Nikolaus Blome

USA in der Krise Heult doch!

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
Vom baldigen Untergang der Demokratie in den USA zu raunen, macht Donald Trump größer, als er ist. Und lenkt vom eigentlichen Problem ab.
US-Präsident Trump in Washington: Schlange und Kaninchen

US-Präsident Trump in Washington: Schlange und Kaninchen

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Patrick Semansky/ AP

Weißer Rassismus, Gewalt, Corona und die Wirtschaftskrise wühlen die USA auf. Der Mann an der Spitze tut mit frappierender Bösartigkeit das Seine dazu. Donald Trump und seine Helferlein sind eine Schande.

Stimmt alles. Ist aber alles auch bekannt. Und nu?

Mir scheint, es ist der neue Kick der Trump-Kritik, vom Untergang der amerikanischen Demokratie zu raunen. Kleiner geht's nicht mehr, es ist wie Drogensucht. Zwar wurde Amerika hierzulande schon oft abgeschrieben, doch dystopische Fantasien eines Bürgerkriegs sorgen für eine neue Stufe des selbstgerechten Gruselns bei Biowein im Altbau: die USA moralisch und politisch am Ende, jetzt aber wirklich.

Als Erstes fällt mir dazu ein: Echt jetzt? Soweit ich weiß, haben die Amerikaner noch nie ihre Demokratie weggeworfen, seit sie eine haben. Viele europäische Staaten taten das im Laufe der Zeit und die Deutschen mit besonderer Wonne. Hinterher brauchte man die Amerikaner, um aus dem Westen unseres Landes wieder eine Demokratie zu machen, und 44 Jahre später Michail Gorbatschow, um es auch im Ostteil hinzukriegen.

Selbstverständlich hat jedermann das Recht, die Zukunft der USA düster zu sehen. Auch finde ich es irgendwie unpassend, den Anti-Rassismus-Demos vom Wochenende betroffen bis hämisch vorzuhalten, dass dort die Abstandsregeln gebrochen wurden. Mich stört eher, dass etliche Demonstranten aus ihrem Mitgefühl mit dem Opfer eines rassistischen Mordes das übliche Total-Tribunal über ganz Amerika entwickeln. Das sind Trittbrettfahrer der Trauer.

"Muss man sich um die USA Sorgen machen?", fragt der SPIEGEL in seiner Titelgeschichte . "Wir müssen uns auf die Möglichkeit vorbereiten, dass Trump das Wahlergebnis nicht akzeptiert", warnt die "Washington Post". Wow. Trump ist gewiss der Erste, der als vulgärer Lügner eine US-Präsidentenwahl gewonnen hat. Trotzdem ist die amerikanische Demokratie kein Pokal, den er einfach aus der Vitrine klauen kann. Die Coronakrise der letzten Wochen hat gezeigt, dass die Demokratie in den USA auch deshalb funktioniert, weil sie ausgeprägt föderal organisiert ist. Die Gouverneure der Bundesstaaten haben sich in ihrer Arbeit nicht beirren lassen. Und Trump Trump sein lassen.

Das legt nahe, dass die völlige Fixierung auf die Person des Präsidenten das eigentliche Problem ist. Dieser gebannte Blick auf seine Zügellosigkeit oder seine Egomanie ist wie der Blick des Kaninchens auf die Schlange. Das geht nicht gut aus für das Kaninchen.

"Heult doch, oder macht endlich euren Job", möchte man also den US-Demokraten zurufen, deren inoffizielles Partei-Wappentier der Esel ist. Die Demokraten sollen meines Erachtens nicht warnen, dass Trump eine knappe Wahlniederlage vielleicht nicht anerkennt. Sie sollen endlich alles dafür tun, dass sie die Wahl haushoch gewinnen. Und da geht noch was, gelinde gesagt.

Warum zum Beispiel schaffen es die Demokraten nicht einmal jetzt, einen so himmelschreiend desorientierten Präsidenten bei seinen Anhängern unmöglich zu machen - oder seinen willfährigen Republikanern an jedem einzelnen Tag die Hosen stramm zu ziehen? Die Wählerblöcke seien in den USA schrecklich zementiert, hieß es neulich dazu in einer Analyse, deshalb bewege sich in den Umfragen so wenig. Menno, ist aber echt blöd in dieser Demokratie, da muss man ja die ganze Zeit versuchen, Andersdenkende zu überzeugen. Im Ernst: Wenn die Demokraten im November auch die zweite Präsidentenwahl gegen Trump vermasseln, können sie zusperren und nicht die Demokratie.

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Und warum eigentlich gehen bei US-Präsidentschaftswahlen nur 50 bis gut 60 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen? Die Weißen aus der Unter- und Mittelschicht, die für die Republikaner stimmen, würden bald keine Wahl mehr entscheiden können, hieß es schon vor Ewigkeiten. Sie würden demografisch überholt von Menschen anderer Hautfarben, die eher Demokraten wählen. Was tun die Demokraten, die Gouverneure und die einschlägigen Interessengruppen also dafür, dass die Wahlbeteiligung steigt?

Man muss die Demokratie nicht nach der Wahl vor einem schlecht geföhnten Gott-sei-bei-uns retten - es reicht, wenn vorher alle wählen gehen. Dazu zählen ausdrücklich auch jene, gleich welcher Hautfarbe, die abseits der friedlichen Großdemonstrationen gerade durch die Straßen amerikanischer Großstädte ziehen und ihrer Wut über den Mord an George Floyd freien Lauf lassen.

Auch wenn Magarete Stokowski hier vor einigen Tagen etwas anderes suggeriert hat: Es ist keine ungebührliche Einmischung in die Trauer und kein Rassismus, Opfer von Rassismus gegebenenfalls zur Vernunft zu mahnen. Eine ausgefüllte Wahlregistrierung ist besser als eine eingeschlagene Schaufensterscheibe, auch wenn es dabei keinen neuen Fernseher gratis gibt. Und weil wir von Demokratie reden: Nicht die Unvernünftigen haben sie erfunden. Es waren die Vernünftigen.

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