Neuer Ebola-Ausbruch Die Spritze, die Afrika Hoffnung macht

In Guinea und der Demokratischen Republik Kongo ist wieder Ebola ausgebrochen, Erinnerungen an die heftige Epidemie 2014 werden wach. Doch diesmal scheint vieles besser zu laufen.
Von Heiner Hoffmann, Nairobi
Ebola-Impfung in der Demokratischen Republik Kongo (Archivbild)

Ebola-Impfung in der Demokratischen Republik Kongo (Archivbild)

Foto: Olivia Acland / REUTERS
Globale Gesellschaft

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Lucie Haba hat nichts unversucht gelassen. Als sie Kopfschmerzen und Fieber bekam, ging sie umgehend ins örtliche Gesundheitszentrum. Die Diagnose der Ärzte: Typhus. Doch Habas Symptome wurden nicht besser, sie musste sich regelmäßig übergeben, fühlte sich schwach. Also konsultierte die Patientin, selbst Krankenschwester, Ärzte einer weiteren kleinen Klinik in Nzérékoré im Südosten Guineas. Diesmal wurde ihr gesagt, sie habe Malaria. Eine fatale Fehldiagnose.

Die 51-Jährige wurde offenbar immer verzweifelter. Denn am Tag darauf suchte sie einen traditionellen Heilpraktiker auf, wie es sie in diesem Teil Westafrikas viele gibt. Vier Tage später, am 28. Januar, war sie tot. Mit einer großen Beerdigungszeremonie nahm ihre Familie von ihr Abschied. Wieder ein fataler Fehler, wie sich nun herausstellt. Denn Lucie Haba hatte Ebola, das ist inzwischen bestätigt. Sie wurde bekannt als Patient zero.

Fünf Familienmitglieder und der Heilpraktiker haben sich höchstwahrscheinlich bei ihr angesteckt. Vier davon sind in den vergangenen Tagen gestorben. Ebola gilt als eine der tödlichsten Krankheiten der Welt, die Mortalität liegt bei etwa 50 Prozent. Bei manchen Ausbrüchen in der Vergangenheit sind sogar neun von zehn Patienten dem Virus erlegen. Die schlimmste Ebola-Epidemie wütete von 2014 bis 2016 in Westafrika, mit mehr als 11.000 Toten. Auch damals hatte sie im dicht bewaldeten Südosten Guineas ihren Ursprung.

Mitarbeiter des französischen Roten Kreuzes während der heftigen Ebola-Epidemie 2015

Mitarbeiter des französischen Roten Kreuzes während der heftigen Ebola-Epidemie 2015

Foto: Reuters Staff / REUTERS

Der Ebola-Ausbruch vor fünf Jahren sorgte auch in Europa und den USA für Panik. Zum ersten Mal fühlte sich der globale Norden ernsthaft vom exotischen Virus aus Afrika bedroht. Doch die Hilfsmaschinerie lief spät, viel zu spät, an. Das Virus hatte sich längst in Westafrika ausgebreitet, die örtlichen Gesundheitsbehörden waren mit ihren knappen Ressourcen heillos überfordert.

Der Epidemiologe Maximilian Gertler von der Berliner Charité war damals für Ärzte ohne Grenzen vor Ort im Einsatz. Er erinnert sich noch gut an den Moment, als er das Ausmaß der Katastrophe erfasste: »Wir haben zusammen mit den guineischen Gesundheitsbehörden eine Karte ausgebreitet. Dann haben sie uns gezeigt, wo Ausbrüche vermutet werden. In dem Moment war mir klar, wie wenig wir eigentlich ausrichten können.« Wir – das waren in diesem Fall ein Distriktarzt ohne Auto und ein kleines Team von Ärzte ohne Grenzen.

Die verschlafene Reaktion auf den damaligen Ebola-Ausbruch gilt als eines der größten Versagen in der Geschichte der Weltgesundheitsorganisation WHO. Viel zu wenig Personal wurde mobilisiert, zwischenzeitlich sogar wieder abgezogen. Auch Deutschland beteiligte sich erst Monate nach Bekanntwerden des Ausbruchs. Als ein Behandlungszentrum der Bundeswehr in Liberia feierlich eingeweiht wurde, war das Land bereits wieder so gut wie Ebola-frei.

Maximilian Gertler beobachtet den jetzigen Ausbruch in Guinea aus der Ferne. Zwar hat er in seinem Kalender bereits nachgeschaut, ob er im Notfall schnell nach Westafrika fliegen könnte. Doch er ist zuversichtlich, dass das nicht nötig sein wird: »Die Situation ist eine völlig andere. Alle sind sensibilisiert. Damals haben wir nach 2000 Fällen und 700 Toten kaum Aufmerksamkeit für die Epidemie bekommen, jetzt sind nach sieben oder acht Fällen alle alarmiert.«

Ärzte ohne Grenzen hat wieder ein Team zusammengestellt, es ist Mittwochnacht in Guinea angekommen und nun auf dem Weg in den betroffenen Distrikt.

Maximilian Gertler: Schon im Kalender nachgeschaut, ob er im Notfall schnell nach Westafrika fliegen könnte

Maximilian Gertler: Schon im Kalender nachgeschaut, ob er im Notfall schnell nach Westafrika fliegen könnte

Foto: Thomas Koehler / photothek / imago images

Anja Wolz hat aus Brüssel alles organisiert, es sind lange Tage für sie. »Das größte Problem ist, dass das Virus schon seit mindestens einem Monat zirkuliert. Wir wissen nicht, wie viele Fälle es wirklich gibt«, erzählt sie am Telefon. Und doch sei diesmal vieles anders: »Wir haben Impfungen, wir haben neue Medikamente, wir haben schnellere Tests.« Auch der Ebola-Experte Maximilian Gertler sagt: »Es gibt jetzt keine Ausreden mehr.«

Um die betroffene Gegend wurde bereits eine Art Schutzring errichtet. Rein und raus kommen die Bewohner nur noch über Hygieneschleusen. In den öffentlichen Verkehrsmitteln werden Namen und Kontaktdaten der Passagiere erfasst. »Die Rückkehr des Ebolavirus macht uns große Angst«, sagt Einwohner Théodore Loua. »Wir haben damals viele geliebte Menschen verloren, sind sozial geächtet worden.« Dringend appelliert er an die Regierung, diesmal entschieden durchzugreifen.

Per Videoschalte gibt der Gesundheitsminister von Guinea, Rémy Lamah, dem SPIEGEL ein Interview. Es zeigt, mit welchen Herausforderungen die Behörden vor Ort noch kämpfen. Das Computermikrofon des Ministers funktioniert nicht, am Ende muss das Gespräch klassisch per Handy stattfinden. Trotz aller technischen Schwierigkeiten: Das Ministerium zeigt sich entschlossen und hat diesmal schneller gehandelt.

»Ich komme selbst aus der betroffenen Region«, erzählt der Minister. »Meine eigene Familie hat mich zuerst auf verdächtige Fälle hingewiesen, auf Patienten mit Durchfall, Erbrechen und Fieber im Krankenhaus.« Die guineischen Behörden hätten dann sofort Ebola-Tests veranlasst und die Kontaktpersonen isoliert. »Wir haben sofort offiziell eine Epidemie ausgerufen und Notfallsitzungen organisiert.«

Guineas Gesundheitsminister Rémy Lamah: »Meine eigene Familie hat mich zuerst auf verdächtige Fälle hingewiesen«

Guineas Gesundheitsminister Rémy Lamah: »Meine eigene Familie hat mich zuerst auf verdächtige Fälle hingewiesen«

Foto: Pierre Albouy / REUTERS

Doch nicht alles wird auch direkt umgesetzt. Die Regierung Guineas hat zwar angeordnet, Schulen und Kirchen in der betroffenen Region Nzérékoré zu schließen. Doch vor Ort ist davon noch nichts zu spüren – Schulen sind geöffnet, auch am Mittwoch haben sich viele Einwohner zu Gebeten in den Kirchen getroffen.

Die Rekonstruktion der Ereignisse rund um Lucie Habas Tod zeigt, wie schwer es ist, einen Ausbruch einzudämmen. Denn Habas Mann stieg kurz nach der Beerdigung seiner Frau trotz Symptomen in ein öffentliches Kleinbus-Taxi Richtung Hauptstadt Conakry. Sein Ziel: eines der großen Krankenhäuser mit besserer Gesundheitsversorgung. »Wir haben ihn sofort isoliert und konnten zum Glück alle Kontakte schnell ausfindig machen«, erzählt der Gesundheitsminister.

Gesundheitsteams informieren Einwohner der Demokratischen Republik Kongo im Sommer 2019 über Vorsichtsmaßnahmen zum Ebolavirus

Gesundheitsteams informieren Einwohner der Demokratischen Republik Kongo im Sommer 2019 über Vorsichtsmaßnahmen zum Ebolavirus

Foto: Anadolu Agency / Getty Images

Mit ziemlicher Sicherheit war die Krankenschwester Lucie Haba aber gar nicht Patient Zero. Denn in den Wochen vor ihrem Martyrium pflegte sie ihre kranke Schwiegermutter, die an unerklärlichen Blutungen litt, berichten örtliche Medien. Kurz darauf starb die ältere Dame, auch in diesem Fall gab es eine große, ungeschützte Beerdigung. Solche Berichte nähren die Sorge eines breiteren, unentdeckten Ausbruchs. In der offiziellen Statistik bleibt es bislang jedoch bei drei bestätigten und vier wahrscheinlichen Verdachtsfällen.

