Oppositionsführer Tusk hält EU-Austritt Polens für möglich

Polnischer Oppositionschef Tusk: »Schneller, als es irgendwem scheint«
Foto: Maciej Luczniewski / imago images/NurPhotoDonald Tusk hält einen Austritt Polens aus der EU nicht für ausgeschlossen. Das Land könne »schneller, als es irgendwem scheint« kein EU-Mitglied mehr sein, wenn die derzeitige Kampagne der nationalkonservativen Regierungspartei PiS aus den Händen gleite, sagte der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer dem Sender TVN24. Tusk ist kommissarischer Vorsitzender von Polens größter Oppositionspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform.
Ein hochrangiger Vertreter der PiS hatte vor zwei Tagen die weitere Zusammenarbeit Polens mit der EU infrage gestellt und damit eine landesweite Debatte angestoßen. »Wir müssen darüber nachdenken, wie viel weiter, wie viel mehr wir noch zusammenarbeiten können, damit wir alle in der EU bleiben, und damit diese EU für uns annehmbar ist«, hatte PiS-Fraktionschef Ryszard Terlecki am Mittwoch bei einem Wirtschaftsforum in Karpacz gesagt und auf den Brexit verwiesen. Polen müsse auch über »drastische Schritte« nachdenken.
Ein Regierungssprecher betonte daraufhin, der Austritt Polens aus der EU sei nicht geplant.
Der anhaltende Streit zwischen Warschau und Brüssel um die polnischen Justizreformen hat sich zuletzt weiter verschärft. Die EU-Kommission beantragte am Mittwoch beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Geldstrafen gegen Polen. Hintergrund ist die fortgesetzte Tätigkeit einer Disziplinarkammer zur Bestrafung polnischer Richter.
Über den Antrag muss nun der EuGH entscheiden. Dieser hatte Mitte Juli geurteilt, dass Polen mit der Disziplinarkammer gegen europäisches Recht verstößt. Die 2018 eingerichtete Kammer am obersten Gericht des Landes biete nicht alle Garantien für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, befanden die höchsten europäischen Richter.
Orbán springt PiS-Regierung bei
Unterstützung im Streit mit der EU bekam die Regierung in Warschau von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Der jüngst von der EU-Kommission gestellte Antrag auf finanzielle Sanktionen gegen Polen sei »beispiellos«, heißt es in einem von Orbán unterschriebenen Regierungsbeschluss, den das ungarische Amtsblatt am späten Donnerstagabend veröffentlichte.
»Ungarn steht für Polen ein«, heißt es in dem Dokument. Mit ihrem Sanktionsantrag habe die EU-Kommission »zahlreiche Bestandteile der Souveränität eines Mitgliedslandes verletzt«. Justizministerin Judit Varga soll nun prüfen, wie Ungarn in das vor dem EuGH laufende Verfahren zugunsten Polens eingreifen könne.
Auch in dem seit 2010 von Orbán regierten Ungarn bestehen Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit. Unter anderem wird die ungarische Staatsanwaltschaft Kritikern zufolge dermaßen von Orbán-Loyalisten kontrolliert, dass Verfahren wegen mutmaßlicher Korruption im Umfeld der Regierungspartei Fidesz und der Familie Orbáns so gut wie nie eingeleitet werden.
Ungarn und Polen erhalten bedeutende Transferzahlungen von der EU. Beide Länder betrachten das Pochen der EU auf Rechtsstaatlichkeit beim Umgang mit diesen Geldern als Eingriff in ihre Souveränität.