kam, in ein Covid-Hotel, und dort behandelt wurde. Seit Anfang Dezember hat sich das geändert, weil die Krankenhäuser überlastet waren und die Menschen, die zu Hause Coronavirus haben, die jetzt nicht schwer krank sind, die erhalten erst mal ein Paket, in dem Schutzmasken sind, Fieberthermometer, aber auch ein Sauerstoffmessgerät. Und zweimal am Tag muss man seinen Status durchgeben. Natürlich kommen da immer wieder auch diese Bedenken über Datenschutz und Privatsphäre ins Spiel. Aber diese Diskussion gab es hier in Südkorea nicht. Man fühlt sich eher sicher.«
»Die Koreaner haben einfach ein Bewusstsein für Krisen. In Krisen steht man zusammen und da hält man sich an die Regeln und deswegen tragen die Leute hier alle Masken. Also auch draußen sind wir verpflichtet, Masken zu tragen. Und darüber gibt es keine großen Diskussionen und darüber gibt es auch keinen großen Streit.«
»Wir haben relativ spät gestartet mit der Impfkampagne hier in Korea, aber jetzt sind über 90 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft und die Booster-Kampagne ist hier auch schon in vollem Gang, und wie ich die südkoreanische Regierung – oder die Koreaner und die Behörden hier allgemein – kenne, werden die schon irgendeinen effizienten Plan in der Tasche haben, wie es dann weitergeht, wenn Omikron hier dominant wird.«
Durch die hohen Infektionszahlen könnte die Omikron-Variante einen entscheidenden Beitrag von der Pandemie in einen endemischen Zustand leisten, indem es eine Grundimmunität in der Bevölkerung hervorruft. Hohe Infektionszahlen können aber auch noch immer zu hohen Opferzahlen führen. Und zu deutlich mehr Menschen, die noch lange Zeit nach einer Infektion an den Folgen leiden.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Videos hieß es, der Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking sei am 20. Februar 2022. Tatsächlich beginnen die Spiele am 4. Februar und enden am 20. Februar. Wir haben den Fehler korrigiert.