Markus Becker

Haushaltserpressung Die EU muss hart gegen Ungarn und Polen vorgehen

Markus Becker
Ein Kommentar von Markus Becker
Ungarn und Polen blockieren mitten in der Pandemie den EU-Haushalt und die Corona-Hilfen – damit sie weiter den Rechtsstaat demontieren können. Lässt die EU sich das gefallen, riskiert sie alles.
Ungarns Ministerpräsident Orbán

Ungarns Ministerpräsident Orbán

Foto: Gabriel Kuchta / Getty Images

Sie haben es wirklich getan. Als Ungarn und Polen damit drohten, mitten in der Pandemie den nächsten Mehrjahreshaushalt der EU und die Hilfsgelder für die Corona-Krisenländer zu blockieren, glaubten die meisten noch an einen Bluff. Jetzt aber ist es amtlich: Budapest und Warschau haben ihr Veto gegen das insgesamt 1,8 Billionen Euro schwere Paket eingelegt. Und das nicht etwa, weil sie Bedenken gegen den Aufbau des Haushalts oder die Corona-Hilfen hätten.

Wenn es doch nur ums Geld ginge.

Stattdessen wollen Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und Polens starker Mann Jaroslaw Kaczynski verhindern, dass die Auszahlung von EU-Geldern künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards gebunden sein soll. Die Zustimmung zu einem solchen Mechanismus sollte in einer Rechtsgemeinschaft wie der EU eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Allein die Tatsache, dass die anderen EU-Staaten und das Europaparlament ihn überhaupt für notwendig halten, spricht Bände über den Zustand des Rechtsstaats in manchen EU-Ländern.

Ebenso vielsagend ist es, wie weit Ungarn und Polen zu gehen bereit sind: Sie missbrauchen den EU-Haushalt und die Coronakrise, um den Rest der EU zur Aufgabe des Rechtsstaatsmechanismus zu zwingen. Das ist politischer Vandalismus, der nicht nur die Pandemieopfer in Italien oder Spanien, sondern auch die Bevölkerungen Polens und Ungarns schädigt. Und es ist Orbáns und Kaczynskis offenes Eingeständnis, dass sie sich endgültig aus der Wertegemeinschaft verabschiedet haben, als die sich die EU noch immer begreift.

Kein Cent für die Verächter des Rechtsstaats

Ein derart rabiates Vorgehen gegen den Rechtsstaatsmechanismus zeigt: Orbán und Kaczynski ist es überaus wichtig, zur eigenen Machtsicherung weiterhin in der Lage zu sein, Medien gleichzuschalten, die Justiz zu korrumpieren und regierungskritische Teile der Zivilgesellschaft kaltzustellen – so wichtig, dass sie notfalls bereit sind, in der EU zu Parias zu werden und Milliarden Euro zu verlieren.

Wer mitten in einer Krise mit Hunderttausenden Toten so handelt, kündigt der Gemeinschaft den letzten Rest an Solidarität auf. Lässt die EU sich das gefallen, kann sie sich auch gleich selbst auflösen. Sie sollte deshalb ernsthaft prüfen, was Marek Prawda, Polens ehemaliger EU-Botschafter und heutiger Vertreter der EU-Kommission in Warschau, kürzlich vorgeschlagen hat: das 750 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfspaket vom regulären Haushalt abzulösen und in Form multilateraler Absprachen neu aufzulegen.

Polen und Ungarn könnten nicht mehr blockieren und erhielten aus den Fonds keinen Cent. Das wäre ein schmerzlicher Verlust. Polen etwa soll nach bisherigen Plänen  allein in den kommenden beiden Jahren knapp 19 Milliarden Euro an reinen Zuschüssen aus dem Corona-Fonds bekommen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Nur Italien, Frankreich und Spanien bekommen mehr.

Die EU lebt von Vertrauen

Sicher, das wäre ein extremer Schritt. Aber das Verhalten Budapests und Warschaus ist nicht weniger extrem. Zudem scheint finanzieller Druck das einzige Mittel der EU zu sein, diese Mitgliedsländer vom Abgleiten in die Autokratie abzuhalten. Alle anderen Werkzeuge haben sich als stumpf erwiesen – weshalb der Rechtsstaatsmechanismus so wichtig ist.

Auch droht die EU sich lächerlich zu machen, zeigte sie jetzt keine harte Reaktion. Seit Jahren wird Polen und Ungarn damit gedroht, dass sie für ihre Verweigerungshaltung bei der Aufnahme von Flüchtlingen und ihr autoritäres Gebaren die Rechnung beim nächsten EU-Mehrjahreshaushalt bekommen. Der liegt nun auf dem Tisch. Und wer steht wieder ganz oben auf der Liste der Nettoempfänger? Richtig, Polen und Ungarn.

Letztlich kann die EU nur hoffen, dass harte finanzielle Maßnahmen die Bevölkerungen gegen Regierungen mit autokratischen Tendenzen aufbringen – so sehr, dass sie um ihre Macht fürchten müssen. Anlass zur Hoffnung besteht durchaus, denn die Bevölkerungen in Ungarn und Polen stehen offenbar auf der Seite der EU, zumindest was den Rechtsstaat betrifft. Kürzlich haben bei einer Umfrage  in beiden Ländern 72 Prozent der Befragten angegeben, dass die Vergabe von EU-Geldern an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Prinzipien gebunden sein sollte.

Ihnen ist offenbar klar, dass die EU, dieses in der Geschichte einmalige Friedensprojekt, auf gemeinsamen Werten gründet. Die EU ist kein Staat, sie hat keine Polizei und keine Strafgerichte. Sie kann Regelbrecher nicht ins Gefängnis werfen, sie kann sie nicht einmal hinauswerfen. Sie muss darauf vertrauen, dass ihre Mitglieder sich an die gemeinsamen Ideale von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit binden. Gehen diese Werte verloren, ist die EU verloren.

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