Trumps Wahlkampf in Iowa Der Weiße Schrei

Tiraden, Selbstlob und Attacken: Der US-Präsident inszeniert seinen Auftritt in Iowa so vorhersehbar wie Hollywood den Plot eines Blockbusters. Trumps Fans bejubeln die Effekthascherei. Doch deren Euphorie allein wird für den Wahlsieg nicht reichen.
Aus Des Moines berichtet Alexander Sarovic
Trump in Des Moines, Iowa: Dritter Wahlkampfauftritt in dieser Woche

Trump in Des Moines, Iowa: Dritter Wahlkampfauftritt in dieser Woche

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Alex Brandon / AP

Ihre Stimme kann Donald Trump nicht bekommen, ihr Enthusiasmus aber ist dem Präsidenten gewiss. Gemeinsam mit ihrem Vater Rex ist die zwölfjährige Gracie Miller nach Iowa gereist. Schon am nächsten Morgen geht es wieder zurück nach Hause, nach Naples im fernen Südwestflorida.

Der Anlass für den Trip ist schnell erahnt, ein Blick ins Gesicht der Schülerin genügt. Die Aufschrift auf ihrer Maske, weiße Buchstaben und Zahlen, rot umrahmt auf blauem Hintergrund: "Trump - 2020 - Keep America Great".

Keine zwei Wochen nach einem positiven Corona-Test, einem durch die Folgen der Erkrankung bedingten Aufenthalt im Militärkrankenhaus Walter Reed sowie tagelangen - und fortdauernden - Unklarheiten über Gesundheitszustand und Infektiosität des Präsidenten ist Trump wieder im Wahlkampf unterwegs. Die Veranstaltung am Flughafen von Des Moines, der Hauptstadt des Bundesstaats Iowa im Mittleren Westen, ist seine dritte in dieser Woche. Während er in Washington behandelt wurde und festsaß, zog sein Rivale Joe Biden durch das Land. Umfragen sehen den Demokraten beständig vor dem Präsidenten, zum Teil deutlich. Bei Kundgebungen wie dieser will sich Trump bei seiner Basis den nötigen Schub für die Zielgerade im Wahlkampf holen.

Seine treuesten Anhänger kann Trump gar nicht noch mehr überzeugen

Gracie und Rex Miller kann der Präsident gar nicht noch mehr von sich überzeugen, als sie es schon sind. "Er ist einzigartig, er liebt das Land", sagt Gracie. Unter dem rechten Arm hält sie ihre Flugzeuglektüre: "The Case Against Socialism" von Rand Paul, eine 350-seitige Streitschrift des republikanischen Senators aus Kentucky gegen den Sozialismus. Trump habe in seiner Amtszeit viel zustande gebracht, sagt Gracie.

Gracie und Rex Miller am Flughafen von Des Moines: ihr Enthusiasmus ist Trump sicher

Gracie und Rex Miller am Flughafen von Des Moines: ihr Enthusiasmus ist Trump sicher

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Aleksandar Sarovic

Bei der Frage, was seine wichtigsten Errungenschaften seien, hilft ihr Vater Rex kurz aus. Trump habe Steuern gesenkt. Als jemand, der in der Immobilienbranche tätig ist, sieht Rex - durchtrainiert, sichtbar sonnenverwöhnt, entspannt lächelnd und mit kahl rasiertem Schädel - das mit Wohlwollen: Seine Kunden, Unternehmer, CEOs und andere, hätten so mehr Geld in der Tasche. Außerdem habe Trump die Grenzen gesichert. Schließlich sei er ein Präsident für das Volk, nicht für Politiker und Lobbyisten.

Es ist eine Art Refrain der Trump-Anhänger, auf den Rex noch eine Spitze gegen Biden folgen lässt: Dessen Wahlkampfauftritte seien "deflated", wirkten so, als hätte jemand die Luft rausgelassen. Ziemlich deprimierend.

In Iowa ist das Rennen enger, als Trump lieb wäre

Auch das ein Topos, den Trump und sein Team in letzter Zeit häufig bemühen. Allerdings scheint das Rennen zwischen ihm und dem in seinen Augen so schlaffen Biden in Iowa deutlich enger, als dem Präsidenten lieb wäre. Die Datenanalysten von FiveThirtyEight , die Umfrageergebnisse sammeln und nach ihrer statistischen Qualität gewichten, rechnen Trump in dem Staat, den er vor vier Jahren noch ganz deutlich gewann, derzeit nur minimal bessere Chance aus als seinem Rivalen. Allerdings ist Iowa mit seinen sechs Wahlleuten im Präsidentschaftswahlkampf verglichen mit umkämpften Staaten wie Florida, Pennsylvania und Ohio nur ein kleiner Preis.

Wichtiger dürfte in diesem Jahr das Rennen um einen der beiden Senatssitze werden, das entscheidenden Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse in der Kammer haben könnte. Die republikanische Amtsinhaberin Joni Ernst lag zuletzt in Umfragen wiederholt hinter der Demokratin Theresa Greenfield. Vom Auftritt Trumps dürfte Ernst sich neuen Antrieb erhoffen. Die Republikanerin bekannte sich im Wahlkampf zuletzt voll und ganz zur Agenda des Präsidenten, wobei unklar ist, ob es ihr nützen oder schaden wird .

