Feiern und Proteste am US-Unabhängigkeitstag Trump wütet, die Bürger sind wütend

Demonstranten in New York verbrennen US-Flaggen vor dem Trump Tower
Foto: Eduardo Munoz Alvarez/ APEs schien kaum mehr vorstellbar, dass die gesellschaftliche Stimmung in den USA noch weitere Tiefpunkte erreichen könnte - schließlich steckt die Weltmacht angesichts von Pandemie, Massenarbeitslosigkeit und politischer Polarisierung seit Wochen in einer schweren Krise. Es wäre also ein guter Zeitpunkt für ein Staatsoberhaupt, das Land mit präsidialen Worten wieder zu einen, ein Stück weit zumindest.
Donald Trump ließ diese Gelegenheit erneut verstreichen.
Mitten in der sich zuspitzenden Coronakrise nutzte er die Feiern zum Unabhängigkeitstag für düstere und polarisierende Botschaften. In einer Ansprache an die Nation holte er gegen Demonstranten und politische Gegner aus - wie bereits am Vorabend des traditionell unpolitischen Feiertags. "Wir werden niemals zulassen, dass ein wütender Mob unsere Statuen niederreißt oder unsere Geschichte auslöscht", sagte Trump am Samstag in Washington.
Sorgen vor neuen Coronavirus-Ansteckungen zum Trotz verzichtete Trump nicht auf die üppigen Feierlichkeiten in der Hauptstadt. Auf eine militärische Flugschau folgte ein gewaltiges Feuerwerk. Die Mehrheit der Gäste im Garten des Weißen Hauses trug keine Maske. Ein ähnliches Bild hatte sich am Vorabend im US-Bundesstaat South Dakota gezeigt, als mehrere Tausend Menschen Trumps Auftritt vor dem Nationaldenkmal von Mount Rushmore verfolgten.
Am 4. Juli feiern US-Amerikaner jedes Jahr den "Independence Day". An diesem Tag im Jahr 1776 nahmen Abgesandte der 13 amerikanischen Kolonien in Philadelphia offiziell eine Erklärung an, mit der sie sich als Vereinigte Staaten von Amerika von Großbritannien lösten. Seit 1941 ist der Independence Day in den USA gesetzlicher Feiertag und traditionell Anlass für Paraden, Umzüge, Ansprachen und Feuerwerke.
In diesem Jahr jedoch steht der patriotischste aller US-Feiertage unter dem Eindruck der Pandemie und landesweiter Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt. Die USA brachen in den vergangenen Tagen mehrmals ihre Rekorde bei der Zahl der nachgewiesenen Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Drei Tage in Folge lagen die Zahlen nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität bei über 50.000 - so viele wie nie zuvor seit Beginn der Pandemie. Allein in Florida wurden fast 11.500 Neuinfektionen innerhalb eines Tages verzeichnet.
Donald Trump am 4. Juli 2020
Trump spielte die Tragweite der dramatischen Situation nun erneut herunter. "Unsere Strategie kommt gut voran", sagte er. Zu Beginn der Pandemie habe es keine Tests für das neue Virus gegeben, mittlerweile hätten die USA fast 40 Millionen Tests durchgeführt. Trump behauptete, 99 Prozent der gefundenen Fälle seien "komplett harmlos". Insgesamt wurden in den USA mehr als 2,8 Millionen Infektionen mit dem Erreger Sars-CoV-2 nachgewiesen. Rund 130.000 Menschen starben infolge einer Infektion.
Gesundheitsexperten widersprechen Trumps Darstellung, dass die hohe Zahl an Infektionen allein mit der Zahl der Tests zu erklären sei und verweisen auf den gestiegenen Anteil positiver Testungen. Der US-Präsident machte erneut China für die weltweite Ausbreitung des Virus verantwortlich und warf dem Land Vertuschung vor: "China muss in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen werden."
Trump nutzte seinen Auftritt auch für verbale Attacken gegen Demonstranten und seine politischen Gegner. Die "amerikanischen Helden" hätten die Nazis, Faschisten, Kommunisten und Terroristen besiegt, amerikanische Werte gerettet und Prinzipien hochgehalten, sagte er. "Wir sind jetzt dabei, die radikale Linke, die Marxisten, die Anarchisten, die Unruhestifter und Plünderer zu besiegen."
In Anspielung auf die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt, die seit Wochen nicht abreißen und eine Debatte über die Erinnerungskultur losgetreten haben, erneuerte Trump seine Aussage vom Vorabend des Unabhängigkeitstages: "Wir werden niemals zulassen, dass ein wütender Mob unsere Statuen niederreißt oder unsere Geschichte auslöscht." Die Werte, Traditionen, Bräuche und Überzeugungen würden beschützt.
Trump ist es ein Dorn im Auge, dass im Zuge der Proteste Statuen infrage gestellt oder gestürzt wurden, die historische Figuren darstellen, die mit Rassismus und Kolonialismus in Verbindung gebracht werden. Auch lehnt er eine Änderung umstrittener Namen von Militärbasen ab.
Eine berühmte umstrittene Figur ist Christoph Kolumbus, der häufig als "Entdecker Amerikas" bezeichnet wird. Historiker und Bürgerrechtler kritisieren ihn aber für sein gewalttätiges Verhalten gegenüber Indigenen und dafür, entscheidend zum transatlantischen Sklavenhandel beigetragen zu haben. San Francisco entfernte erst kürzlich eine Kolumbus-Statue. Trump sagte: "Wir werden die amerikanische Lebensart verteidigen, beschützen und bewahren, die 1492 begann, als Kolumbus Amerika entdeckte."
Noch am Abend des Unabhängigkeitstages rissen Demonstranten in Baltimore an der US-Ostküste laut Medienberichten eine Kolumbus-Statue von ihrem Sockel und warfen sie im Hafen ins Wasser. In mehreren US-Städten, darunter in Washington und New York, wurde auch am Nationalfeiertag wieder gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. In beiden Städten zündeten Demonstranten etwa US-Fahnen an.

Gespaltene Staaten von Amerika
Trump will bei der Wahl in vier Monaten für eine zweite Amtszeit antreten - doch er steht erheblich unter Druck. Umfragen sehen den designierten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Joe Biden, in Führung. Bei den Umfragen ist Vorsicht geboten, wie die Wahl 2016 zeigte. Doch Trump sieht sich nicht nur wegen seines Umgangs mit der Coronakrise Kritik ausgesetzt, sondern auch wegen seiner Reaktion auf George Floyds Tod und die weitgehend friedlichen Proteste seitdem.
Biden sprach das Anliegen der Demonstranten in einer Videobotschaft zum Unabhängigkeitstag am. "Wir haben die Chance, die Wurzeln des systematischen Rassismus aus diesem Land herauszureißen", sagte er. In einem Meinungsbeitrag für den Sender NBC News schrieb er, die USA seien nie ihrem Gründungsprinzip gerecht geworden, wonach alle Menschen gleich geschaffen sind. So steht es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776.
Biden beklagte, dass das "Streben nach einer perfekteren Gemeinschaft" in den vergangenen Jahren aus der Bahn geworfen worden sei. "Und niemand trägt dafür mehr Verantwortung als Präsident Donald Trump."