Kampf um Bergkarabach Der ewige Krieg im Kaukasus

Armenische und russische Soldaten bei einer Militärübung (am 24. September)
Foto: Vagram Bagdasaryan / imago images/ITAR-TASSDie Kaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan kämpfen gegeneinander: Am Sonntagfrüh ist der alte Konflikt um die Region Bergkarabach neu entbrannt, er wird mit schwerer Artillerie, Drohnen und Panzern ausgefochten.
Seit dem Ende der Sowjetunion streiten die verfeindeten Nachbarn um die Region. Aber noch nie seit dem Waffenstillstand von 1994 haben Gefechte dieses Ausmaß angenommen. Was ist anders als sonst?
Die Grundstruktur des Konflikts ist seit mehr als zwei Jahrzehnten dieselbe: Bergkarabach ist eine mehrheitlich armenisch besiedelte Region auf aserbaidschanischem Territorium, die sich für unabhängig erklärt hat. Der nicht anerkannte Staat besteht aus dem schon zu Sowjetzeiten autonomen Gebiet Bergkarabach sowie einer weit größeren Pufferzone, die armenische Truppen faktisch besetzt halten und deren aserbaidschanische Bewohner vertrieben wurden.
Angriff oder Gegenangriff?
Der Status quo begünstigt also Armenien, das den Krieg um die Unabhängigkeit Bergkarabachs gewonnen hat. Die armenische Regierung in Eriwan hat deshalb Interesse an Frieden und Deeskalation entlang der Frontlinie. Aserbaidschan wiederum will den Status quo ändern; mit friedlichen Mitteln ist dem Land das nicht gelungen, die Aussichten dafür sind geschwunden, die Versuchung für militärische Operationen daher groß.

Banges Warten: Menschen in Stepanakert, Aserbaidschan, in einem Luftschutzbunker
Foto: Uncredited / dpaSchon im April 2016 hatte die Regierung in Baku versucht, in einem Überraschungsangriff Teile Bergkarabachs zu erobern. Das misslang jedoch nach wenigen Tagen, denn Armenien ist zwar ärmer und kleiner als Aserbaidschan, aber es hat den Vorteil des bergigen Geländes und konnte seine Linien über viele Jahre befestigen. Auch diesmal spricht alles dafür, dass der Angriff von Aserbaidschan ausging - auch wenn Baku seine Operation einen "Gegenangriff" nannte.
Vieles aber hat sich seit 2016 geändert. Das erklärt die Heftigkeit der Gefechte.
Verändert hat sich der innenpolitische Druck in Aserbaidschan. Das Land ist eine von Öl- und Gaseinnahmen getragene Diktatur, aber Präsident Ilham Alijew muss auf die öffentliche Meinung achtgeben. Nach Gefechten zwischen Armenien und Aserbaidschan im Juli dieses Jahres demonstrierten Zehntausende in Baku für einen Krieg mit Armenien, es kam zu Ausschreitungen. Die Proteste richteten sich damals nicht nur gegen den Feind Armenien, sondern auch gegen die eigene Führung, die als unfähig wahrgenommen wurde. Für Alijew war das ein Warnsignal. Kurz darauf entließ er seinen Außenminister.
Aserbaidschan hat ungewohnt große Rückendeckung von seinem engsten Partner, der Türkei. Historisch hat Aserbaidschan immer enge Beziehungen zur Türkei gehabt, so wie das christliche Armenien zu Russland. Aber früher hatte Ankara mit Rücksicht auf Russland zurückhaltend agiert. In diesem Jahr ergreift es deutlich Partei. Als einzige ausländische Macht hat es, statt beide Seiten zum Frieden aufzurufen, sich ganz klar auf eine Seite geschlagen.
Alijews Hoffnungen auf mehr Nachgiebigkeit in Eriwan sind geplatzt. Vor zwei Jahren stürzte in Eriwan eine friedliche Revolution die Regierung, Protestführer Nikol Paschinjan wurde Premier. Damals wurden mächtige Männer aus der Eriwaner Politik vertrieben, die selbst aus Bergkarabach stammten. In Baku jubelte man über den Abgang des "Karabach-Clans". Aber nach einer kurzen Annäherung stellte sich heraus: In Sachen Karabach ist Paschinjan erst recht Hardliner. "Arzach ist Armenien. Punkt", sagte er 2019 auf einer Kundgebung in Stepanakert. "Republik Arzach" ist der offizielle Name, den sich der selbst ernannte Staat Bergkarabach gegeben hat. Paschinjans Worte sind eine Festlegung, die der armenische Staat juristisch bisher vermieden hat: Armenien hat den unabhängigen Staat Bergkarabach formal nie anerkannt, obwohl es ihn finanziert und verteidigt.
Und schließlich scheinen die Umstände für Aserbaidschan gerade günstig, um die Balance mit Gewalt zu verändern. Russland, die traditionelle Schutzmacht von Armenien, wird sich womöglich mit Worten begnügen. Obwohl Moskau eigene Truppen in Armenien stationiert hat und obwohl Armenien zum russisch geführten Militärbündnis OVKS (der "Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit") gehört, hat Russland anders als die Türkei kein Interesse, sich auf eine Seite zu schlagen.
Armenien mag historisch und kulturell enger mit Moskau verbunden sein, Aserbaidschan hat für Moskau ökonomisch mehr Gewicht. Und seit der friedlichen Revolution in Armenien ist man in Moskau skeptisch, wie loyal Premier Paschinjan und seine Regierung gegenüber Russland überhaupt sind. Einen "Aufmarschplatz für antirussische Kräfte im Kaukasus" nannte die Chefin des russischen Propagandasenders RT Margarita Simonjan (selbst armenischer Herkunft) Eriwan unter Paschinjans Führung. "Nach allem, was ihr gemacht habt, hätte Moskau das moralische Recht, auf euch zu spucken", schrieb sie im Juli auf Facebook, während der letzten Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan.
Die Vereinigten Staaten sind derweil vom Wahlkampf abgelenkt, die EU ist mit sich selbst beschäftigt, die OSZE durch eine Führungskrise lahmgelegt. Es wird also am Ende doch vor allem Moskau sein müssen, das mit seinem Gewicht die dringend notwendige Deeskalation durchsetzt.