Edel Rodriguez / DER SPIEGEL

Marc Pitzke

Die Lage: USA 2020 Trumps Manöver gefährden die US-Demokratie

Marc Pitzke
Von Marc Pitzke, US-Korrespondent

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute beschäftigen wir uns mit Trumps immer gefährlicheren Winkelzügen, der Radikalisierung der US-Republikaner – und dem Schicksal von Mar-a-Lago.

Jackie Speier weiß, wie gefährlich Sekten sein können. 1978 wurde die US-Demokratin schwer verletzt, als sie Menschenrechtsverstöße in der Fanatikersiedlung Jonestown in Guyana untersuchte. Sektierer erschossen Speiers damaligen Chef, den Kongressabgeordneten Leo Ryan, und vier weitere Besucher; Speier überlebte, indem sie sich tot stellte . Kurz darauf starben Sektenführer Jim Jones und mehr als 900 Anhänger per Massensuizid und Massenmord.

42 Jahre später sieht Speier – die seit 2008 selbst im US-Kongress sitzt – Ähnlichkeiten zwischen Jim Jones und Donald Trump, zwischen Jonestown und Trumpworld. »Die Parallelen sind ziemlich klar«, sagte  sie der Website »Daily Beast«. Personenkult, Gehirnwäsche, Endzeitfantasien: Trump tue »das Gleiche«.

Trumps widerspenstiger Abgang: Götterdämmerung über dem Weißen Haus

Trumps widerspenstiger Abgang: Götterdämmerung über dem Weißen Haus

Foto: Andrew Harnik / AP

Trumps widerspenstiger Abgang, halb Möchtegern-Staatsstreich, halb Tragikomödie, provoziert noch andere Vergleiche. Manche  erinnert er an »König Lear«, andere  an Orson Welles' Kinoklassiker »Citizen Kane«, der in den USA gerade eine Renaissance erlebt. »Citizen Kane« war immer schon  Trumps »Lieblingsfilm aller Zeiten«: Am Ende stirbt der fiktive Pressebaron Charles Foster Kane im Wahn und verlassen auf seinem Schloss Xanadu – »eine einsame, traurige Figur«, sinnierte  Trump 2015.

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All diese Geschichten enden in Tod und Tragik. Das ist auch Trumps größte Furcht. Seit der Wahl irrlichtert er, wie Lear und Kane, durchs Weiße Haus, twitternd, tobend , getrieben von immer groteskeren Fantasien, wie er doch noch im Amt bleiben kann. Wer nicht mitspielt, wird verstoßen  – ob Vizepräsident Mike Pence, Stabschef Mark Meadows oder Chefsenator Mitch McConnell.

Kein Wunder, dass (fast) alle Trumps »Titanic« verlassen  haben. Selbst der erzkonservative TV-Altprediger Pat Robertson erkennt , dass Trump nur noch »in einer alternativen Realität« herumspukt: Höchste Zeit für den Nochpräsidenten, »seines Weges zu ziehen«, so sein Rat .

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Trumps Zirkel ist auf eine Handvoll dubioser Männer geschrumpft, angeführt von Michael Flynn, dem wegen Meineids verurteilten, von Trump aber begnadigten Ex-Sicherheitsberater, sowie Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani, der für seine Dienste  als Anwalt angeblich 20.000 Dollar am Tag verlangt . Auch gegen Giuliani wird ermittelt , auch hier winkt eine Begnadigung, wie anderen Personen  aus Trumps Orbit – darunter angeblich  selbst dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der im Fall Jamal Khashoggi in den USA verklagt worden ist.

Keine Verschwörungstheorie ist zu absurd, um Trumps wunde Seele zu laben. Ein Beispiel: Hugo Chavez († 2013) soll die Wahlen 2020 manipuliert haben. Kein Sabotageakt zu radikal, um Joe Bidens Amtsantritt zu verhindern – bis hin zum Militärputsch, wie ihn General a.D. Flynn kürzlich anregte . Trump selbst hat am Dienstag 15 Menschen begnadigt, darunter auch treue Weggefährten.

