Finanzielle Sanktionen EuGH weist Klagen von Polen und Ungarn gegen Rechtsstaatsmechanismus ab

Die EU darf Mitgliedsländern bei Rechtsstaatsverstößen Gelder kürzen. Dieser sogenannte Rechtsstaatsmechanismus ist rechtens. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden – und damit Klagen Polens und Ungarns abgewiesen.
Der Sitz des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg

Der Sitz des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg

Foto: Arne Immanuel Bänsch/ DPA

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht kein Problem darin, EU-Mitgliedern Finanzmittel zu kürzen, wenn sie gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Das hat das Gericht mit Sitz in Luxemburg entschieden – und entsprechende Klagen von Ungarn und Polen abgewiesen.

Die Regierungen der beiden EU-Länder hatten gegen den neuen Mechanismus geklagt, der vorsieht, dass EU-Ländern Mittel aus dem Gemeinschaftsbudget gekürzt werden können.

Der sogenannte Konditionalitätsmechanismus ist seit Anfang 2021 im mehrjährigen EU-Budget verankert. Er erlaubt den Entzug von Fördermitteln für Länder, in denen Probleme mit rechtsstaatlichen Prinzipien die rechtmäßige Verwendung von EU-Haushaltsmitteln gefährden. Dann kann die EU-Kommission vorschlagen, die Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Haushalt zu kürzen.

Damit hat die EU erstmals ein wirksames Werkzeug, Regierungen zu sanktionieren, die den Rechtsstaat im eigenen Land aushöhlen, etwa indem sie Richter und Staatsanwälte unter politische Kontrolle zwingen. Diesen Vorwurf gibt es seit Jahren gegen Polen und Ungarn.

»Angriff auf unsere Souveränität«

Die Regierungen beider Länder hatten die Vorwürfe stets zurückgewiesen und gingen gegen den Mechanismus vor. Sie hatten der EU unter anderem vorgeworfen, das Instrument als Hintertür nutzen zu wollen, um beide Länder auch für andere Verstöße oder missliebiges Verhalten innerhalb der EU abstrafen zu können.

Auf die Abweisung ihrer Klagen reagierten die Länder entsprechend empört. Die Entscheidung des EuGH stelle einen »Angriff auf unsere Souveränität« dar, erklärte der polnische Vizejustizminister Sebastian Kaleta auf Twitter. »Polen muss seine Demokratie gegen die Erpressung verteidigen, die darauf abzielt, uns unser Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen.«

Die ungarische Justizministerin Judit Varga nannte das Urteil eine »politische Entscheidung«. Sie sei ein »lebendiger Beweis dafür, dass Brüssel seine Macht missbraucht«, erklärte sie auf Facebook.

Polen und Ungarn müssen um EU-Milliarden bangen

Die EU-Kommission hatte den Konditionalitätsmechanismus bislang nicht eingeführt. Sie wollte das Urteil des EuGH abwarten. So sah es auch eine Einigung der Staats- und Regierungschefs vom Sommer 2020 vor, mit der man die Regierungen in Budapest und Warschau dazu gebracht hatte, ihre Blockade wichtiger EU-Haushaltsentscheidungen aufzugeben.

Mit dem Entscheid über die beiden Klagen aus Polen und Ungarn ist nun der Weg allerdings frei, den Mechanismus zum Geldentzug in Gang zu setzen. Wie schnell dies geschehen könnte, ist allerdings unklar. Die EU-Kommission muss noch die Leitlinien zur Anwendung des Instruments fertigstellen. Hinzu kommen politische Erwägungen: Polen ließ zuletzt vorsichtige Signale einer Annäherung an Brüssel erkennen. In Ungarn steht Anfang April die Parlamentswahl an. Sollte die EU-Kommission zuvor den Rechtsstaatsmechanismus auslösen, könnte dies als Einmischung in den Wahlkampf verstanden werden.

Allerdings hatte die EU-Kommission bereits Ende November blaue Briefe nach Warschau und Budapest geschickt – als erste Vorstufe des Verfahrens. Mit dem EuGH-Urteil müssen beide Länder nun um ihre EU-Hilfen bangen. Es geht um mehrere Milliarden Euro, die gekürzt werden könnten: Polen bekam allein im Jahr 2019 rund zwölf Milliarden Euro aus Brüssel, Ungarn gut fünf Milliarden.

EuGH-Rechtssachen C-156/21 und C-157/21

mrc/dpa/Reuters
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