»Akt der Feindschaft« Eskaliert der Impfstoffstreit zwischen Großbritannien und der EU?

Einem Dokument zufolge wollte die EU geheime Impfstofflieferungen an Großbritannien mit Kontrollen an der nordirisch-irischen Grenze verhindern. Das löste Empörung aus. Noch am Abend lenkte Brüssel ein.
Bitte Abstand halten: Boris Johnson und Ursula von der Leyen

Bitte Abstand halten: Boris Johnson und Ursula von der Leyen

Foto: Alexandros Michailidis / Pool European Commission / imago images/Hans Lucas

Der Streit um Impfstofflieferungen zwischen der EU und dem britisch-schwedischen Unternehmen AstraZeneca hat sich zu einer diplomatischen Krise zwischen London und Brüssel entwickelt. Nachdem die Europäische Union angekündigt hatte, den Export zwischen Irland und Nordirland künftig streng überwachen zu wollen, hat die nordirische Regierungschefin Arlene Foster der EU einen »Akt der Feindschaft« vorgeworfen.

Mit der Kontrolle der Exporte von in EU-Ländern produzierten Impfstoffen schaffe die EU eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland, wie sie das Nordirland-Protokoll eigentlich verhindern solle, twitterte sie. Dies sei ein »unglaublicher Akt der Feindschaft« und ein »aggressives und beschämendes Vorgehen«. Der britische Premierminister Boris Johnson rief die EU-Kommission zu einer umgehenden Erklärung über ihre Absichten hinsichtlich möglicher Kontrollen auf.

Und die EU-Kommission antwortete am Abend mit einer Stellungnahme. Demnach führe sie zwar eine Regelung ein, die Ausfuhren von Impfstoffen an eine Genehmigung durch die Mitgliedstaaten bindet. Das Nordirland-Protokoll bleibe davon jedoch unberührt. »Die Kommission wird die Schutzklausel nicht auslösen«, heißt es.

Sollten Impfstoffe jedoch ohne Autorisierung in Drittländer exportiert werden, werde die EU alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, hieß es. Eine dementsprechende Verordnung werde nach ihrer Verabschiedung am Samstag veröffentlicht.

Streit mit AstraZeneca

Im Zuge des Streits um Lieferkürzungen des Impfstoffherstellers AstraZeneca hatte die EU am Freitag in einem Dokument angekündigt, den Export von Impfstoffen künftig streng zu überwachen und gegebenenfalls auch zu stoppen. Pharmakonzerne, die auch mit der EU Lieferverträge geschlossen haben, müssen künftig Ausfuhrgenehmigungen beantragen.

Die EU bezog sich in der Erklärung, die später von der Website entfernt wurde, auf Artikel 16 des Nordirland-Protokolls, der einseitige Schutzmaßnahmen bei unerwarteten negativen Auswirkungen der Einigung erlaubt. Im konkreten Fall geht es darum, dass sich die EU davor schützen will, dass über Nordirland als Hintertür doch unreguliert Impfstoffdosen nach Großbritannien gelangen.

Dem SPIEGEL bestätigte ein Kommissionssprecher am späten Abend, dass Artikel 16 nicht ausgelöst werde.

Nur ein Bruchteil der Impflieferungen zu leisten

AstraZeneca hatte zuvor mitgeteilt, nur einen Bruchteil der zugesagten Lieferungen leisten zu können. Dabei steht die Vermutung im Raum, dass in der EU produzierte Vakzine an Drittstaaten wie Großbritannien geliefert wurden.

Der britische Premierminister Boris Johnson hatte am Abend gegenüber der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seine »große Besorgnis« über potenzielle Auswirkungen ausgedrückt, die eine Folge der wie in dem gelöschten EU-Dokument beschriebenen Schritte sein könnten. Das teilte ein Sprecher mit.

Der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, sagte, dass Brüssel im Streit mit Großbritannien einen Schritt zurück machen sollte. Barnier forderte einen »Geist der Zusammenarbeit«, wenn beide Parteien kooperieren wollen.

Durch das von London und Brüssel ausgehandelte Nordirland-Protokoll ist der zu Großbritannien gehörende Landesteil trotz des Brexits noch enger an die EU gebunden und folgt weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts. Damit soll eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland vermieden werden, die zum Aufflammen alter, gewaltsamer Konflikte führen könnte. Exportkontrollen zwischen der EU und Nordirland würden dieser Regelung widersprechen.

hba/mbe/dpa/Reuters
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