Immerhin: Guinea ist vom gleichzeitig wütenden Coronavirus bisher vergleichsweise verschont geblieben. Am Ende könnte sich die Überlagerung der zwei Epidemien sogar als Vorteil herausstellen, sagt der WHO-Landeschef für Guinea, George Ki-Zerbo im Gespräch mit dem SPIEGEL. »Wir haben ohnehin Teams zur Kontaktnachverfolgung von Covid-Patienten im Einsatz, die können wir jetzt schnell für Ebola nutzen.« Zudem seien die Einwohner sensibilisiert für Social Distancing und regelmäßiges Händewaschen, das helfe nun auch gegen das Ebolavirus.

Temperaturmessen bei Schulkindern in Guineas Hauptstadt Conakry während der Ebola-Epidemie 2015: Auch der globale Norden fühlte sich bedroht

Temperaturmessen bei Schulkindern in Guineas Hauptstadt Conakry während der Ebola-Epidemie 2015: Auch der globale Norden fühlte sich bedroht

Foto: ZUMA Wire / imago images

Und auch die Medizin hat seit 2014 riesige Fortschritte gemacht, vor allem beim Impfstoff. Denn weil sich während des großen Ebola-Ausbruchs auch der globale Norden bedroht fühlte, wurde viel Geld in die Entwicklung einer Vakzine gesteckt. Mit Erfolg.

In der Demokratischen Republik Kongo war ein neuer Ebola-Impfstoff bereits wirkungsvoll im Einsatz, auch in diesen Tagen wird er wieder genutzt. Denn im Kongo ist Ebola ebenfalls zurück, wenn auch bislang nur mit vier bestätigten Fällen.

Am Sonntag sollen die ersten Impfdosen auch in Guinea eintreffen, bestätigt der Gesundheitsminister. Doch anders als beim Coronavirus sei keine groß angelegte Impfkampagne nötig: »Wir impfen nur die Kontaktpersonen der bestätigten Fälle, das erfolgt sehr zielgerichtet«, sagt Rémy Lamah. Denn Ebola hat eine lange Inkubationszeit, eine frühzeitige Impfung kann den Verlauf deutlich mildern. Zudem senkt sie die Ansteckungsgefahr erheblich.

»Im Vergleich zu 2014 haben wir noch zwei weitere Vorteile«, erklärt WHO-Landeschef George Ki-Zerbo. »Es gibt inzwischen Medikamente, welche die Sterblichkeit etwas senken können. Und es gibt schnelle Tests, das hilft uns derzeit sehr.« 2014 mussten die Proben der Patienten noch ins Ausland, teils sogar nach Frankreich, geflogen werden.

Und noch etwas haben die Behörden und medizinischen Helfer inzwischen gelernt: Ohne die betroffenen Communities lässt sich Ebola nicht bekämpfen. »Damals sind viele Teams mit Astronautenanzügen und fünf Autos in den Dörfern eingerückt«, erinnert sich Ärzte-ohne-Grenzen-Koordinatorin Anja Wolz. »Da gab es viel Abwehrhaltung und Feindseligkeit, die Leute hatten einfach Angst.«

Kampf gegen Ebola in Westafrika: Gesundheitsmitarbeiter desinfizieren sich gegenseitig

Kampf gegen Ebola in Westafrika: Gesundheitsmitarbeiter desinfizieren sich gegenseitig

Foto: Zohra Bensemra / REUTERS

Diesmal soll es anders laufen: Sogenannte Community-Teams reden zuerst mit den Dorfbewohnern, binden auch traditionelle Anführer und Heilpraktiker mit ein. »Wir kommunizieren auch über WhatsApp und Social Media, da gibt es viele Fragen«, sagt Anja Wolz. Statt großer Behandlungszentren gebe es kleine, dezentrale Konzepte. »Ohne die Unterstützung der Bevölkerung können wir Ebola nicht bekämpfen. Das wissen wir jetzt.«

Eine große Chance auch für Europa, findet Petra Dickmann. Sie hat während der Ebola-Epidemie vor fünf Jahren die WHO beraten, heute entwickelt sie Corona-Konzepte unter anderem für die Thüringer Landesregierung, arbeitet an der Uniklinik Jena. »In Deutschland gibt es quasi keine Beteiligung der Community, das wird alles von oben bestimmt. Aus Afrika haben wir erkannt, dass das nicht funktioniert. Jetzt sollten wir vom Süden lernen.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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