Sorge vor unbemerktem Ausbruch So bereiten sich afrikanische Länder auf das Coronavirus vor

Mann mit Schutzmaske im Yaba Mainland Hospital in Lagos, Nigeria. Hier wird der erste bestätigte Corona-Patient behandelt
Foto:Sunday Alamba/ AP
Mary zeigt ihren neuesten Trick: Noch im Taxi holt sie eine Atemmaske aus ihrer Handtasche, faltet sie auf, fummelt das Gummiband zurecht und zieht sie dann schwungvoll über ihren Mund. Der Fahrer blickt besorgt in den Rückspiegel. Mary, 29, die nur ihren Vornamen nennen möchte, lacht, streckt ihm das Geld entgegen, was er ungewöhnlich zögerlich annimmt.
Dann geht sie auf dem größten Markt von Accra, der Hauptstadt von Ghana, einkaufen. Und keiner fasst sie an.
Das ist nicht normal. Sonst greifen die Händler, die sie im Gedränge zu ihrem Stand ziehen wollen, nach Marys Schultern, viel zu oft auch nach ihren "Hüften oder anderen Stellen". Doch heute nicht. Die Maske.
Es ist überaus ungewöhnlich, hier eine Schutzmaske zu tragen. Mary ist die einzige Person, die unter den Tausenden Marktbesuchern eine über ihren Mund gezogen hat. Einige fragen sie: "Warst du in China?" Die meisten gehen ihr aber einfach aus dem Weg. Wer so etwas aufhat, der muss wirklich krank sein. Dass Mary die Maske nur trägt, weil sie nicht ständig angetatscht werden will, ahnt niemand.
"Es fällt keinem auf, wenn in Afrika ein paar mehr Leute als sonst sterben"
Die Bundesregierung hat den Export von Atemmasken verboten. In Ghana gibt es sie ohnehin nur selten zu kaufen. Mary hat ihre Schutzmaske von einer befreundeten Krankenschwester bekommen. Sie ist an den Rändern eingerissen und stellenweise eher grau als weiß. "Ich behalte sie, solange es geht", sagt Mary. Hat sie schon mal darüber nachgedacht, dass sie so eine Maske vielleicht wirklich zum Schutz gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 brauchen könnte?
Schulterzucken. "Es ist bestimmt eh schon da", sagt Mary dann. "Es fällt nur keinem auf, wenn in Afrika ein paar mehr Leute als sonst sterben." Dann verhandelt sie den Kaufpreis ihrer Zitronen.
Was Mary auf dem Markt so drastisch formuliert, befürchtet etwas vorsichtiger auch die Afrikazentrale der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Brazzaville, der Hauptstadt der Republik Kongo. Vielleicht, so der beunruhigende Gedanke, ist das neuartige Coronavirus aus China schon längst auf dem afrikanischen Kontinent angekommen und breitet sich unbemerkt aus - zum Beispiel auf den Märkten von Metropolen wie Accra.

Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin im Pasteur Institute in Dakar, Senegal. Das Labor wurde von der African Union als eines der wenigen Referenzzentren für die Bestimmung von Covid-19 ausgewählt
Foto: SEYLLOU/ AFPDerzeit gibt es nur wenige bestätigte Fälle des Coronavirus in Subsahara-Afrika. Zuerst wurde ein in Nigeria lebender Italiener positiv getestet und kurz darauf ein im Senegal ansässiger Franzose sowie drei weitere Menschen im Land. In Ghana wurden zwei Verdachtsfälle bekannt, beide waren negativ. Am Donnerstag meldete auch Südafrika den ersten Fall.
Da viele Infizierte nur leichte Symptome zeigen, ist es aber durchaus möglich, dass sie nicht entdeckt werden. Zwar müssen Einreisende an vielen internationalen Flughäfen inzwischen Fragebögen ausfüllen, die sich nach Hals- und Kopfschmerzen, Lungenbeschwerden, Fieber oder auch Durchfall erkundigen. Aber wer kreuzt in Zeiten der möglichen Quarantäne da wirklich "ja" an?
