El Salvadors Präsident Bukele Der Twitter-Autokrat

Staatschef Bukele inszeniert sich als Reformer
Foto: Victor Pena/ REUTERSAuf den Vorwurf, er entwickle sich zum Autokraten, reagierte Nayib Bukele mit einem Retweet. Er teilte den Kommentar einer jungen Sympathisantin, die einen kostenlosen Fahrdienst der Regierung El Salvadors für chronisch Erkrankte lobte. In einer Diktatur, schrieb die Nutzerin, gebe es solche Wohltaten nicht.
Dutzende Male am Tag wendet sich Bukele per Twitter an El Salvadors Bevölkerung. Meist sind es Wohlfühlbotschaften - bisweilen begleitet von sorgfältig produzierten Clips: Lob für Bürger, die aus dem Ausland zurückkehren und sich in Quarantäne begeben, Eigenlob für den Kampf der Regierung gegen das Coronavirus und die Kriminalität, Glückwünsche zum Muttertag. Hie und da setzt der junge Staatschef eine Spitze gegen seine politischen Gegner.
Seit Juni vergangenen Jahres ist Bukele Präsident des kleinen mittelamerikanischen Landes. Sein Wahlsieg markierte das Ende eines Zweiparteiensystems, von dem sich die Bürger frustriert abwandten. Seit dem Ende eines blutigen Bürgerkriegs Anfang der Neunzigerjahre hatten sich die rechte Arena-Partei und die linke FMLN, der auch Bukele einst angehörte, an der Macht abgewechselt. Das Ergebnis waren Bandenkriminalität und die zwischenzeitlich höchste Mordrate der Welt, Massenauswanderung, Armut und Korruption.
Ein Faible für Selfies, eine Abneigung gegen Krawatten
In seiner Siegesrede am Wahlabend rief Bukele, in Jeans und Lederjacke gekleidet, den Neuanfang aus. Im Wahlkampf hatte sich der frühere Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador als politischer Außenseiter präsentiert. Er kündigte an, Korruption und Kriminalität zu bekämpfen, blieb aber detaillierte Auskünfte darüber, wie er denn regieren wolle, schuldig.
Knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist der 38-Jährige noch immer beliebt in der Bevölkerung. Seine Zustimmungswerte in Umfragen liegen regelmäßig bei über 80 Prozent. Grund dafür ist unter anderem die Sehnsucht vieler Bürger nach einer endgültigen Abkehr von der Korruption des alten Systems.
Mit einem Faible für Selfies und einer Abneigung gegen Krawatten hat er eine enge Bindung zur jungen Bevölkerung hergestellt. Die Beziehung zu seinen Anhängern ähnelt bisweilen der zwischen einem Influencer und seinen Fans.
Was nicht hineinpasst in die heile Social-Media-Welt, sind die autoritären Anwandlungen des Präsidenten: Unduldsamkeit bei Widerspruch, Verachtung für demokratische Regeln und die Bereitschaft, ohne langes Fackeln das Militär einzusetzen. Kritiker befürchten, dass Bukele das Land in die Autokratie zurückführen könnte.
Um ein Darlehen für seinen Kampf gegen Kriminalität durchzudrücken, marschierte Bukele Anfang Februar an der Seite von Soldaten ins Parlament, wo die beiden Establishment-Parteien Arena und FMLN noch immer das Sagen haben. Der Vorfall zog eine Verfassungskrise nach sich. Die Bilder von Soldaten mit M16-Gewehren weckten Erinnerungen an die Militärdiktatur, die das Land über Jahrzehnte regiert hatte.
In der Coronakrise hat Bukele diesen Kurs noch einmal verschärft: Der vom Präsidenten verhängte Lockdown, einer der striktesten Lateinamerikas, wird mit drakonischen Strafen durchgesetzt. Bei Verstoß gegen die Quarantäneregeln drohen bis zu 30 Tage Haft.
Polizei und Armee haben seit Anfang April mehr als 2000 Menschen verhaftet. Das Oberste Gericht des Landes erklärte die Maßnahmen für verfassungswidrig, weil Bukele sie ohne Zustimmung des Parlaments verfügt hatte. Der Präsident setzte sich darüber hinweg: "Fünf Leute werden nicht über den Tod Hunderttausender Salvadorianer entscheiden", twitterte Bukele. Inzwischen hat das Parlament die Maßnahmen abgesegnet.
Im Namen des Volkes wird die Demokratie untergraben
Ein Anstieg der - zuvor lange rückläufigen - Zahl der Morde im April veranlasste Bukele dazu, Mitglieder rivalisierender Banden in gemeinsame Zellen werfen zu lassen. Sein Büro veröffentlichte zudem Fotos Hunderter halb nackter Gefangener: Kopf an Rücken zusammengepfercht - und bizarrerweise mit Mundschutzmasken ausgestattet - sitzen diese da, während Wärter ihre Zellen durchsuchen. Human Rights Watch kritisierte die Behandlung der Gefangenen als unmenschlich .
Bukeles Vorgehen folgt einem bestimmten Muster: Er verweist auf Wohl und Willen der Bürger und leitet daraus das Recht ab, Institutionen zu übergehen. Im Namen des Volkes untergräbt der Präsident Freiheitsrechte und demokratische Normen.
Die immer kruderen Methoden gehen dabei mit einer geschmeidigen PR-Offensive in den sozialen Medien einher. "Keine Demokratie kann so funktionieren, wie El Salvador derzeit funktioniert", schrieb der salvadorianische Publizist Óscar Martínez jüngst in einem Gastbeitrag für die "New York Times ". "Der Präsident twittert, und das Militär geht auf die Straße, um den Befehl auszuführen."
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Seiner Popularität schadet es offenbar kaum - was auch daran liegen dürfte, dass Bukele 1,5 Millionen armen Haushalten den Lockdown mit einer einmaligen Zahlung von jeweils 300 Dollar versüßt. Die Anhänger des Präsidenten scheinen sich auch nicht daran zu stören, dass eine ganze Reihe einflussreicher Ämter von Freunden und Verwandten Bukeles bekleidet wird. Seine Frau, Gabriela, soll einen Großteil der Kabinettsposten vergeben haben. Ein Onkel des Staatschefs ist Handelsminister. Ein Cousin wurde zum Vorsitzenden von Bukeles Partei "Neue Ideen" gewählt.
Diese hat gute Chancen, Anfang kommenden Jahres die Mehrheit im Parlament zu erlangen. Der Staatschef wäre damit weiter gestärkt. In El Salvador dürfen amtierende Präsidenten nicht zur Wiederwahl antreten, weshalb Bukele eigentlich 2024 abdanken müsste. Doch schon jetzt wird darüber spekuliert, ob er die Beschränkung aufheben oder auf andere Weise umgehen wird. Es wäre nicht die erste Regel, über die er sich hinwegsetzt.