Facebook, Twitter und Co. in Afrika Reibach im »Rest der Welt«

Konferenz in Lagos, Nigeria: Die digitale Infrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent ist der europäischen teils voraus
Foto: Ibeabuchi Benson Ugochukwu / Bloomberg / Getty Images
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»Komm nicht nach Hause, im Netz kursiert eine Menge Hass über dich«, hatte Abrham Meareg seinen Vater gewarnt. Zuvor war er auf zwei Facebook-Posts gestoßen, die nichts Gutes verhießen: Sein Vater, ein renommierter Chemieprofessor, wurde dort verunglimpft, Name und Bild des Äthiopiers wurden veröffentlicht, der Wissenschaftler als angeblicher Anhänger einer Miliz geoutet – mitten im Klima des Hasses, des andauernden Bürgerkriegs im Land. Der Account hatte 50.000 Follower, und schnell folgten die ersten Kommentare: »Worauf wartet ihr?«, »Warum habt ihr ihm das Blut noch nicht ausgesaugt?«, »Räumt auf!«. Später folgte ein weiterer Post mit wüsten Beschuldigungen.
Doch Professor Meareg Abrha wollte nicht klein beigeben. Er machte sich auf den Weg zurück in seine Heimatstadt Bahir Dar. Drei Wochen später war Abrha tot: Bewaffnete Männer hatten vor seiner Toreinfahrt gewartet, einer schoss ihm zuerst ins Bein und dann in die Schulter. Das Opfer blieb laut Angehörigen noch sieben Stunden lang liegen, die Täter ließen niemanden zu ihm durch.
»Mein Vater hatte keine Ahnung von Social Media, er wusste nicht, was es anrichten kann. Facebook ist in Äthiopien eine Waffe«, sagt sein Sohn heute. Er ist sich sicher: Facebook trägt eine Mitschuld an der Tat. »Die Posts haben ihn zur Zielscheibe gemacht. Ich hatte sie sofort gemeldet, es kam von Facebook später auch die Antwort, dass sie gegen die Standards verstoßen, trotzdem wurde der erste Post nicht gelöscht«, sagt Abrham Meareg.

Abrham Meareg verklagt den Facebook-Mutterkonzern Meta
Foto: FoxgloveEr hat den Facebook-Mutterkonzern Meta nun in Kenia verklagt , fordert einen zwei Milliarden US-Dollar schweren Entschädigungsfonds für Opfer von Hasspostings – und eine Reform der internen Abläufe, um derartige Inhalte künftig schneller zu entfernen. Beobachter rechnen damit, dass der Prozess Anfang Februar beginnen könnte. In der Klageschrift schwingt ein Vorwurf immer wieder durch: Facebook behandelt Afrika und seine Bewohnerinnen und Bewohner wie einen Kontinent zweiter Klasse. »Sie können in Afrika nicht so viel Geld machen, also scheren sie sich nicht um das Wohl der Menschen dort«, klagt Meareg. Meta will sich auf SPIEGEL-Anfrage nicht zum Gerichtsverfahren äußern.
Es ist nicht das erste Mal, dass Facebook im Globalen Süden massiv in die Kritik gerät. Bereits 2021 warf die ehemalige Facebook-Angestellte Frances Haugen während einer Anhörung im US-Senat ihrem ehemaligen Arbeitgeber vor, Gewalt in Äthiopien anzustacheln. Der Konzern kontrolliere seine Inhalte in Afrika weit weniger als im Globalen Norden. Öffentlich zugängliche Dokumente zeigen, dass Facebook den Kontinent unter »Rest of the world«, also »Rest der Welt« subsumiert. 87 Prozent der Arbeitszeit für den Kampf gegen Onlinehass auf Facebook wurden 2020 laut Medienberichten für die USA aufgewandt. In Ostafrika hat Meta sein »content moderation«, also die Kontrolle von Inhalten, outgesourct. Die Firma Sama mit Sitz in Nairobi hat diese Aufgabe übernommen, das magere Budget für 2022 laut Medienberichten : 3,9 Millionen US-Dollar.
Die Arbeitsbedingungen bei Sama sind derzeit Gegenstand eines weiteren Gerichtsverfahrens in Kenia: Ein ehemaliger Mitarbeiter verklagt die Firma unter anderem wegen angeblichen Menschenhandels und psychischer Folter. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten für einen Hungerlohn grausame Videos und Bilder anschauen müssen, um sie anschließend zu löschen. Ein ehemaliger Content Moderator berichtete dem SPIEGEL: »Wir mussten ständig Überstunden machen, der Druck war enorm. Von dem Gehalt konnte man kaum leben.« Sama streitet die Vorwürfe ab, spricht von »falschen Anschuldigungen«.
Nach zahlreichen kritischen Medienberichten tat sich trotzdem etwas: Die Mitarbeiter von Sama bekamen laut Anwälten eine Gehaltserhöhung, die Arbeitsbedingungen schienen sich zu verbessern. Doch offenbar lohnte sich der Deal für die Vertragsfirma nun nicht mehr: Vergangene Woche gab Sama bekannt, die Content-Moderation für Facebook nicht mehr weiterführen zu wollen. Dutzende Mitarbeiter stehen möglicherweise vor der Entlassung. Die Firma begründet das mit dem »derzeitigen ökonomischen Klima«, man wolle sich nun stärker auf andere Geschäftsfelder konzentrieren.
Eine gute Nachricht für Betroffene wie Abrham Meareg ist das wohl nicht. Denn die Alternativen wirken nicht unbedingt besser, im Gegenteil. Laut Medienberichten soll die Firma Majorel am Auftrag interessiert sein, im Internet sucht sie bereits seit geraumer Zeit nach »Content Moderators« in verschiedenen afrikanischen Sprachen. Majorel betreibt auch für die Videoplattform TikTok die Überprüfung der Inhalte. Doch eine Mitarbeiterin spricht im Interview mit dem SPIEGEL von »toxischen Arbeitsbedingungen«, auch auf digitalen Jobplattformen wird das Unternehmen heftig kritisiert. Das Onlinemedium »Business Insider« berichtete im vergangenen Jahr von zahlreichen Missständen bei Majorel . Auf eine SPIEGEL-Anfrage hat Majorel bislang nicht reagiert.