Auf dem Fracht-Vorplatz des Flughafens in Des Moines jedenfalls, auf dem die Rally stattfindet, ist die Antwort auf diese Frage eindeutig. Rex und Gracie Miller, das besonnene Vater-Tochter-Paar aus Florida, fallen hier aus dem Rahmen. "God, Guns and Trump"-Fahnen säumen die Auffahrt. Der sehr starke Wind bläst ein "Women for Trump"-Plakat hinfort.

Männer mit Bärten und Baseballkappen – mit der Aufschrift "Make America Great Again" oder dem Logo des Landmaschinenherstellers John Deere - steigen aus Bussen aus. Einer trägt eine Art Trikot mit der Nummer eins und dem Namenszug "deplorable" (kläglich) auf dem Rücken: jenes Etikett, mit dem Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 die Trump-Anhänger versah und das sich manche von diesen seither mit einer Mischung aus Bitterkeit und trotzigem Stolz angeeignet haben.

Das Publikum ist, in Iowa nicht überraschend, so gut wie ausschließlich weiß. Von den wenigen Schwarzen unter den Anwesenden gehören einige zum Secret Service. Die Lautsprecher tragen den schrillen Ton eines Trump-Vorredners über den Platz, der die Menge mit einer Tirade gegen Medien, "durchgeknallte Linke" und Abtreibungsbefürworter in Stimmung bringt. Er brüllt dabei so laut, dass man ihn womöglich auch bei abgeschaltetem Mikro überall hören würde.

Bedenken wegen steigender Coronazahlen

Zuletzt hatte es wegen der steigenden Corona-Zahlen in Iowa Bedenken gegen die Rally gegeben. Bei der Reservierung der Karten mussten die Trump-Fans auf sämtliche Ansprüche, die sich aus einer Corona-Ansteckung ergeben könnten, verzichten. Die Veranstaltung finden zwar draußen statt. Auch werden am Eingang mit einem Kontaktlos-Thermometer Temperaturen gemessen. Doch ein Großteil trägt keine Maske, Abstandsregeln werden ignoriert.

Trump, der sein Publikum bei seinen Auftritten gern warten lässt, hält es auch diesmal so: Exakt acht Minuten nach dem geplanten Redebeginn landet die "Air Force One" auf der Bahn nebenan: die berühmte Präsidentenmaschine, schamlos degradiert zu einem Requisit in Trumps Wahlkampfinszenierung.

Knapp eine halbe Stunde später, die Töne von "Macho Man" sind vor einigen Augenblicken abgeklungen, tritt Trump ans Mikrofon. Er sei froh, zurück zu sein im amerikanischen "heartland", lässt er die Anwesenden mit leicht angekratzter Stimme wissen und geht sogleich zu seinem gewohnten Programm über: Unter einer riesigen an einem Kran befestigten US-Fahne stehend, wütet er gegen Joe Biden und seinen Sohn Hunter, Twitter, Facebook, den "Green New Deal" und die anwesenden Journalisten, die auf sein Zeichen hin prompt ausgebuht werden.

Die "Air Force One" während Trumps Wahlkampfauftritt in Iowa: Degradiert zu einem Wahlkampf-Requisit

Die "Air Force One" während Trumps Wahlkampfauftritt in Iowa: Degradiert zu einem Wahlkampf-Requisit

Foto: CARLOS BARRIA / REUTERS

Die Anschuldigungen werden immer haltloser und unverständlicher. Trump schaltet auf Selbstlob um: für die militärische Niederlage der Terrormiliz "Islamischer Staat", für seine Chinapolitik. Unter dem Jubel seiner Anhänger zieht er eine der roten Kappen auf und warnt vor einer vermeintlichen Bedrohung durch "die radikale Linke".

Trump lobt Amy Coney Barrett, seine Nominierte für den Supreme Court, und Iowas Senatorin Ernst. Er spricht über die Größe der Menge, die Anwesenden spenden sich selbst Beifall. Doch zu diesem Zeitpunkt ist ein beträchtlicher Teil seiner Anhänger schon vor dem Wind geflohen. Einige stauben noch Wahlkampfplakate und T-Shirts ab, ehe sie den Heimweg antreten.

Er spricht über die Behandlung nach seiner Corona-Erkrankung: "Wie Superman" fühle er sich wieder. Jedenfalls was die Länge seiner Rallys angeht, ist Trump wieder in alter Form: Nach rund eineinhalb Stunden lässt er sich noch ein letztes Mal von seinen Anhängern bejubeln.

Trumps Basis ist, glaubt man den Meinungsforschern, in diesem Jahr motivierter als 2016: Laut einer Umfrage  der "Washington Post" und des Senders ABC bezeichnen sich 71 Prozent seiner Anhänger als "sehr enthusiastisch" - verglichen mit 44 Prozent vor vier Jahren und 52 Prozent unter den Biden-Unterstützern. Allerdings ist der Anteil der verbleibenden unentschiedenen Wähler, die sich 2016 kurz vor der Wahl weit überwiegend für Trump entschieden, nun deutlich kleiner als damals. Und wichtige Wählergruppen wie Senioren wenden sich Umfragen zufolge zunehmend von ihm ab. Die Begeisterung seiner treuesten Anhänger allein wird Trump im Wahlkampf nicht reichen.

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