Die wenigsten Menschen, die in Subsahara-Afrika Halsschmerzen haben, dürften sich damit an einen Arzt wenden. Vielerorts fehlen die Mediziner. Vielen fehlt das Geld für einen Arztbesuch oder die Zeit, teils weite Reisen auf sich zu nehmen oder die Arbeit zu vernachlässigen. "Wer in Ghana Halsschmerzen hat, kauft Orangen oder aus der Apotheke Tabletten, die er schon kennt", sagt Mary. Und wer Fieber hat, denkt vermutlich noch immer zuerst an Malaria.
Doch selbst wer mit möglichen Covid-19-Symptomen ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis aufsucht, kann in den meisten Fällen dort gar nicht getestet werden. Es mangelt unter anderem an Equipment. Anfang Februar konnten nur zwei Labore in Afrika Coronaviren nachweisen. Inzwischen sollen es 26 sein. Das reicht jedoch noch immer nicht, um im Notfall alle möglichen Verdachtsfälle zu überprüfen.
13 Länder Afrikas gelten laut WHO aufgrund ihrer engen Beziehungen zu China als besonders gefährdet. Neben Nigeria, wo die Behörden bereits vor einigen Wochen Reisende aus China darum gebeten haben, gegebenenfalls zu Hause zu bleiben und auf Symptome der Krankheit zu achten, sind das Algerien, Angola, Äthiopien, die Demokratische Republik Kongo, Elfenbeinküste, Ghana, Kenia, Mauritius, Südafrika, Tansania, Uganda und Sambia.
In einigen dieser Länder hat die Regierung offiziell über die Atemwegserkrankung, die in China schon zu mehr als 3000 Todesopfern geführt hat, informiert und Richtlinien zum Händewaschen und dem Verhalten in größeren Menschenansammlungen herausgegeben. Tansania steht nicht auf der Liste, doch Präsident John Magufuli begrüßte in dieser Woche trotzdem einen Oppositionspolitiker nicht mehr per Hand-, sondern per Fußschlag. Das Bild vom "foot shake" ging in den sozialen Netzwerken viral und erreichte vermutlich mehr Menschen, als alle bisherigen Aufrufe zum Händewaschen zusammen.
President John Magufuli salutes ACT-Wazalendo party advisor Professor Seif Sharif Hamad in a coronavirus style at the State House in Dar es Salaam. pic.twitter.com/QdCcL3O1X6
— Daily News Tanzania (@dailynewstz) March 3, 2020
Präsident John Magufuli begrüßt einen Kollegen im schnell so getauften "coronavirus style" im State House von Dar es Salaam
In Hafenstädten wie Tema, nahe Accra, werden Schiffsladungen aus China gesondert untersucht und Mitarbeiter in Hygienemaßnahmen unterrichtet. Die Krankenhäuser wurden angewiesen, sich auf den Notfall vorzubereiten. Notfallpläne scheint es trotzdem vielerorts kaum zu geben. "Wir arbeiten daran", ist von einigen Krankenhäusern in Westafrika zu hören. Die meisten möchten sich auf telefonische Anfrage jedoch nicht näher dazu äußern. Unter den extra ausgewiesenen Notfallnummern nimmt häufig niemand ab.
Dabei hat die Afrikanische Union (AU) schnell auf die weltweite Ausbreitung des Virus reagiert und eine Dringlichkeitssitzung einberufen. Dort erarbeiteten die Gesundheitsminister der 55 Mitgliedstaaten gemeinsam eine "Bereitschafts- und Reaktionsstrategie". In Senegal und in Südafrika wurden Diagnostik-Schulungsworkshops für Experten aus 28 Ländern angeboten, die nun in der Lage sein sollen, Proben auf Covid-19 selbst zu testen.