Für ihn scheint keine Verschwörungstheorie zu absurd: Trump-Anwalt Giuliani

Für ihn scheint keine Verschwörungstheorie zu absurd: Trump-Anwalt Giuliani

Foto: JONATHAN ERNST / REUTERS

Mittlerweile distanzierte sich selbst Justizminister Bill Barr, einer der treuesten Handlanger Trumps, noch eben schnell, bevor er zu Weihnachten vorzeitig das Weite suchte, um das noch dräuende Drama seinem Vize Jeff Rosen zu überlassen. Auch die Führung der Armee sah sich genötigt, klarzustellen: »Bei der Bestimmung des Ausgangs einer amerikanischen Wahl spielt das US-Militär keine Rolle«, hieß es.

Die Durchstechereien aus dem Weißen Haus werden derweil immer panischer. »Ich kann mich nicht erinnern, von hohen Regierungsbeamten solche Besorgnis gehört zu haben«, schreibt  »Axios«-Reporter Jonathan Swan, der im August eines der spannendsten Interviews der Trump-Ära führte.

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Die Insider verdienen kein Mitleid. Zwar ist Trumps Götterdämmerung beispiellos in der Geschichte, wann brachte ein US-Präsident zuletzt die Demokratie ins Wanken? Doch nichts daran ist neu für Trump, und wer ihm bis heute die Brechstange hält, ist kein Mitläufer, sondern Komplize.

Seit Jahren warnt Trumps einstiger Anwalt Michael Cohen, Trump werde das Weiße Haus »niemals friedlich verlassen«, jetzt sieht er sich bestätigt: »Sein fragiles Ego erlaubt es ihm nicht, zuzugeben, dass er die Wahl verloren hat«, sagte  Cohen der »Vanity Fair«. Auch Trumps Nichte Mary deutete  im SPIEGEL-Gespräch bereits im Juli Ähnliches an.

Es handelt sich hier nicht um die bisher schrillste Episode der Trump-Realityshow. Was gegenwärtig in den USA geschieht, das findet in keinem Vakuum statt. Trump kann noch großen Schaden anrichten.

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Er verweigert seine Amtspflichten, blockiert die nahtlose Übergabe der Geschäfte an Joe Biden, ignoriert die fast 323.000  Corona-Toten, sabotiert  die Finanzhilfen für Millionen Arme und Arbeitslose  und spielt die schwerste Cyberattacke auf amerikanische Einrichtungen seit Jahrzehnten herunter.

Sektierer der Woche

Verweigerte Amtspflichten: Donald Trump

Verweigerte Amtspflichten: Donald Trump

Foto: JONATHAN ERNST / REUTERS

Zugleich mobilisiert Trump aber, und hier kommt Jackie Speiers Sekten-Analogie wieder ins Spiel, weiterhin eine enorme, zu allem bereite Fangemeinde. »Wir haben bei dieser Wahl einen Erdrutschsieg erzielt«, log er, als er sich jetzt per Telefon  in eine Tagung junger Konservativer einschaltete. »Four more years!«, begrüßten die das, obwohl Twitter solchen Unsinn längst mit Warnetiketten markiert.

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Eine Gruppe von Trump-hörigen Republikanern will am 6. Januar, wenn der Kongress das Wahlergebnis absegnen soll, Last-minute-Einspruch einlegen. Damit werden sie nichts erreichen – außer, dass sie den Routineakt zum Spektakel machen, was auch die einzige Absicht ist.

Trump bejubelt  die telegene Störaktion bereits und hielt am Montag mit den Rebellen Kriegsrat  im Oval Office. Was bei seiner Basis die Erwartung wecken könnte, dass es im letzten Moment doch noch eine Wende gibt – oder dass sie andernfalls den Aufstand wagen müssen. (Mehr dazu hier .)

