Ex-Kommandant der Wagner-Gruppe desertiert »Kugeln zischten an mir vorbei«
Quelle: Gulagu.net
Andrej Medwedew, Ex-»Wagner«-Kommandant
»Mein Name ist Andrej, mein Nachname ist Medwedew. Ich war Mitglied der Wagner-Gruppe.«
Ein ehemaliger Kommandant der berüchtigten russischen Söldnergruppe spricht in einem Video, das die Menschenrechtsorganisation Gulagu.net veröffentlicht hat. Der Fall von Andrej Medwedew sorgt für Aufsehen:
Denn der Ex-Söldner hat in Norwegen politisches Asyl beantragt. Er ist laut der Menschenrechtsorganisation Gulagu der erste ehemalige Kommandant einer Einheit der Wagner-Gruppe, der nach Westeuropa geflohen ist – norwegische Medien berichteten über den Fall und bestätigten den Asylantrag.
In dem veröffentlichten Video schildert Medwedew seine dramatische Flucht über die russisch-norwegische Grenze in der Provinz Finnmark nördlich des Polarkreises, verfolgt von russischen Grenzschutzbeamten:
Andrej Medwedew, Ex-»Wagner«-Kommandant
»Ich rannte am Wald entlang und suchte (auf einem Gewässer) nach einer Stelle mit dickerem Eis. Ich hörte zwei Schüsse, Kugeln zischten förmlich an mir vorbei. Ich zerbrach mein Handy und warf es in den Wald. Dann drehte ich mich um und rannte auf dem Eis in Richtung des Lichts der Häuser, vielleicht zweieinhalb Kilometer. Ich rannte und rannte und rannte. Wahrscheinlich hatten sie Angst, mich zu verfolgen, weil das Eis nicht dick genug war – und der Hund, der mich verfolgt hat, hat sich offenbar im Stacheldraht verheddert.«
Zuletzt soll Medwedew eine Einheit von 15 Männern in Bachmut im Osten der Ukraine befehligt haben. Hier sollen Söldner der Gruppe Wagner neben dem regulären russischen Militär gekämpft haben. Medwedew gibt an, er sei Anfang November nach seinem viermonatigen Dienst desertiert.
Die Gruppe Wagner, geleitet von Jewgeni Prigoschin, ist bekannt als »Putins Schattenarmee«. Putins enger Vertrauter Prigoschin hat zuletzt Sträflinge für seine Truppe rekrutiert. Der Söldnergruppe werden brutale Foltermethoden vorgeworfen. Wer sich weigerte, an Kampfhandlungen teilzunehmen, wurde, so erklärt es Medwedew im Interview, selbst zur Zielscheibe:
Andrej Medwedew, Ex-»Wagner«-Kommandant
»Ich weiß mit Sicherheit von mehr als drei Hinrichtungen von Truppenmitgliedern, die mit Verletzungen versucht haben, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Und ich weiß von zehn öffentlichen Hinrichtungen. Den neu rekrutierten Ex-Sträflingen wurde auf dem Trainingsgelände deutlich gezeigt, was mit sogenannten Verweigerern und Verrätern passiert.«
Prigoschin selbst brüstet sich mittlerweile offen mit seiner angeblich effektiven Söldnergruppe:
Concord Press Service; Soledar, 14. Januar 2023
Jewgeni Prigoschin, Gründer der »Wagner«-Gruppe
»Wenn eine Entscheidung getroffen wird, dann werden alle Aufgaben erfüllt - niemand kann zurücktreten. Das ermöglicht uns unsere strengste Disziplin. Deshalb ist die Wagner-Gruppe auf dem Vormarsch und deshalb wird sie weiter auf dem Vormarsch sein. Das ist die Antwort auf mehrere Journalistenfragen, die in letzter Zeit gestellt wurden.«
Andrej Medwedew will nun über die Gräueltaten der Gruppe Wagner auspacken – trotz der Einschüchterungsversuche.
Andrej Medwedew, Ex-»Wagner«-Kommandant
»Bitte helft mir. Nach meiner Abreise begannen Wagners Sicherheitsdienste, mich in allen möglichen Formen, offen und verdeckt, zu verfolgen, Der Geheimdienst FSB des Innenministeriums und die Kriminalpolizei sind in meine Suche einbezogen. Ich habe Angst um mein Leben und meine Gesundheit.«
Medwedew beteuert, selbst keine Verbrechen begangen zu haben. Das muss allerdings noch untersucht werden. Nach Angaben seines Anwalts wird auch gegen ihn ermittelt.
Die Informationen des Russen könnten von großer Bedeutung für die Dokumentation von Kriegsverbrechen in der Ukraine sein. Interesse daran haben nicht nur die Behörden in Norwegen, sondern auch der internationale Strafgerichtshof in Den Haag.