EU-Parlamentspräsident Sozialdemokraten sagen »basta« zu Sassoli

Parlamentspräsident Sassoli: Keine Verlängerung der Amtszeit
Foto: OLIVIER HOSLET / EPADieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Das war es wohl für David Sassoli: Der Italiener wird keine Verlängerung seiner Amtszeit als Präsident des Europäischen Parlaments bekommen. Nach SPIEGEL-Informationen entzogen die Sozialdemokraten in einer Fraktionssitzung am Dienstagabend dem Italiener ihre Unterstützung für eine erneute Kandidatur. Damit ist der Weg frei für die maltesische Konservative Roberta Metsola, die kürzlich von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) für die Nachfolge Sassolis nominiert wurde.
Hauptgrund für das Vorgehen der Sozialdemokraten war vor allem die Chancenlosigkeit von Sassolis Kandidatur:
Die liberale Renew-Europe-Fraktion hatte laut Insidern zuletzt signalisiert, Sassoli nicht wählen zu wollen.
Auch die Grünen hätten dem 65-jährigen Italiener kaum den Vorzug vor der 42-jährigen Metsola gegeben, zumal sie die erste Frau seit fast 20 Jahren auf dem Posten wäre.
Es gebe »keine Umstände«, unter denen die Fraktion der Progressiven Allianz (S&D) die Präsidentschaft für sich gewinnen könne, sagte Fraktionschefin Iratxe García Pérez nach Angaben von Teilnehmern bei der Sitzung in Straßburg. Auch der ebenfalls anwesende Sassoli habe das eingeräumt – und erklärt, dass er auf eine Kandidatur auch deshalb verzichte, weil er die proeuropäischen Kräfte im Parlament nicht spalten wolle.
Risiko zu groß für aussichtslose Kandidatur
Die Sozialdemokraten haben sich damit entschieden, doch noch das Abkommen mit den Christdemokraten von der EVP zu achten. Beide Fraktionen hatten sich gemeinsam mit den Liberalen schriftlich darauf geeinigt, dass die Sozialdemokraten die Parlamentspräsidentschaft in der ersten Hälfte der von 2019 bis 2024 dauernden Legislaturperiode bekommen und die EVP in der zweiten Hälfte an der Reihe ist.
Sassoli strebte dennoch eine Verlängerung seiner Amtszeit an. Die Argumente der S&D-Fraktion: Wegen der Coronakrise habe sich Sassoli kaum profilieren können, und nach dem Verlust der Parlamentspräsidentschaft wäre keiner der Brüsseler Topjobs mehr in der Hand von Sozialdemokraten – obwohl diese nach den jüngsten Wahlerfolgen in ebenso vielen EU-Staaten regieren wie die EVP.
Allerdings hatte EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) gedroht, mit den Sozialdemokraten nie wieder einen Deal über die Parlamentspräsidentschaft abzuschließen, sollten diese das Abkommen nach 2017 ein weiteres Mal aufkündigen. Die Sozialdemokraten hätte das auf lange Sicht den Zugriff auf das Amt kosten können. Das habe man für eine aussichtslose Kampfkandidatur Sassolis nicht riskieren wollen, heißt es aus der S&D-Fraktion.

Europaabgeordnete Metsola
Foto: VINCENT KESSLER/ REUTERSMit Metsola geht nun ein weiterer Brüsseler Topjob an die EVP. Chefin der EU-Kommission ist die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen, die Europäische Zentralbank leitet die französische Konservative Christine Lagarde. EU-Ratspräsident ist der belgische Liberale Charles Michel.
Weber gewinnt an Macht
Sollte Metsola bei der Plenarsitzung des Parlaments Mitte Januar wie erwartet gewählt werden, wäre sie mit 42 Jahren nicht nur die bisher jüngste Präsidentin des Parlaments, sondern auch die erste Vertreterin eines Kleinstaats wie Malta auf diesem Posten. Metsola gilt deshalb auch als Kandidatin Webers, da sie ohne die Unterstützung der CDU/CSU-Gruppe kaum Präsidentschaftskandidatin hätte werden können.
Dabei galt Weber lange Zeit selbst als nächster Parlamentspräsident. Er hatte die Europawahl 2019 als Spitzenkandidat der EVP gewonnen und hätte nach dem Willen des Parlaments Kommissionspräsident werden sollen. Die Staats- und Regierungschefs inthronisierten dann aber Ursula von der Leyen, die Parlamentspräsidentschaft galt als ein Trostpflaster für Weber.
Weber aber entschied sich, Fraktionschef zu bleiben und zusätzlich Präsident der EVP zu werden. Der Posten wird frei, weil der aktuelle Amtsinhaber Donald Tusk als Oppositionschef nach Polen zurückkehrt.
Weber würde damit nach der bitteren Niederlage im Kampf um die Kommissionsführung zumindest teilweise ein Comeback gelingen. Als Vorsitzender der größten Fraktion im EU-Parlament, mit einer Präsidentin von seinen Gnaden und überdies als EVP-Chef wäre Weber eine der mächtigsten Figuren Brüssels – zumal die EVP nach der Wahlniederlage von CDU-Mann Armin Laschet in keinem größeren EU-Land mehr die Regierung anführt.
Als EVP-Präsident wäre er außerdem bei der nächsten Europawahl Herr des Verfahrens bei der Auswahl des Spitzenkandidaten der Parteienfamilie – oder aber der Kandidatin, die möglicherweise Ursula von der Leyen hieße. Weber könnte dann zum Königinnenmacher nicht nur im Parlament, sondern auch in der Kommission avancieren.