Das ist auch der Grund, weshalb ich den Vergleich mit Jim Jones eben am prägnantesten finde (minus Massaker). »Wenn du siehst, wie die Proud Boys mit dem Messer auf Leute losgehen und Gewalt anzetteln, dann erschreckt das einen«, sagte Jackie Speier in Anspielung auf die rechtsextreme Gruppe, die neulich im Namen Trumps in Washington Unruhe stiftete. »Dies ist eine politische Sekte. Das andere ist eine religiöse Sekte.«

Und auch der Unterschied verwischt. Über die konservative US-Medienwelt, in der Fox News fast schon als zu moderat gilt, schwört Trumps Desinformation ein Millionenheer aufs finale Gefecht ein – oft mit pseudoreligiösem Anstrich.

»Jesus ist mit uns«, hat der Radiotalker Eric Metaxas dem scheidenden Präsidenten versichert . Metaxas und Mike Flynn waren auch die Hauptredner bei besagten »Protesten« in Washington, nach denen die Proud Boys durch die Straßen zogen. Zum Höhepunkt schwebte Trump im Helikopter über der Menge, halleluja.

Rassistensymbol oder harmlose Geste? Trump-Anhänger in Washington

Rassistensymbol oder harmlose Geste? Trump-Anhänger in Washington

Foto: Allison Dinner / imago images/ZUMA Wire

In seinem Selbsterhaltungstrieb treibt Trump die Republikanische Partei in die Radikalisierung – ein »Abstieg in den Wahnsinn«, warnt  der konservative Kommentator Peter Wehner im »Atlantic«, während eine Forschergruppe der Stanford University schon im Oktober von gefährlichem »politischen Sektierertum« sprach .

Sicherheitsexperten fürchten  im Kielwasser Trumps sogar eine noch viel breitere »Massenradikalisierung« Amerikas, verbunden mit dem wachsenden »Risiko rechtsextremer Gewalt«. Die flackerte schon unter Trump vermehrt auf , und sie wird noch lange gären, wenn er das Weiße Haus geräumt hat.

Flucht der Woche

Trumps Rückzugsort: Privatklub Mar-a-Lago in Palm Beach

Trumps Rückzugsort: Privatklub Mar-a-Lago in Palm Beach

Foto: MANDEL NGAN/ AFP

Wann und wie genau diese Zwangsräumung ablaufen wird, ist noch offen. An diesem Mittwoch flüchtet Trump jedenfalls nach Palm Beach in Florida, um die Feiertage in seinem Privatklub Mar-a-Lago zu verbringen. Manche munkeln, dass er gar nicht mehr von dort zurückkehrt, sondern sich einbunkert wie »Citizen Kane«.

Doch eine Dauerresidenz in Mar-a-Lago könnte schwer werden. Schon 2016 hatte ich in Palm Beach eine Trump-feindliche Stimmung verspürt: »Er ist neureich und gehört nicht zu uns«, hieß es damals. Seither legte er als Präsident wochenlang den Ortsverkehr lahm, was weder das Lokalkolorit noch die Immobilienpreise dieser VIP-Enklave verbesserte.

Nun kommen noch andere Probleme dazu: Beim Umbau seines Anwesens in einen Mitgliedsklub soll sich Trump 1993 verpflichtet  haben, dieses nicht als Privathaus zu nutzen, und das könnten einige der reichen Nachbarn nun offenbar einklagen . Eine neue Pilgerstätte für die Trump-Sektierer wollen die meisten wohl doch nicht in ihrer Idylle.

Unsere US-Storys der Woche

Diese Geschichten meiner Kollegen möchte ich Ihnen ans Herz legen:

  • Ines Zöttl über das unzureichende Corona-Hilfspaket des US-Kongresses;

  • Alexander Sarovic über  Trumps immer verzweifeltere Machtmanöver.

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche und friedliche Feiertage!

Herzlich,

Ihr Marc Pitzke

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