Schon länger wird dem Facebook-Mutterkonzern Meta vorgeworfen, Afrika zu vernachlässigen
Foto: Peter Dasilva / REUTERSDie US-amerikanische Anwältin Cori Crider und ihre Nichtregierungsorganisation Foxglove unterstützen sowohl Abrham Meareg als auch die ehemaligen Angestellten von Sama im Prozess gegen Meta. Sie ist sich sicher: »Die Tech-Riesen glauben, dass sie in Afrika mit allem davonkommen, sie nehmen den Kontinent nicht ernst. Das dürfen wir nicht zulassen.«
Doch noch sind die großen amerikanischen Tech-Konzerne gern gesehene Gäste, die Regierungen versuchen, sie auf den Kontinent zu locken. Kenia positioniert sich als »Silicon Savannah«, als IT-Standort mit hohem Innovationspotenzial. Tatsächlich schießen dort zahlreiche Start-ups aus dem Boden, die digitale Infrastruktur ist der europäischen teils voraus.
Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Konzerne aus den USA setzen in Afrika vor allem auf: billig und maximale Profite. Der Fahrdienst-Anbieter Uber etwa wollte seinen Fahrern im vergangenen Jahr mehr Gebühren abknöpfen als gesetzlich erlaubt – erst nach einem Streik lenkte das Unternehmen ein. Zuvor hatte es sich gerichtlich gegen eine Deckelung der Gebühren gewehrt.
Und vor den Toren der Hauptstadt Nairobi entsteht ein neuer IT-Standort, Konza City. In den Werbebroschüren wird jedoch klar, was wirklich geboten werden soll: Outsourcing für die Tech-Riesen. Kenia will sich als das neue Indien positionieren.
Wie schnell der große Traum vom IT-Boom platzen kann, hat sich Ende vergangenen Jahres in Ghana gezeigt. Dort hatte der Kurznachrichtendienst Twitter gerade seine neue Afrika-Zentrale eröffnet, es sollte auch ein klares Zeichen sein, dass man den Kontinent als Zukunftsmarkt sieht. Doch dann kam Elon Musk und legte die Axt an den Konzern. Vier Tage nach offizieller Eröffnung des Büros wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter außer einem entlassen. Im Gegensatz zu den Kolleginnen und Kollegen in den USA wurden ihnen zunächst keine Entschädigungen angeboten, sie sollten mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen einfach vor die Tür gesetzt werden.
Carla Olympio, die Anwältin der Betroffenen, sah im Vorgehen des Konzerns einen klaren Verstoß gegen ghanaisches Arbeitsrecht: »Meine Mandantinnen und Mandanten waren zutiefst schockiert und haben sich schon gefragt, warum sie als Mitarbeiter zweiter Klasse gelten.« Inzwischen hat Twitter nachgegeben und verhandelt mit den Entlassenen.
Der kenianische Experte Odanga Madung von der Mozilla Foundation hat sich lange mit den Arbeitsbedingungen im IT-Sektor auf dem afrikanischen Kontinent beschäftigt, er fordert ein härteres Durchgreifen: »Es wird langsam Zeit, dass die Regierungen den Konzernen klare Grenzen setzen. Sie müssen ihnen zeigen, dass Afrika sich wehren kann.«
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikel haben wir die äthiopische Stadt Bahir Dar fälschlicherweise Bar Dahia genannt. Wir haben den Fehler korrigiert.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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