Lockdown in Frankreich verlängert Die neue Demut des Emmanuel Macron

Eine Familie verfolgt Emmanuel Macrons Fernsehansprache: "Wird der 11. Mai das Ende dieser Bewährungsprobe sein?"
Foto:Laurent Cipriani/ AP
Wie sagt man seinem Volk, was es nicht hören will? Wie verkündet man weitere Härten und eine Verlängerung der Ausgangssperre um vier Wochen, wenn man doch so gern gemocht, respektiert und geliebt werden möchte? Wenn die Kriegsrhetorik verbraucht ist und die Aussicht auf die kommenden Monate düster?
Emmanuel Macron hatte diese Aufgabe am Abend des Ostermontags von 20.02 Uhr bis 20.29 Uhr in einer erneuten Fernsehansprache an die Nation zu lösen. Und er löste sie eher gut. Vom Krieg, in dem sich Frankreich gegen das Virus befindet und den er in seiner zweiten Ansprache insgesamt sechsmal als rhetorische Figur strapaziert hatte, war nicht mehr die Rede. Diesmal sprach ein Präsident, der demütig wirkte und leiser war als sonst. Ein Mann, der seine Sätze mit Fragezeichen enden ließ. "Wird der 11. Mai das Ende dieser Bewährungsprobe sein?", fragte Macron. "Auf diese Frage haben wir noch keine definitiven Antworten."
Zuzugeben, etwas nicht zu wissen, gehört zu den schwersten Aufgaben eines Politikers und man muss Macron nicht besonders gut kennen, um zu ahnen, wie schwer gerade ihm das fällt. Der Shutdown in Frankreich geht also weiter bis zum 11. Mai. Ab diesem Datum, so verkündete der Präsident es heute, soll eine allgemeine Schutzmaskenpflicht herrschen, sollen nach und nach die Schulen wieder öffnen, die Franzosen wieder zur Arbeit gehen können. Restaurants, Cafés, Bars und Kinos werden wohl erst viel später wieder öffnen können. Ebenso wie die Grenzen des Schengenraumes, die wie Macron sagte, wohl bis September geschlossen bleiben. Ältere Mitbürger sollen weit über den 11. Mai hinaus nicht aus dem Haus gehen können, zu ihrem eigenen Schutz.
Macron will Frankreich einen
Es war eine ganze Reihe von Zumutungen, die der französische Präsident verkündete. Aber er wisse, so sagte er, dass diese Nation sich brüderlich und solidarisch zeigen werde. Genauso wie sie in den vergangenen Wochen gezeigt habe, dass sie - allen Vorurteilen zum Trotz - nicht undiszipliniert sei. Seit Wochen versucht Macron, an die Einheit der Nation in dieser Krise ungekannten Ausmaßes zu appellieren, so wie es einst François Mitterrand vor seiner Wiederwahl 1988 getan hatte, als er "La France Unie" beschwor. Aber dieses Frankreich ist im Jahr 2020 alles andere als geeint. Das war schon vor Corona so. Aber die Pandemie legt die Zersplitterung des Landes und alle dazugehörigen sozialen Ungerechtigkeiten nun so brutal offen, dass niemand sie mehr dementieren kann.
Und so steigt in Woche fünf der Ausgangssperre, die am Dienstag beginnt, nicht nur die Ungeduld der Franzosen. Es steigt auch die Wut all jener, die diese Krise härter trifft als andere. Weil sie auf wenig Platz eingesperrt sind. Weil sie keine finanziellen Rücklagen haben. Weil sie von ihren Ehemännern geschlagen werden. Eine Aufgabe von Macrons Rede war es deshalb auch, auf diesen Teil der Bevölkerung einzugehen.
Macron tat dies bereits in seinen allerersten Sätzen: Er wisse, dass es schwierig sei, sich zu mehreren in diesen Wochen eine kleine Wohnung teilen zu müssen. Und im Übrigen gebühre "alle Ehre unseren Pflegekräften in den Krankenhäusern", sagte er in Minute drei seiner Rede. Bis Anfang des Jahres hatten die noch massiv gegen seine Rentenreform protestiert. "Waren wir genügend vorbereitet auf diese Krise?", fragte Macron. "Eindeutig nein." Nicht genügend Schutzmasken, nicht genügend Schutzkleidung, nicht ausreichend Beatmungsgeräte.
Macron, der Kriegsherr - Macron, der Vater der Nation
Vor knapp einem Monat hatte Macron den Kriegsherrn gegeben. Am Montagabend versuchte er, in die Rolle des Vaters der Nation zu schlüpfen, für den es in Frankreich vor allem ein berühmtes Vorbild gibt: Charles de Gaulle. Es ist keine Rolle, die Macron natürlich zufällt, schon allein, weil er so jung ist. Aber nicht nur deshalb. Bisher wurden ihm andere Attribute zugeschrieben: Macron war der Mann, der die politische Landschaft Frankreichs durcheinandergewirbelt hatte und für Disruption stand. Der immer ein wenig arrogant über den Dingen stand und keiner war, der seine schützende Hand übers Volk hält, sondern einer, der diesem Volk immer wieder Neues abverlangte: Es sollte eine Rentenreform historischen Ausmaßes schlucken. Und eine Aufweichung des Schutzes der Arbeitnehmer durch eine Arbeitsmarktreform akzeptieren.
Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.
"Normalerweise wäre dies ein Moment, der alle versammelt, aber bisher hat die Krise Emmanuel Macron nicht erlaubt, eine nationale Einheit herzustellen", schrieb "Le Monde" am Wochenende. Einer Umfrage des Institutes Ifop zufolge vertrauten nur noch 38 Prozent der Regierung, mit dieser Krise angemessen umzugehen. Das sind 17 Prozent weniger als zu Beginn der Krise.
"Frankreich wird sich ab dem 11. Mai neu erfinden müssen", sagte Macron heute. "Ich als Allererster."
Zuvor hatte er rasche staatliche Hilfen für Familien mit geringem Einkommen in dieser Zeit angekündigt, ebenso Unterstützung für Studenten mit geringen Mitteln. Die aktuelle Situation vertiefe die sozialen Ungleichheiten, sagte der Präsident. Dagegen will er angehen. Das müssen ihm die Franzosen jetzt nur noch glauben.