Vor Jahrestag der Explosionskatastrophe Amnesty wirft Behörden im Libanon schleppende Aufklärung vor

Am 4. August jährt sich die verheerende Explosion im Hafen von Beirut. Menschenrechtler bemängeln die schleppende Aufklärung. Die Behörden würden »die Suche der Opfer nach Wahrheit und Gerechtigkeit schamlos behindern«.
Blick auf den völlig zerstörten Hafen von Beirut (Archivbild)

Blick auf den völlig zerstörten Hafen von Beirut (Archivbild)

Foto: WAEL HAMZEH / EPA

Zwei Tage vor dem Jahrestag der Chemieexplosion, die weite Teile der libanesischen Hauptstadt Beirut zerstörte, wirft die Menschenrechtsorganisation Amnesty International den lokalen Behörden vor, die Aufklärung der Katastrophe zu verschleppen.

»Die libanesischen Behörden haben das vergangene Jahr damit verbracht, die Suche der Opfer nach Wahrheit und Gerechtigkeit schamlos zu behindern«, schrieb Amnesty in einer Mitteilung . Bislang sei noch niemand für die als Behördenversagen geltende Katastrophe vor Gericht gestellt worden.

Am 4. August 2020 waren Hunderte Tonnen Ammoniumnitrat, die in einem Lagerhaus im Hafen von Beirut lagerten, explodiert. Mehr als 200 Menschen starben, Tausende Menschen wurden verletzt und ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht. Seitdem ermitteln die libanesischen Behörden, wie der Dünger in das Lagerhaus gelangte, warum er dort so unsicher gelagert wurde und wie es zu der Explosion kam.

Doch der erste mit den Ermittlungen beauftragte Richter wurde entlassen, nachdem dieser ranghohe Beamte befragen wollte. Sein Nachfolger muss ebenfalls mit Behinderungen durch führende Politiker des Landes kämpfen. »Angesichts des Ausmaßes dieser Tragödie ist es erstaunlich zu sehen, wie weit die libanesischen Behörden zu gehen bereit sind, um sich vor Rechenschaft zu schützen«, sagte die Vize-Regionaldirektorin von Amnesty, Lynn Maalouf.

Durch den langsamen Fortgang der Ermittlungen ist auch die Auszahlung von Entschädigungen und Versicherungen blockiert. Angehörige der Explosionsopfer planen für Mittwoch Protestmärsche, um der Opfer zu gedenken und die Aufhebung der parlamentarischen Immunität einiger Hauptverdächtiger zu fordern.

Opfervertreter drohen mit Gewalt

Ein Opfervertreter stellte den Behörden nun ein Ultimatum. Der Sprecher der Hinterbliebenen, Ibrahim Hoteit, sagte bei einer Pressekonferenz, dass die Behörden drei Tage Zeit hätten, um die Forderungen der Familien zu erfüllen. Andernfalls seien die Demonstranten bereit, »Knochen zu brechen«. »Wir sind fertig mit Routine und friedlichen Demonstrationen«, sagte Hoteit. »Hüten Sie sich vor unserer Wut.«

Als Folge der Katastrophe war vergangenes Jahr die libanesische Regierung zurückgetreten. Seitdem steht das Land ohne reguläre Führung da. Der designierte Ministerpräsident Nadschib Mikati kann zum Jahrestag allerdings noch nicht wie erhofft ein Kabinett präsentieren.

Er habe gehofft, dass die Regierungsbildung schneller gehe, sagte Mikati nach einem Treffen mit Präsident Michel Aoun. Medienberichten zufolge streiten die untereinander verfeindeten Parteien nach wie vor über die Verteilung von Posten. Mikati war bereits zweimal Ministerpräsident und gilt vielen als Symbol der Korruption, die in dem Land seit Jahrzehnten herrscht.

Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden

Hilfsorganisationen weisen unterdessen auf die ökonomischen Auswirkungen der Zerstörung des Hafens von Beirut hin . Die Wirtschaft des Landes befinde sich im freien Fall, teilte der Malteser Hilfsdienst mit. Die Explosion im Hafen und die Coronapandemie hätten die Wirtschaftskrise verschlimmert. 60 Prozent der Bevölkerung des Libanon leben demnach unterhalb der Armutsgrenze, die Inflation liegt bei rund hundert Prozent. Nach Angaben der Weltbank befindet sich der Libanon in einer seiner schlimmsten Wirtschaftskrisen seit Mitte des 19. Jahrhunderts.

fek/AFP
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