Dr. Temidayo Fawole, Leiterin des Covid-19-Teams des Nigeria Center for Disease Control (NCDC)
Die WHO hat Richtlinien an alle Gesundheitsministerien herausgegeben, auf Workshops Patienten-Management- und Behandlungspläne an medizinische Vertreter aus Dutzenden Ländern vermittelt sowie zusätzliches Fachpersonal ausbildet. Es ist jedoch ein Kampf gegen die Zeit. Bislang sollen nur 8 der 47 Länder der WHO-Region Afrika angemessen auf einen Corona-Ernstfall vorbereitet sein. In den anderen Staaten mangelt es weiterhin an Intensivstationen, Beatmungsgeräten, medizinischem Personal oder eben schon einfachen Atemschutzmasken.
In Ghana gibt es eine neue Ankündigung: Wer den Verdacht hat, sich mit dem Coronavirus infiziert zu haben, soll möglichst allein zu Hause bleiben und die Mikrobiologin einer Universität anrufen. Auf keinen Fall solle man sich noch selbst in eine Gesundheitseinrichtung begeben. Ein Team kommt bei einem glaubwürdigen Verdacht vorbei und nimmt Proben.
Zu den am besten vorbereiteten Ländern zählt Nigeria. Dem staatlichen Gesundheitskommissar Akin Abayomi zufolge haben die nigerianischen Behörden schnell zu rund 100 Personen Kontakt aufgenommen, die möglicherweise dem Italiener nahegekommen sind, der als Erster in Subsahara-Afrika positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Temidayo Fawole, die nationale Leiterin des Covid-19-Teams des Nigeria Center for Disease Control (NCDC) , erklärte, dass sich das Land seit gut einem Monat auf genau diese Ernstsituation vorbereitet .
Was Sie zum Coronavirus wissen müssen - endlich verständlich
Forscher gehen davon aus, dass Sars-CoV-2 von einem Tier auf den Menschen übergegangen ist. Der Erreger hat starke Ähnlichkeiten zu Coronaviren, die in Fledermäusen zu finden sind. Eine Theorie ist, dass Sars-CoV-2 ursprünglich in Fledermäusen zu finden war, dann eine andere Tierart befiel und so den Weg zum Menschen fand. Bisher ist der genaue tierische Ursprung des Virus jedoch nicht geklärt. Forscherinnen und Forscher gehen aber davon aus, dass der Erreger nicht mutwillig in einem Labor erzeugt wurde. Dies schließen die Experten aus der Erbgut-Sequenz von Sars-CoV-2.
Es gibt eine fachübergreifende Coronavirus-Einsatzgruppe, die sich regelmäßig trifft und über Neuigkeiten informiert. Zudem einen Einsatzplan, der bereits ausgearbeitet wurde, um notfalls schnell die Ausbreitung weiterer Infektionen und die Behandlung der registrierten Patienten zu sichern. Drei Labore wurden hergerichtet, um auf Covid-19 zu testen. In vier Bundesstaaten, denen mit internationalem Flughafen, gibt es Isolations- und Behandlungszentren. Ein Ausbau sei jederzeit möglich und das Personal auf den Ernstfall vorbereitet. "Wir haben einige Szenarien durchgespielt", sagt Fawole. "Alles, was zum gesamten Management der Patienten gehört, dem Transfer, der Behandlung und sogar ihrer Entlassung."
Nigeria gilt auch deshalb als besonders gut im Kampf gegen eine Ausbreitung des Coronavirus aufgestellt, weil das westafrikanische Land bereits 2014 der Ebola-Epidemie standhalten musste. Das bevölkerungsstärkste Land des Kontinents konnte damals durch gut vorbereitete Diagnose- und Quarantänemaßnahmen eine Ausbreitung der Viruserkrankung verhindern.
Viele afrikanische Länder teilen den Kampf gegen Ebola. Und vielen machen zusätzlich andere schwere Krankheiten zu schaffen. Mehr als 6000 Menschen sind in der Demokratischen Republik Kongo an den Masern gestorben, berichtete die WHO vor wenigen Wochen. Jedes Jahr sterben in Afrika 250.000 Kinder an Malaria. Ein unentdeckter und deshalb kaum einzugrenzender Ausbruch des Coronavirus könnte bei den ohnehin überlasteten Gesundheitssystemen für einige afrikanische Länder katastrophale Folgen haben.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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