Eine Reise in eines der unsichersten Länder der Welt – unterwegs im bewaffneten Konvoi durch Somalia, im Osten Afrikas. Weniger als zehn Kilometer entfernt von hier beginnt Feindesland, kontrolliert von der islamistischen Terrorgruppe Al-Shabab.
Plötzlich tauchen aus dem Nichts bunte Zelte auf, etwa 30.000 Menschen hausen hier. Geflohen sind sie allerdings nicht vor dem Terror in ihrem Land – sondern weil die Dürre ihre Dörfer unbewohnbar gemacht hat. Die Bilder erinnern an die verheerende Hungersnot vor zehn Jahren, als 250.000 Menschen starben.
Juhara Ali
»Ich habe schon vorher Hunger gelitten, ich bin daran gewöhnt. Aber meine Tochter ist krank, sie bräuchte dringend Medizin. Ich selbst bin schwanger, aber ich habe keine Kraft mehr. Ich besitze nichts mehr, es ist wirklich schwer.«
Ihre 14 Kühe sind aufgrund der Dürre gestorben, die einzige Einnahmequelle fiel damit weg. So blieb Juhara und ihren Kindern nur die Flucht. Fünf Tage und Nächte lang sind sie zum Camp gelaufen. Ihre Tochter war schon krank, sie ist teilweise gelähmt. Doch durch den Hunger wurde sie immer schwächer – und Medikamente kann sich die Mutter nicht leisten.
Juhara Ali
»Meiner Tochter geht es vor Tag zu Tag schlechter, sie kann nichts mehr bei sich behalten und erbricht sich. Ich versuche ihr Tee und Milchpulver zu geben, aber sie bekommt sofort Durchfall.«
Ein Ärzteteam ist heute im Camp zu Besuch, sie entscheiden: Die kleine Ubah muss so schnell wie möglich in ein Krankenhaus. Es geht um Leben und Tod. Die Mediziner können nur das Nötigste vor Ort behandeln, und jeden Tag kommen neue Geflüchtete an. Fast alle hier waren Viehhirten, bis die Dürre ihre Tiere dahinraffte. Drei Regenzeiten in Folge sind ausgeblieben, eine Katastrophe abseits der internationalen Schlagzeilen.
Mohammed Ahmed, Save the Children Somalia
»Somalia erlebt eine Klimakatastrophe, die ist bereits in vollem Gange. Riesige Teile der Bevölkerung werden durch die Dürre vertrieben, sie müssen ihre Heimat auf der Suche nach lebensrettender Hilfe verlassen. Die Dürre ist so verheerend, die Kinder sterben an Hunger.«
Hier im Krankenhaus der Hafenstadt Kismayo, etwa 15 Kilometer vom Camp entfernt, werden die schwersten Fälle versorgt. Mehr als zehn unterernährte Kinder sind heute schon eingeliefert worden, und es werden täglich mehr.
Mohamed Ibrahim Jelle, Krankenhaus Kismayo
»Wenn sie hierherkommen, geht es ihnen wirklich schlecht, sie sind völlig abgemagert. Die Mütter erzählen uns, dass sie nichts zu essen haben, was sie ihren Kindern geben könnten. Viele können sich den Krankenhausaufenthalt nicht leisten, sie haben alles verloren. Und keine Organisation hilft ihnen.«
Am nächsten Morgen fahren wir zurück ins Camp. Wir wollen nachschauen, wie es Juharas Tochter geht, ob sie in Richtung Krankenhaus aufbrechen. Doch dann bemerken wir eine Begräbniszeremonie – und erfahren: Das vierjährige Mädchen hat die Nacht nicht überlebt.
Juhara Ali
»Nach dem Morgengebet ist sie gestorben. Sie hat viel Flüssigkeit verloren, sie hat gar nichts mehr gegessen. Ich werde sie als fröhliches Mädchen erinnern, sie hat immer mit ihren Geschwistern gelacht.«
Und die kleine Ubah ist nicht das einzige Opfer. Zwei Tage zuvor ist ein weiteres Kind im Camp gestorben. In der vergangenen Woche waren es laut Behörden 15 Hungertote allein in der Gegend um Kismayo. Doch bislang kommt kaum Hilfe für die Dürreopfer an. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen ist in Somalia akut unterfinanziert, kann deshalb nicht genug Essensrationen ausliefern oder Bargeld an die Betroffenen auszahlen.
El-Khidir Daloum, WFP-Landesdirektor Somalia
»Wir sind komplett hilflos, wir können nichts machen. Diese hungernden Menschen, die alles verloren haben – wir lassen sie im Stich. Wir steuern geradewegs auf eine große Hungersnot zu.«
Und der aktuelle Krieg in der Ukraine verschärft das Problem noch weiter.
El-Khidir Daloum, WFP-Landesdirektor Somalia
»Bisher haben wir Erbsen aus Odessa importiert. Die kommen nicht mehr an. Einige Geldgeber hatten uns Hilfslieferungen geschickt, die waren bereits auf dem Weg nach Somalia. Doch auf See wurden sie nun in Richtung Ukraine umgeleitet. Die Preise sind auch explodiert, besonders für Erbsen und Weizen.«
Juhara bangt nun um ihr zweites Kind Abdifatah, es ist nicht einmal zwei Jahre alt. Auch er ist unterernährt, war schon mehrfach im Krankenhaus. An guten Tagen bekommt die Familie eine Mahlzeit am Tag – doch zu oft müssen sie hungrig ins Bett gehen.
Doppelt sich mit Off-Text vor dem Ton. Vielleicht eher: Die Lage für Juhara und die anderen hier im Camp dürfte sich durch Putins Krieg noch einmal dramatisch verschlechtern.