Umfrage Mehrheit der EU-Bürger hat wenig Vertrauen in etablierte Parteien

Viele EU-Bürger sind der Meinung, dass ihre Interessen nicht von den etablierten Parteien vertreten werden. Auch in Deutschland ist der Vertrauensmangel laut einer Umfrage enorm.
Schlange stehen für die Europawahl in Berlin, Mai 2019

Schlange stehen für die Europawahl in Berlin, Mai 2019

Foto:

OMER MESSINGER/ EPA-EFE/ REX

Eine Mehrheit der Bürger in der Europäischen Union glaubt, dass das Gros der Parteien sich nicht für sie interessiert. Zudem ist das Vertrauen in den Rechtsstaat einer neuen Umfrage zufolge bei mehr als jedem vierten EU-Bürger erschüttert.

EU-weit stimmten 60 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass sich "Mainstream-Parteien und Politiker nicht für Menschen wie mich interessieren", ergab eine Umfrage der Agentur der EU für Grundrechte (FRA).

In Deutschland sind demnach 52 Prozent der Ansicht, die Politik interessiere sich nicht für "Menschen wie mich", wie es in der Fragestellung der Umfrage hieß.

Die Ansicht ist besonders unter Geringverdienern, Arbeitslosen, Langzeiterkrankten und schlechter Ausgebildeten verbreitet. EU-weit fühlten sich 73 Prozent der Befragten aus diesen Bevölkerungsgruppen vernachlässigt.

Die Umfrageergebnisse stammen aus dem Fundamental Rights Survey 2019 und wurden am Mittwoch veröffentlicht. Im Zeitraum von Januar bis Oktober 2019 nahmen rund 35.000 Menschen über 16 Jahren teil. (Hier können Sie alle Ergebnisse der Umfrage lesen, pdf ).

Vertrauen in die Justiz in Deutschland größer als im EU-Durchschnitt

"Manchmal ist der Mangel an Vertrauen eklatant", sagte FRA-Chef Michael O'Flaherty. Das gelte auch für die Rechtsprechung. Der Umfrage zufolge denken 27 Prozent der Befragten, dass die Richter "nie oder selten" unbeeinflusst von der Politik urteilten. Weitere 29 Prozent gaben an, Richter könnten nur "hin und wieder" frei von politischem Einfluss arbeiten.

In Deutschland ist das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz - einem zentralen Wesensmerkmal von Rechtsstaaten  - laut Umfrage nur etwas größer als im EU-Durchschnitt. Vor allem Bürger in Kroatien, der Slowakei, Bulgarien und Ungarn sehen ihre Justiz besonders stark von der Politik beeinflusst.

Fast jeder Zweite in Deutschland fürchtet politische Einschüchterung

Eine unrühmliche Spitzenposition hinter Ungarn und Rumänien nimmt Deutschland bei der Frage ein, ob sich die Bürger davor fürchten, "in Wahlkampfzeiten zum Ziel politischer Einschüchterung durch Parteien oder Organisationen" zu werden. 7 Prozent sagten in Deutschland, davor hätten sie große Angst, 37 Prozent fürchten dies ein wenig. Im EU-Durchschnitt haben hingegen 5 Prozent große und 23 Prozent ein wenig Angst davor. Nach der politischen Natur dieser Einschüchterungen wurde allerdings nicht gefragt.

Auch nach Korruption fragten die Macher des Survey: In einigen EU-Staaten helfen nach Erfahrungen vieler Bürger Geld oder Geschenke bei Behördengängen oder bei ärztlicher Behandlung. Jeder vierte EU-Bürger ist wiederum bereit, solche Gefallen bei entsprechender Dringlichkeit auch anzubieten. Das gilt demnach vor allem in der Slowakei, Tschechien und Kroatien.

In Deutschland sagten 38 Prozent der Befragten, sie hielten ein solches Vorgehen für zumindest manchmal akzeptabel. Schweden, Portugal und Finnland gehören laut Umfrage zu den Ländern, deren Bürger am allerwenigsten auf die Idee kommen, jemanden in der Verwaltung oder im Gesundheitswesen bestechen zu wollen.

cht/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten