EU-Gipfel in Brüssel Merkel und Macron scheitern mit ihrem Russlandplan

Merkel und Macron im Mai in Brüssel
Foto: YVES HERMAN / AFPDie EU-Staaten haben sich auf ein schärferes Vorgehen gegen künftige Rechtsbrüche Russlands geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron konnten sich aber beim EU-Gipfel nicht mit ihrem Vorschlag durchsetzen, auch wieder Spitzentreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu planen.
»Man konnte sich heute nicht darauf einigen, dass wir auf Leitungsebene, also auf Chefebene, uns sofort treffen«, sagte Merkel in der Nacht zum Freitag in Brüssel. Es werde nun an Formaten und Bedingungen für einen Dialog mit Russland gearbeitet. »Ich persönlich hätte hier mir einen mutigeren Schritt gewünscht. Aber so ist es auch gut, und wir werden daran weiter arbeiten.«
🔴 Jetzt live: Statement von Bundeskanzlerin Angela #Merkel nach dem ersten Tag des Europäischen Rats (24./25. Juni) @RegSprecher #EUCO #EUGipfel https://t.co/ofvdS1KEb7
— Germany in the EU (@germanyintheeu) June 25, 2021
In der Russland-Politik hatten Merkel und Macron zuvor überraschend für eine Kurskorrektur geworben: einerseits härtere, koordinierte Sanktionen bei Rechtsverstößen Russlands, andererseits aber auch die Option auf EU-Spitzentreffen mit Putin. Die Initiative spaltete allerdings die EU-Mitgliedstaaten, allen voran die osteuropäischen Länder hegten Bedenken gegen einen Dialog ohne Vorbedingungen.
EU-Staaten beschließen härteren Kurs gegen Russland
Beschlossen wurde nur die Erarbeitung eines Plans für Strafmaßnahmen, der auch Wirtschaftssanktionen umfasst. Es gebe »die Notwendigkeit einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands«, heißt es in der Gipfelerklärung. Die EU müsse deswegen die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente in vollem Umfang nutzen.
Zu »böswilligen und rechtswidrigen« Handlungen zählen zum Beispiel Hackerangriffe und Operationen russischer Geheimdienste in EU-Staaten. Auch eine deutlichere und schnellere Antwort auf Fälle wie den des zunächst vergifteten und dann inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny soll aber möglich sein.
Als Beispiele für von Russland verantwortete Aktivitäten innerhalb der EU gelten in Brüssel der mutmaßliche Auftragsmord an einem Georgier tschetschenischer Abstammung im Berliner Tiergarten oder die massive Cyberattacke auf den Bundestag 2015. Zuletzt beschuldigte zudem Tschechien russische Dienste, für Explosionen in einem Munitionslager im Jahr 2014 verantwortlich zu sein. Dabei waren zwei Menschen gestorben.
Reaktionen auf solche Fälle fielen bislang vergleichsweise zurückhaltend aus. So wurden zum Beispiel russische Diplomaten ausgewiesen oder eher symbolische Sanktionen gegen Funktionäre oder staatliche Stellen erlassen.

Merkel beim EU-Gipfeltreffen im Gespräch mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz
Foto: OLIVIER HOSLET / POOL / EPA»Kontroverse, aber sehr, sehr ehrliche Diskussion« mit Orbán
Merkel bestätigte in der Nacht zu Freitag zudem, dass es beim Gipfeltreffen in Brüssel eine »kontroverse, aber sehr, sehr ehrliche Diskussion« mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán über das umstrittene neue Anti-LGBTQ-Gesetz gegeben habe. »Wir haben hier alle sehr deutlich gemacht, welche grundlegenden Werte wir verfolgen«, sagte die Kanzlerin. Die EU-Kommission werde sich mit dem ungarischen Gesetz weiter beschäftigen.
Solche Gespräche würden häufiger gebraucht, denn es zeigten sich unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft Europas, nicht nur mit Ungarn, sagte Merkel. »Das heißt also, diese Diskussion muss fortgesetzt werden.«
Orbán wies den Vorwurf zurück, dass das Gesetz sexuelle Minderheiten diskriminiere. Die meisten seiner EU-Kollegen sehen das anders. Der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel, der mit einem Mann verheiratet ist, sagte nach Angaben von Teilnehmern: »Meine Mutter hasst es, dass ich schwul bin, damit muss ich leben. Und jetzt schreiben Sie das in ein Gesetz.« Der niederländische Regierungschef Rutte hatte wenige Stunden zuvor scharfe Kritik an Ungarn geäußert: Das Land habe in der EU nichts mehr zu suchen.
Trotz des Streits fanden die Staats- und Regierungschefs eine gemeinsame Linie bei einigen wichtigen Fragen:
Im Kampf gegen die Coronapandemie stimmten sie nach Angaben von Teilnehmern überein, die Grenzen für Reisende aus Drittstaaten nur vorsichtig und koordiniert öffnen. Ziel ist, die Ausbreitung der gefürchteten Delta-Variante des Coronavirus zu bremsen. Betroffen sein könnten Reisende aus Großbritannien, wo die Delta-Variante bereits sehr verbreitet ist.
Schnell einig wurden sich die Gipfelteilnehmerinnen und -teilnehmer über Erklärungen zur Türkei und zur Migrationspolitik. Mit Blick auf die Türkei beteuern sie den Willen zur verstärkten Zusammenarbeit bei bestimmten Themen unter bestimmten Bedingungen. Die EU-Kommission soll einen konkreten Vorschlag für weitere Finanzhilfen für syrische Flüchtlinge in der Türkei erarbeiten. Erwogen wird ein Betrag von 3,5 Milliarden Euro bis 2024.
Am Freitagmorgen geht der EU-Gipfel in Brüssel mit Beratungen zur Wirtschaftslage nach der Coronapandemie und Reformen der Eurozone weiter.